Streit um CO2-Kennzeichnung Brauchen wir ein Klimalabel für Lebensmittel?

Quelle: imago images

Fast 60.000 Menschen unterstützen die Petition von Haferdrinkproduzent Oatly, die die CO2-Kennzeichnung von Lebensmitteln fordert. An diesem Montag findet die Anhörung im Bundestag statt. Wird die Politik dem folgen?

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Ein Gramm Eiweiß, vier Gramm Zucker - und ein Kilogramm CO2. Ginge es nach dem Willen einer Petition, die rund 57.000 Menschen unterschrieben haben, würde künftig jede Lebensmittelverpackung eine solche Kennzeichnung haben. Neben Nährwerten müssten Hersteller dann auch angeben, wie viele Treibhausgase ihr Produkt verursacht. Was Du isst, lieber Kunde, hat nicht nur gesundheitliche Folgen für Dich selbst, würde dann die Botschaft lauten, sondern auch für Umwelt und Klima. Initiator der Petition ist der Haferdrinkhersteller Oatly, die Firma vertritt sie auch am Montag bei der Anhörung im zuständigen Bundestagsausschuss.

Zuletzt machte Oatly eher Schlagzeilen wegen des Einstiegs des umstrittenen Investors Blackstone. Im Parlament geht es nun wieder um das, was Oatly gerne als das eigentliche Kerngeschäft verkauft: nachhaltige und transparente Lebensmittel. Hey food industry, show us your numbers – das ist der offensive Slogan, mit dem die schwedische Firma die Konkurrenz sonst gern unter Druck setzt.

Nun also der Weg über die Politik. Kann das funktionieren?

Dass ein Unternehmen das Instrument einer Petition wählt, wird jedenfalls schon einmal kritisch beäugt. „Für das Unternehmen ist der Bundestag eine Bühne“, sagt Gitta Connemann, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, „natürlich weiß Oatly, dass sich das Thema CO2-Label gut anhört. Oatly weiß aber auch, dass eine wissenschaftliche seriöse Kennzeichnung derzeit nicht möglich ist“. Die Petition sei eine Werbeaktion.

„Bei Unternehmen kann man immer unterstellen, dass sie auch ein Interesse am Marktzugang haben“, sagt auch Nina Scheer von der SPD. „Andererseits: Warum sollten sich Unternehmen, die sich aufgrund rechtlicher Rahmenbedingungen diskriminiert fühlen, nicht auch Gehör verschaffen?“

Das Oatly-Logo jedenfalls lässt sich von dem Vorhaben nicht mehr wegdenken, dafür hat das Unternehmen im Vorfeld gesorgt: Ob im Netz, auf Bahnhöfen und beim Lesen großer Zeitungen, nirgends ist man sicher vor Anzeigen in Oatly-Hellblau. Einige andere Hersteller haben sich dem Vorhaben in Deutschland angeschlossen, wie etwa Rügenwalder Mühle oder Fritz Cola.

Bei Oatly selbst fällt das Wort Werbung nicht. Für Tobias Goj, einer der Geschäftsführer von Oatly Deutschland, ist der Auftritt in der Hauptstadt kein Marketing, sondern gewissermaßen gelebte Unternehmensphilosophie: „Nachhaltigkeit steht bei uns an höchster Stelle, danach richten wir alle Entscheidungen aus.“

In Sachen Dringlichkeit hat Goj durchaus einen Punkt: Ein Fünftel der Treibhausgasemissionen in Deutschland verursacht die Lebensmittelindustrie – um die ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen, muss auch hier eingespart werden. „Der Klimawandel lässt uns keine Zeit“, sagt Goj. „Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern schon zwölf.“

Seit 2018 deklariert Oatly die CO2-Eimmissionen seiner eigenen Produkte. „Wir können jetzt schon ziemlich gut abschätzen, wie die Klimawirkung bestimmter Produkte ist“, sagt der Deutschland-Geschäftsführer. Mit einer verpflichtenden Kennzeichnung aller Produkte hätten Konsumenten die Möglichkeit, am Supermarktregal die Klimaauswirkungen ihrer Einkäufe zu vergleichen.

Gitta Connemann und Nina Scheer, die beiden Bundestags-Parlamentarierinnen, können den Wunsch nach mehr Transparenz zwar gut nachvollziehen, sehen in einem CO2-Label aber kein sinnvolles Instrument. Der Wunsch nach einer einfachen Kennzeichnung sei „nachvollziehbar“, sagt CDU-Politikerin Connemann, werde aber „der Komplexität nicht gerecht“. Es gebe derzeit einfach keine belastbare und einheitliche Bemessungsgrundlage.

„Um alle Umweltwirkungen zu deklarieren, sind die Verpackungen zu klein“, sagt wiederum Sozialdemokratin Nina Scheer. Produkte mit niedrigem CO2-Wert könnten für den Konsumenten nachhaltig wirken, obwohl sie das nicht sind: Ein hoher Wasserverbrauch oder die Belastung der Böden mit toxischen Stoffen werden schließlich nicht gekennzeichnet. Für Oatly-Manager Goj ist das kein Argument: „Wenn wir CO2 reduzieren, reduzieren wir beispielsweise auch Landflächen- und Wassernutzung“, sagt er, „Produkte mit geringem CO2-Fußabdruck haben auch weniger andere Umweltwirkungen.“

Wer Recht hat? Rasmus Prieß, Forscher am Öko-Institut, leitete schon 2008 ein Pilotprojekt zum Product Carbon Footprint. Er sieht in der CO2-Berechnung vor allem einen Mehrwert für die Unternehmen selbst. „Er hilft, zu erkennen an welchen Stellen sich noch Treibhausgase einsparen lassen“, sagt Prieß. Den Fußabdruck als Label zu deklarieren, sieht er problematisch, solange nicht alle Produkte nach einheitlichen Grundlagen und unter Berücksichtigung weiterer Umweltwirkungen gekennzeichnet werden. „Es würden Entscheidungen an Verbraucher abgewälzt, die letztlich anderswo gelöst werden müssten“, sagt Prieß.

Der Wissenschaftler vom Öko-Institut sieht auch die Leitwirkung eines Labels als nicht erwiesen an: „Die Marktforschung zum CO2-Label ist bisher recht dünn“, sagt Prieß. „Es deutet sich aber an, dass es nur eines von vielen Kriterien wäre, dass Kunden beim Kauf beachten.“ Um die Klimakrise zu stoppen, würde das also nicht reichen. Er nimmt vor allem den Staat in der Pflicht: Die öffentliche Hand könne etwa festlegen, auf wie viel Fläche überhaupt Futtermittel für die Fleischproduktion angebaut werden dürfte - und würde damit indirekt die Preise beeinflussen. „Über den Preis und vor allem klare Leitplanken lässt sich der Konsum besser kontrollieren als über ein Label“, sagt Prieß.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch SPD-Politikerin Nina Scheer: Sie fordert, dass Unternehmen für den Einsatz von Schadstoffen zahlen und so die Preise für umweltschädlichere Produkte steigen. Mittelfristig sollte so Bio zum Standard werden. Mit dem Koalitionspartner lässt sich da allerdings wenig bewegen. Gitta Connemann etwa spricht lieber von der Herkunftskennzeichnung, für die ihre Fraktion sich auf EU-Ebene einsetzt. Oder von der Stärkung mittelständiger Unternehmen.



Den Konsum über den Preis zu regulieren, das möchte auch Tabea Rößner von den Grünen im Bundestag. „Es ist absurd, wie preiswert Fleisch ist“, sagt die Sprecherin für Verbraucherschutz, „die Preise müssen die Wahrheit aussprechen“. Eine CO2-Kennzeichnung findet sie auch nicht sinnvoll, kann der Oatly-Petition aber dennoch etwas Positives abgewinnen: „Immerhin gibt es jetzt eine Anhörung. Das ist gut, weil es Aufmerksamkeit für das Thema gibt.“

Die Bundesregierung selbst unternehme schließlich nichts, um das Bewusstsein für nachhaltigere Lebensmittel zu schärfen. Es sei doch um Beispiel klar, dass alle weniger Fleisch essen müssten, aber so werde das nicht kommuniziert, sagt Rößner. Warum? „Die Bundesregierung hat die Fleischlobby im Nacken.“

Politisch hat eine CO2-Kennzeichnung also offenbar keine Rückendeckung. Nicht ausgeschlossen ist aber, dass mehr Unternehmen freiwillig dem Beispiel von Oatly folgen werden. Denn eins ist klar: Der Bekanntheit der Firma hat das offensive grüne Gewissen sicher nicht geschadet.

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