Streit um Leopard-Lieferung für die Ukraine „Ob Deutschland zur Kriegspartei wird, hängt nicht von Panzern ab“

Wo geht's hier zur Zeitenwende? Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich bei einer Übung in der Lüneburger Heide im Dezember den Leopard-2-Panzer zeigen lassen. Quelle: imago images

Keine Kampfpanzer für Kiew: Warum zaudert Olaf Scholz? Militärforscher Sönke Neitzel über Ambition und Kommunikation des Kanzlers, das Blame-Game mit der Industrie und Deutschlands Abhängigkeit von Amerika. 

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WirtschaftsWoche: Herr Neitzel, Olaf Scholz will derzeit keine Kampfpanzer vom Typ Leopard in die Ukraine liefern. Kann der Kanzler diesen Kurs trotz wachsenden Drucks aus Polen und der eigenen Koalition durchhalten – oder muss er am Ende nachgeben wie beim Schützenpanzer Marder?
Sönke Neitzel: Die Lieferung der Schützenpanzer Marder ist zwar eine neue Qualität der Unterstützung, aber ich glaube nicht, dass sich an der generellen Haltung des Kanzlers etwas ändern wird – er setzt damit eigentlich auch nur den Kurs fort, den es in den vergangenen 30 Jahren in Deutschland in Kriegs- und Krisenfragen gegeben hat.

Und zwar?
Auch die vorherigen Bundesregierungen haben immer erst dann reagiert, wenn der äußere Druck massiv wurde und sie quasi zum Handeln gezwungen worden sind. So wie 1998 beim Kosovo-Krieg und bei den Kampfeinsätzen in Afghanistan. Deutschland ist immer in der Mitte oder am Ende des NATO-Konvois gefahren und will dort eigentlich auch gerne bleiben.

Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine ist allerdings eine „Zeitenwende“, wie Scholz selbst sagt. Wie passt das mit seinem Zögern und Zaudern bei den Waffenlieferungen zusammen?
Scholz hat in seiner Rede am 27. Februar zwar eine Zeitwende ausgerufen, aber was wir seither erleben, ist doch eher eine Salami-Taktik. Die Marder-Lieferungen sind dafür das beste Beispiel. Warum die Schützenpanzer genau jetzt geliefert werden können, aber nicht schon vor drei oder vier Monaten, kann die Regierung nicht nachvollziehbar erklären. Da werden hanebüchene Begründungen bemüht, dass man eine Eskalation des Kriegs zuvor vermeiden wollte – aber die Wahrheit ist: Deutschland will sich jetzt nicht isolieren. Das wäre nämlich der Fall, wenn die Amerikaner und Franzosen Späh- und Schützenpanzer liefern, aber Scholz sich weiter bei den Mardern geweigert hätte.

Zur Person

Scholz rechtfertigt seine Zurückhaltung damit, keine Alleingänge machen zu wollen – gleichzeitig nennt er seine Ukraine-Politik führungsstark. Was stimmt denn nun? 
Was Scholz sagt, ist sicherheitspolitisch unambitioniert. Er versteckt sich hinter den USA, veranstaltet ein großes Gezaudere um den Ringtausch – und das soll Führungsstärke sein? Was Scholz bietet, ist insbesondere kommunikativ schwach – und dadurch steht die Regierung, dadurch steht Deutschland schlechter da, als es angebracht wäre. Denn Bund und Länder leisten ja bereits Hilfe in großem Umfang, nicht nur mit der Lieferung von Waffen, sondern auch durch Wirtschaftshilfe und die Aufnahme der Flüchtlinge.

Und kommt nun weitere Hilfe in Form von Leopards dazu?
Das hängt vom weiteren Kriegsverlauf ab und vom Druck der Amerikaner. Wenn sie ihren Kampfpanzer Abrams liefern, dann geht womöglich auch Deutschland mit den Leopards mit. Allerdings ergeben die Abrams wenig Sinn, weil sie einen so enormen Spritverbrauch haben, der mit der Logistikkette der Ukrainer nur schwer zu bedienen ist.  Die dieselbetriebenen Leopard-2-Panzer würden der Ukraine deutlich mehr helfen.

Ein Kampfpanzer wäre allerdings noch einmal eine andere Kategorie als Schützenpanzer.
Die Polen haben der Ukraine längst modernisierte T-72-Panzer geliefert, die sind durchaus mit den Leopards 2 A4 vergleichbar. Deshalb ist das ewige Zögern mit den Kampfpanzern militärisch nicht schlüssig zu begründen. Die Spanier wollen auch Leopards liefern, Scholz lässt sie aber noch nicht. Ich würde mir wünschen, dass Deutschland zumindest in Europa eine Führungsrolle einnimmt. Wir sind zusammen 450 Millionen Menschen, die eine eigene Verantwortung haben und diese auch stärker wahrnehmen sollten. Aber der Kanzler scheint sich ohne die Amerikaner wenig zuzutrauen.

Scholz betont immer wieder, dass Deutschland nicht Kriegspartei werden dürfe. Gibt es eine Waffe, mit der eine solche Grenze überschritten werden würde?
Ob Deutschland zur Kriegspartei wird, hängt sicher nicht von Panzerlieferungen ab. Völkerrechtlich würde Deutschland nur dann zur Kriegspartei werden, wenn deutsche Soldaten in der Ukraine gegen Russland kämpfen würden. Das wird aber nicht passieren. Die Slowakei will Flugzeuge vom Typ Mig 29 liefern, auch die Amerikaner und Briten haben bereits viel schneller und in weit größerem Umfang Waffen an die Ukraine geliefert und trotzdem zettelt Russlands Staatschef Wladimir Putin keinen Atomkrieg gegen sie an. Scholz‘ Rechtfertigung, keine Eskalation provozieren zu wollen, trägt deshalb nicht. Putins Eskalation ist keine Reaktion auf bestimmte westliche Waffenlieferungen.  

Angesichts der neuen Bedrohungslagen hat Scholz auch für die Bundeswehr eine Zeitenwende versprochen, 100 Milliarden Euro Sondervermögen sind für die Aus- und Aufrüstung vorgesehen. Wo steht die Truppe nach fast einem Jahr?
Eine echte Bilanz werden wir erst kurz vor der nächsten Bundestagswahl ziehen können, wenn wir sehen, was 2025 auf dem Hof steht. Aber ich bin wenig optimistisch. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat ja bereits gesagt, dass es keine großen Reformen geben wird. Wie dann eine Zeitwende gelingen soll, ist mir ein Rätsel. Dabei wäre eine Erneuerung der Bundeswehr der Beweis dafür, dass sich unser Staat evolutionär weiterentwickeln kann, wir haben hierzulande schließlich viele erhebliche Bürokratieprobleme, etwa bei der Digitalisierung, beim öffentlichen Bauen und der Deutschen Bahn. Wahrscheinlich muss man auf ein Wunder hoffen.

Schneller schlau: Bundeswehr

Wunder gibt es zwar immer wieder, aber darauf zu vertrauen, hat bisher wenig gebracht – gerade mit Blick auf das Beschaffungswesen. Ist das zuständige Amt in Koblenz mit seinen fast 7000 Stellen unreformierbar?
Das Beschaffungswesen ist sicher nicht unreformierbar, aber bisher fehlt offensichtlich der politische Wille, diese Mammutaufgabe anzugehen. Dabei gibt es auf diesem Feld viele Regeln, die der Effizienz im Wege stehen und schnell beseitigt werden könnten. Etwa die 25-Millionen-Euro-Regel, wonach alle Beschaffungen und Investitionen über dieser Höhe vom Haushaltsausschuss des Bundestags genehmigt werden müssen. Das ist ein Relikt des Kalten Kriegs und inzwischen Unsinn. Aber um das anzugehen, braucht es den politischen Willen von Regierung und Parlament – und den scheint es nicht zu geben.  

Dass es nicht nur bei der Beschaffung Probleme gibt, sondern auch im Bestand, hat sich zuletzt bei den Pannen um die ausgefallenen Puma-Panzer gezeigt. Rüstungsindustrie, Bundeswehr und Politik schieben sich die Schuld gegenseitig zu. Ist das Blame-Game in diesem Ausmaß neu?
Das Verhältnis zwischen Rüstungsindustrie und Verteidigungspolitik bewegt sich seit jeher in einem Spannungsfeld. Einerseits muss die Kreativität der Industrie erhalten werden, andererseits soll sie die überkomplexen Wünsche der Truppe erfüllen – und das alles in einem Budget, das zumindest in den vergangenen Jahren immer knapper wurde. Deshalb verspricht die Industrie oftmals mehr Dinge als sie halten kann. 

Was muss passieren, damit sich Rüstungsindustrie, Bundeswehr und Politik erfolgreich gemeinsam der Zeitwende widmen?
Es gibt bisher keine klare Strategie für die deutsche Rüstungsindustrie. Selbstverständlich hat die Industrie Eigeninteressen, sie neigt zuweilen zum Over-Enegineering. Aber es ist an der Politik das Beschaffungswesen sinnvoll zu strukturieren. Meines Erachtens gibt es zu viele ad-hoc-Maßnahmen statt einen Masterplan.

Wie etwa bei der Munitionsbeschaffung?
Erst wird die Industrie beschimpft, dass sie zu wenig tut – und dann soll sie aber bitte schön in Vorleistung treten und sich auf das Versprechen verlassen, dass ihr alles abgekauft wird. Da zeigt doch jeder Betriebswirt die rote Karte. Zumal die Industrie angesichts strikter Exportbedingungen auch nur bedingt ins Ausland ausweichen und dort Geld verdienen kann.

Rüstungsexporte werden in Deutschland streng kontrolliert, die Güter dürfen nicht für Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden oder zur Verschärfung von Krisen beitragen. Die Ampel-Koalition wollte ursprünglich noch restriktiver vorgehen – das war allerdings vor Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine.
Im historischen Kontext Deutschlands sind solche Vorgaben sicher nachvollziehbar, aber dann muss man auch eine Strategie für die heimische Rüstungsindustrie haben. Jetzt soll gemeinsam mit den Franzosen das so genannte FCAS, das Future Combat Air System, ein Kampfflugzeug der sechsten Generation aufgebaut werden. Im zivilen Bereich ist der Aufbau einer europäischen Luftfahrtindustrie mit Airbus gelungen, aber im militärischen Bereich kann das unter anderem aufgrund der strengen Exportbedingungen kaum gelingen. Und die Amerikaner werden technologisch immer einen Schritt weiter sein als die Europäer. 

Sie empfehlen also, es lieber bleibenzulassen und weiter auf die Amerikaner zu vertrauen?
Zumindest in bestimmten Bereichen. FCAS ist vor allem ein politisches Projekt allein um den Willen, irgendetwas mit den Franzosen zu machen, die ihre Luftfahrtindustrie mit vielen Milliarden Euro stärken wollen. Das sollten wir bleiben lassen, sonst droht wieder ein Milliardenflop wie mit dem Kampfhubschrauber Tiger. Wir sollten uns lieber auf gemeinsame Projekte konzentrieren, die umsetzbar sind, etwa im Bereich der Flugkörper- oder Satellitentechnik.

Aber zur Zeitwende gehört doch das Ziel, insgesamt souveräner in der Verteidigungspolitik zu werden. Wird das nicht gelingen? 
Wir werden immer von den Amerikanern abhängig sein – alles andere ist eine Illusion. Mit den geringen Nuklearbeständen der Briten und Franzosen können wir uns gegen die Russen nicht verteidigen. Dass Europa eine selbstständige, abschreckungsfähige Nuklearmacht wird, werden wir im 21. Jahrhundert nicht mehr erleben. Denn dafür müssten die Rüstungsausgaben bei sechs bis sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen, Deutschland scheitert ja jetzt schon an der Zwei-Prozent-Marke. Und trotzdem müssen wir in Europa weiterkommen.

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Und wie könnte die Strategie dafür aussehen? 
Um wirklich voranzukommen, braucht es Verzicht einerseits und Kooperation andererseits: Die Deutschen könnten sich – etwas plump gesagt – auf die Fahrzeuge konzentrieren, die Franzosen auf die Luftfahrt und die Holländer auf die Werften. Aber eine solche Strategie ist nicht in Sicht. Es liegt kein Konzept vor, wie Europa in der Rüstung substanziell vorankommen könnte. So gibt es nur warme Worte.

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