Streit um Luftverschmutzung Die Gefahr aus dem Auspuff

Wegen der Luftverschmutzung in Deutschland droht die EU-Kommission mit einer Klage. Nun ist die blaue Plakette wieder im Gespräch, doch Verkehrsminister Dobrindt hält dagegen. Die Suche nach Alternativen ist schwierig.

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Staus in den Innenstädten verursachen in Deutschland zunehmend Atemwegserkrankungen. Quelle: dpa

Berlin Am Stuttgarter Neckartor herrscht dicke Luft. Im Zentrum der schwäbischen Großstadt, nur wenige hundert Meter von der Mammutbaustelle „Stuttgart 21“ entfernt, stehen die Autos dicht gedrängt. Jeden Tag gibt es Stau. Seit Jahren erzielt die Feinstaubelastung hier Rekordwerte. Auch Anfang Februar schlug der der Deutsche Wetterdienst wieder Alarm. Autofahrer werden gebeten, auf Bus und Bahn umzusteigen.

Doch während sich die Lage bei Ozon und Feinstaub zuletzt leicht verbessert hat, bleiben die Werte für Stickoxide besorgniserregend hoch. Sie attackieren Schleimhäute und Atemwege und führen zu Herz- und Kreislauferkrankungen. Die Max-Planck-Gesellschaft führt rund 7000 Tote in Deutschland auf verkehrsbedingte Luftverschmutzung zurück. Vor allem bis 2015 produzierte Dieselfahrzeuge mit Euro-Abgasnorm 5 gelten als Stickoxidschleudern – seit der VW-Affäre um manipulierte Abgaswerte mehr denn je. 2016 wurden laut Umweltbundesamt an 57 Prozent der Messstationen die Grenzwerte für Stickoxide überschritten, in Stuttgart und München sogar um das doppelte.

Aus diesem Grund hat die EU-Kommission ihre Auflagen in dieser Woche abermals verschärft. Streng pocht sie auf die Einhaltung der vereinbarten Ziele zur Luftreinhaltung. Länder wie Deutschland, Frankreich oder Italien, gegen die bereits ein Vertragsverletzungsverfahren läuft, müssen nun innerhalb von zwei Monaten überzeugende Lösungen gegen die Stickoxidbelastung präsentieren. Bleiben sie untätig, droht ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof – und den Städten und Gemeinden eine Klagewelle von Anwohnern.

Das von Barbara Hendricks (SPD) geführte Umweltministerium preschte daher im vergangenen Jahr vor und schlug mit der blauen Plakette eine ähnliche Lösung vor, wie es sie seit einigen Jahren in den bundesweit über 50 Umweltzonen gibt: Zufahrt nur bei geringem Schadstoff-Ausstoß. Kommunen stünde demnach frei, zukünftig nur noch Dieselautos mit Euro-6-Norm in die Innenstädte zu lassen. Fahrzeuge älteren Baujahrs müssten dann draußen bleiben, selbst Lieferwagen könnten betroffen sein.

Doch das Vorhaben wurde durch das Veto von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) vorerst beerdigt. Noch vor wenigen Wochen bekräftigte er seine Skepsis gegenüber Einfahrverboten aller Art. Stattdessen müssten vor allem Busse, Taxen und Lieferwagen sauberer gemacht werden, etwa indem sie auf Elektromobilität umgestellt werden.

Nicht nur der Tadel aus Brüssel, auch die Grün-Schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg hält die Debatte um die blaue Plakette am Laufen. So hatten sich CDU und Grüne im Koalitionsvertrag darauf verständigt, „auf Bundesebene die Planungen zur Einführung einer blauen Plakette konstruktiv zu begleiten“. In der Bundestagsfraktion der Grünen stößt das erwartungsgemäß auf viel Gegenliebe. So lud die Partei am vergangenen Montag zahlreiche Experten zum Fachgespräch „Luft zum Atmen“ nach Berlin, um die blaue Plakette und andere Lösungen für die Stickoxidproblematik zu diskutieren.


Verunsicherung der Bevölkerung befürchtet

Man könne von 95 Prozent geringeren Grenzwertverstößen ausgehen, prognostizierte Christoph Erdmenger, Leiter der Abteilung „Nachhaltige Mobilität“ im Baden-Württembergischen Verkehrsministerium. Zwar sei die Plakette nur eine Lösung mit einigen Nebenwirkungen, aber es müsse die Losung gelten: „besser früh als perfekt“. Gerd Lottsiepen, Sprecher beim Verkehrsclub Deutschland, schloss sich diesem Urteil an: „Wir wollen saubere Luft und die Städte brauchen die blaue Plakette als Notmaßnahme“.

Dem widersprach Hauke Dierks vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag. Die Plakette sei keine langfristige Lösung auch die extremen Kosten sprächen gegen die Maßnahme. Zudem würde die Bevölkerung verunsichert und führe die Plakette bloß zur Veräußerung alter Dieselfahrzeuge an Menschen im Umland.

Carsten Hansen vom Deutschen Städte- und Gemeindebund warnte davor, den Streit um die Stickoxide nicht zu einer „Panik-Diskussion“ werden zu lassen. Schließlich fordere die Grippe eine ähnliche Zahl von Todesopfern. Detlef Raphael vom Deutschen Städtetag zeigte sich bei der blauen Plakette gesprächsbereit, äußerte aber zugleich Kritik: Solche de-facto-Fahrverbote brächten bloß Verlagerungseffekte mit sich. Das gelte genauso bei abwechselnden Zugangssperren für gerade und ungerade Kennzeichenziffern. Vielmehr müsse man an der Quelle ansetzen, so Raphael. Dringend geboten seien eine Reform der PKW-Besteuerung, mehr Mittel für den öffentlichen Personennahverkehr und die Umrüstung alter Dieselbusse.

Die Modernisierung von Taxen und kommunalen Busflotten fordert seit jeher auch das Bundesverkehrsministerium. Carsten Hansen gab jedoch zu bedenken, dass hier 36.000 Busse gut 50 Millionen Privatfahrzeugen gegenüberstünden. Klaus Emmerich von den Berliner Verkehrsbetrieben sieht jedoch beim Verkehrsfluss die größere Baustelle.

Die Durchschnittsgeschwindigkeit von Linienbussen sei in den letzten fünf Jahren immer weiter gesunken. Würde man den Verkehrsfluss mit Ausnahme der Haltestellen aufrechthalten, ließen sich die hohen Stickoxidemissionen beim Anfahren vermeiden – Stichwort „grüne Welle“.

Erdmenger vom Stuttgarter Verkehrsministerium präsentierte mit subventionierten Nahverkehrstickets für Stadtbewohner einen weiteren Vorschlag im Kampf gegen die Luftverschmutzung. Das sei notwendig, weil die Umstellung von Taxen, Paket- und Pflegediensten auf Elektromotoren eine Stickoxidreduktion von nur vierzehn Prozent erwarten lasse. Zudem müssten die Parktickets teurer werden. Das ähnelte den Lösungsvorschlägen mehr Radwege und mehr Carsharing, die zuvor der Vertreter des Deutschen Städte- und Gemeindebundes eingebrachte hatte.

Denn was der blauen Plakette vergönnt ist, gelingt zumindest Parkraumbewirtschaftung und grüner Mobilität: einen parteiübergreifenden Konsens zu erzielen.

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