Streit um Sachverständigenrat Wir brauchen keinen Rat der Claqueure

Das Ausscheiden von Lars Feld (Mitte) aus dem Sachverständigenrat offenbart die wachsende Politisierung des wichtigen Beratergremiums, dessen Mitglieder von der Bundesregierung vorgeschlagen werden. Ein neues Berufungsverfahren könnte Abhilfe schaffen.  Quelle: dpa

Lars Feld als Chef der Wirtschafsweisen muss gehen. Der Streit um die Besetzung des Rates der Wirtschaftsweisen offenbart die ordnungspolitische Orientierungslosigkeit der Politik. Ein Kommentar.

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Nun steht es also fest. Lars Feld, der Chef der Wirtschaftsweisen, muss seinen Platz an der Spitze der wichtigsten Wirtschaftsberater der Regierung räumen. Weil Feld der SPD zu wirtschaftsliberal ist, blockiert sie dessen Vertragsverlängerung. Die sozialdemokratisierte CDU hat nicht die Kraft und den Willen, Feld gegen den Widerstand der SPD im Rat zu halten. Der Streit um die Besetzung des Sachverständigenrats (SVR) ist bezeichnend für die ordnungspolitische Orientierungslosigkeit der politischen Klasse. 

Einst war die Berufung in den 1963 gegründeten Sachverständigenrat ein Qualitätsausweis erster Güte, der ökonomische Ritterschlag gewissermaßen. Entsprechend hoch war das Ansehen der Wirtschaftsweisen in der Öffentlichkeit – und in der Politik. Grundsätzlich steht und fällt die Güte eines Beratergremiums mit der Wertschätzung, die die Politik kritischen Zwischenrufern entgegenbringt. Genau daran mangelt es seit Jahren. Das ist nicht nur die Folge einer unter der Arroganz des Primats der Politik herangezüchteten chronischen Beratungsresistenz der Politiker, sondern auch des zunehmend politisierten Auswahlprozesses für den Rat. 

Keine Laus im Pelz mehr

Wenn Geschlechterproporz und ökonomische Stromlinienförmigkeit gekoppelt mit parteipolitischer Nähe die Berufung in den Rat bestimmen, bleibt die wirtschaftspolitische Durchschlagskraft, die den Gutachten einst innewohnte, auf der Strecke. Die Gutachten wandern ungelesen in den Schrank des Kanzleramts. Die „Laus im Pelz“ der Regierung (Konrad Adenauer), das ordnungspolitische Gewissen der Nation, kann der Rat so jedenfalls nicht mehr sein. Das schmälert den Anreiz für Ökonomen, einen Ruf in den Rat anzunehmen. Nicht ohne Grund hatte Ludwig Erhard, auf dessen Initiative der Sachverständigenrat ins Leben gerufen wurde, vorgesehen, dass nicht die Politiker, sondern die Mitglieder des Rats selbst ihre Nachfolger auswählen. Erhard ahnte, dass andernfalls die Politisierung der ökonomischen Beratung nicht aufzuhalten ist. 

Nicht jeder Ökonom und nicht jede Ökonomin eignet sich für das Beratungsgeschäft. Wer heute wissenschaftlich Karriere machen will, muss in den angesehensten Fachzeitschriften publizieren. Das kostet viel Zeit und Mühen. Ebenso wie die Arbeit im Sachverständigenrat, der neben seinem Hauptgutachten nicht selten Sondergutachten anfertigt. Viele Ökonomen, vor allem jüngeren Baujahrs, sind nicht bereit, ihre wissenschaftliche Karriere für das Beratungsgeschäft zu opfern. Das Selbstverständnis eines „public economist“ (Herbert Giersch), der allein schon aufgrund seiner Alimentierung durch die Steuerzahler eine Bringschuld gegenüber der Öffentlichkeit hat, fehlt vielen Wirtschaftswissenschaftlern. 

Die immer weiter voranschreitende Verästelung des Fachs hat zudem eine Generation von Tiefbohrern und Glasperlenspielern heranwachsen lassen, deren Bereitschaft und Fähigkeit, die Breite ökonomischer Fragestellungen über ihr Spezialgebiet hinaus ins Visier zu nehmen und daraus Handlungsempfehlungen für die Politik abzuleiten, wenig entwickelt ist. Und so korreliert akademische Exzellenz in dem auf publish or perish ausgelegten Wissenschaftsbetrieb nicht unbedingt mit wirtschaftspolitischer Diskursfähigkeit. 

Ein anderer Berufungsmodus 

Um den Sachverständigenrat aus den Klauen der Politik zu befreien, wäre es überlegenswert, das Berufungsverfahren radikal auf das ursprünglich vorgesehene Kooptationsverfahren umzustellen. Die Mitglieder des Rats berufen dann selbst neue Mitglieder, so wie sie jetzt darüber entscheiden, wer aus ihrer Mitte Vorsitzender wird. 

Sicher, auch ein solcher Berufungsmodus wäre keine Garantie für eine Renaissance ordnungspolitischen Denkens. Die systemische Abhängigkeit universitärer Forschung von staatlichen Mitteln und Gutachten hat im Laufe der Jahrzehnte die Bereitschaft vieler Ökonomen, die Aufgabenpalette des Staates grundsätzlich in Frage zu stellen und dem Markt eine Bresche zu schlagen, sediert. Das Mitschwimmen im Strom des etatistischen Zeitgeistes zahlt sich halt eher (in barer Münze) aus als das Gegenstromschwimmen.

 

Dennoch wäre das Kooptationsverfahren ein Weg, der wachsenden Politisierung der wirtschaftspolitischen Beratung Einhalt zu gebieten. Pfeift die Regierung hingegen auf unabhängigen und kritischen Rat und zieht es vor, sich mit Claqueuren zu umgeben, wäre es ehrlicher, den Rat als externes Gremium abzuschaffen und sich - wie die US-Regierung - durch parteinahe Haus- und Hofökonomen direkt im Kanzleramt beraten zu lassen. Dann aber stellt sich die Frage, ob die Steuerzahler dafür ihr Geld hergeben sollten.

Mehr zum Thema: Lars Feld Chef der Wirtschaftsweisen, warnt vor hysterischen Attacken auf Impfstoffhersteller – und sieht Deutschland frühestens 2024 wieder auf dem alten Wachstumspfad.


 

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