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Streit um Tarifeinheit Umstrittenes Gesetz auf der Zielgeraden

Nach dem Willen der Bundesregierung soll in einem Betrieb nur noch der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern gelten. Am Freitag könnte das umstrittene Gesetz verabschiedet werden.

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"Ein ganzes Land in Geiselhaft"
Bundeskanzlerin Angela Merkel empfiehlt ein Schlichtungsverfahren zur Beendigung des Tarifkonflikts. "Es gibt auch die Möglichkeit der Schlichtung, wenn beide Partner zustimmen", sagte die Kanzlerin am Mittwoch in Berlin. Dies hatte die Deutsche Bahn zuvor angeboten. "Ich kann nur an das Verantwortungsbewusstsein appellieren, hier Lösungen zu finden, die für uns als Land einen möglichst geringen Schaden haben - bei aller Wahrung des Rechts auf Streik." Streiks seien eine Möglichkeit der tariflichen Auseinandersetzung, sie müssten aber verhältnismäßig sein, sagte Merkel weiter. Ob dies der Fall sei, darüber könne letztlich nur ein Gericht entscheiden. "Aber es gibt eine Gesamtverantwortung", mahnte Merkel. Gerade im Bereich der Daseinsvorsorge wie dem Verkehr, wo Millionen Bürgern betroffen seien und es um die Zukunft der Wirtschaft gehe, sei von allen Beteiligten ein hohes Maß an Verantwortung notwendig. Quelle: REUTERS
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat die Bahn dazu aufgerufen, notfalls vor Gericht zu ziehen. Der Streik sei unverhältnismäßig und überstrapaziere die Akzeptanz der Bevölkerung in Tarifauseinandersetzungen, sagte Dobrindt am Mittwoch. "Und deswegen muss man, wenn es jetzt nicht zu einer Schlichtung kommt, die Rechtsposition der Bahn wahrnehmen und muss alle Rechtsmittel nutzen." Wenn die Verhältnismäßigkeit nicht gegeben sei, könne dies auch vor Gericht geklärt werden, fügte der CSU-Politiker hinzu. In einem Tarifkonflikt müsse in besonderer Weise auf die Auswirkungen auf Dritte Rücksicht genommen werden. Dobrindt schloss nicht aus, dass die von der Bahn ins Spiel gebrachte Vermittlung durch zwei unabhängige Schlichter zustande kommen könne. Er halte dies für ein "seriöses Angebot", durch das es möglich sei, zu einem Ergebnis zu kommen. Er stehe in direkten Gesprächen mit dem Staatskonzern, fügte der Minister hinzu. Quelle: REUTERS
SPD-Chef Sigmar Gabriel hat die GDL ungewöhnlich scharf attackiert und einen Schlichter zur Beilegung des Konflikts gefordert. Er warf der GDL Missbrauch des Streikrechts vor. "Das Streikrecht wurde in den letzten 65 Jahren in Deutschland von den DGB-Gewerkschaften immer verantwortungsbewusst genutzt - und nur dann, wenn es um Arbeitnehmerinteressen ging", sagte er der "Bild"-Zeitung. "Die GDL hat sich von diesem Prinzip verabschiedet." Den Funktionären gehe es nicht um höhere Löhne oder bessere Arbeitsbedingungen, sondern um Eigeninteressen. "Ich appelliere an die Funktionäre der GDL, an den Verhandlungstisch zurückzukommen", sagte Gabriel. Nötig sei jetzt Verantwortungsbewusstsein auf allen Seiten und ein Schlichter oder Vermittler, um den drohenden volkswirtschaftlichen Schaden abzuwenden. Die SPD steht dem Gewerkschaftslager und vor allem dem DGB gewöhnlich sehr nahe. Quelle: dpa
"visitBerlin"-Geschäftsführer Burkhard Kieker sagte, er könne die Politik des GDL-Vorsitzenden Claus Weselsky nicht nachvollziehen. "Das scheint ein Profilneurotiker zu sein, der ein ganzes Land in Geiselhaft nimmt." Quelle: REUTERS
Die Deutsche Bahn hält den angekündigten erneuten Lokführerstreik für „reine Schikane“. „Dieser Streikaufruf macht nur noch sprachlos“, sagte Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber. Das Unternehmen plant wie bei den vorherigen Streiks einen Ersatzfahrplan. So soll etwa ein Drittel des sonst üblichen Zugverkehrs angeboten werden können. Quelle: dpa
"Was derzeit bei der Bahn passiert, ist Gift für den Standort Deutschland", sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Deutsche Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Achim Dercks. "Neben dem Ärgernis für Urlauber führen Streiks im Güterverkehr bereits nach wenigen Tagen zu Produktionsstörungen, weil Bahntransporte oft nicht kurzfristig auf Straßen oder Schiffe verlagert werden können." In Schlüsselbranchen wie der Automobilindustrie sei die Produktionskette komplett auf Just-in-time-Produktion ausgerichtet, bei der Zuliefer- und Produktionstermine genau aufeinander abgestimmt seien. "Warenlager helfen nur die ersten Tage, dann stockt die Fertigung", sagte Dercks. Quelle: dpa
Das Verständnis der Pendler hält sich in Grenzen. Quelle: Screenshot

Mit der geplanten Verabschiedung des Gesetzes zur Tarifeinheit rückt auch eine höchstrichterliche Überprüfung der umstrittenen Regelungen in Karlsruhe immer näher. „Wir werden das Gesetz auf jeden Fall vor das Bundesverfassungsgericht bringen“, sagte der Vorsitzende des Beamtenbundes dbb, Klaus Dauderstädt, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Die Arbeitgeber betonten hingegen, die Tarifeinheit sei zwingend nötig. In der Koalition gab man sich gelassen.

Union und SPD wollen das Gesetz am Freitag trotz Widerstands in den eigenen Reihen im Bundestag beschließen. Das Regelwerk soll verhindern, dass Gewerkschaften in einem Betrieb künftig weiter um dieselben Beschäftigtengruppen kämpfen. Nur noch der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern soll gelten. Unter anderem der dbb, die Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB) und die Opposition werten das als Angriff auf das Streikrecht. Auch der MB hatte Verfassungsklage angekündigt.

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer sagte hingegen, gerade die Wiederherstellung der Tarifeinheit sei ein wichtiger Beitrag für eine funktionierende Tarifautonomie. 2010 hatte das Bundesarbeitsgericht das über Jahrzehnte gültige Prinzip der Tarifeinheit gekippt.

„Die wesentliche Aufgabe der Tarifautonomie ist es, die Arbeitsbeziehungen zu ordnen und zu befrieden“, sagte Kramer der Deutschen Presse-Agentur. Tarifkollisionen führten zu widersprüchlichen Regelungen, die sich im Betrieb nicht umsetzen ließen. „Vielmehr tragen sie Streit in die Belegschaften.“

Damit verliere der Flächentarifvertrag seine befriedende Funktion und die Tarifautonomie ihre Akzeptanz, mahnte Kramer. „In den letzten Jahren haben die Tarifpartner die Tarifverträge in vielen Branchen grundlegend modernisiert.“ Die Arbeitgeber wollten daran weiter arbeiten. „Die Tarifeinheit ist dafür eine wichtige und unverzichtbare Basis.“

Der Chef der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Fraktion, Peter Weiß, warf Kritikern maßlos übertriebene Polemik aus organisationspolitischen Gründen vor. „Kaum eine Gewerkschaft wird es auf Tarifkollisionen ankommen lassen“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Kleinere Gewerkschaften würden stattdessen die Möglichkeiten nutzen, die ihnen der Gesetzgeber gebe. Sie können eine Tarifgemeinschaft eingehen, sich auf bestimmte Beschäftigtengruppen beschränken oder einen Tarifvertrag aushandeln, der dem der größeren Gewerkschaft inhaltlich gleicht.

Dauderstädt entgegnete: „Das Tarifeinheitsgesetz wird den Betriebsfrieden nicht erhöhen. Warum sollte sich eine größere Gewerkschaft im Vorfeld mit der kleineren über tarifliche Regelungen einigen, wenn die kleinere auch einfach ausgeschaltet werden kann?“ Kommt das Gesetz, werde es vielmehr ein Hauen und Stechen geben. „Die Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften wird zunehmen.“ Jede Gewerkschaft wird auf jeden Fall verhindern wollen, als kleinere in ihrer Existenz bedroht zu werden.

Katja Mast, Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion für Arbeit und Soziales, sagte der dpa, das Gesetz taste das Streikrecht nicht an. „Es geht darum, Tarifkollisionen insgesamt zu vermeiden.“

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