Streitgespräch Braucht Deutschland Rundfunkgebühren?

Die Rundfunkgebühr steigt. Das sorgt regelmäßig für Unmut in der Bevölkerung. Quelle: dpa

18,36 Euro Gebühr kostet der öffentlich-rechtliche Rundfunk jeden Monat. Weniger würde auch reichen, meint der Ökonom Justus Haucap. Kommunikationswissenschaftler Walter Hömberg sieht das anders. Ein Streitgespräch.

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WirtschaftsWoche: Herr Haucap, Boris Johnson und die britische Kulturministerin Nadine Dorries wollen der BBC die Finanzierung streichen. Wäre eine komplette Privatisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland denkbar?

Haucap: Eine komplette Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist aus verschiedenen Gründen kaum vorstellbar. Man muss aber auch zwei Dinge auseinanderhalten: Zum einen die Finanzierung durch Gebühren im Allgemeinen und zum anderen den Umfang der Finanzierung der deutschen Sender. Und ja, da bin ich durchaus ein Freund davon, ARD und ZDF zu verschlanken und zugleich bei der Finanzierung modernere Dinge auszuprobieren. Ein bisschen Wettbewerb bei der Finanzierung täte dem Öffentlich-Rechtlichen beispielsweise ganz gut.

Hömberg: Lassen Sie mich zuerst den Hintergrund meiner Position erklären: Ich halte den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für eine der bedeutendsten kommunikationspolitischen Innovationen der Nachkriegszeit! Ein Rundfunk frei von Markt und Staat war das Ziel, ein Rundfunk, der von den Bürgern finanziert und kontrolliert wird. Das jetzige System der Finanzierung durch Gebühren hat sich insgesamt bewährt.

Haucap: Ich will gar nicht bestreiten, dass der Aufbau und die Finanzierung des deutschen ÖR durch Gebühren nach dem Vorbild der BBC die beste Version nach dem Krieg darstellte. Mittlerweile herrscht aber ein Dilemma. Wie das häufig so ist, hat die am Anfang tolle Institution des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein Eigenleben entwickelt und sich zunehmend vom Zweck ihrer Gründung entfernt. ARD und ZDF senden mittlerweile an einem erheblichen Teil der Bevölkerung vorbei: Besonders die Jungen schauen eigentlich kein öffentlich-rechtliches Fernsehen mehr. Zudem gibt es ein starkes Ost-West-Gefälle beim Konsum und bildungsferne Schichten gucken auch weniger Inhalte der ÖR-Anstalten. Ein bisschen salopp kann man sagen: Wieso sollen die Jungen und weniger Gebildeten dem alten, westdeutschen Bildungsbürger über ihre Gebühren das Fernsehen finanzieren?

Hömberg: Diese Argumentation ist sehr holzschnittartig!

Haucap: Ja, das stimmt. Aber die Diskussionen über die Gebühren, die kommen ja nicht von ungefähr.

Hömberg: Ja gut, aber wenn Sie jetzt mal die Einschaltquoten und die Marktanteile des letzten Jahres heranziehen, da hatten die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender mehr als 50 Prozent Marktanteil. Dabei hat das öffentlich-rechtliche System auch die Aufgabe, Minderheiten anzusprechen, und natürlich gucken bei Kultursendungen weniger Leute zu als bei Unterhaltung und Sport. Und wenn es wirklich ernst wird, also wenn Kriege, Katastrophen oder wie jetzt die Pandemie auf die Menschheit hereinbrechen, dann haben die öffentlich-rechtlichen Sender die höchsten Einschaltquoten, weil die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in solchen Situationen am höchsten sind.

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Haucap: Da bin ich ja bei Ihnen. Niemand wird sagen, dass in ARD und ZDF weniger Nachrichten oder Kultur laufen sollen! Aber wenn man sich dann natürlich anguckt, was faktisch passiert, dann geben die Sender vor allem viel Geld für die Übertragung von Sport aus. Helene-Fischer-Shows und Ähnliches - sagen wir Unterhaltungsprogramme - sind auch relativ teuer. Früher konnte man das begründen, aber mit Netflix und dem Internet wird es schwierig. Hier könnte man schon Geld sparen.

Hömberg: Ich sehe einen Widerspruch in Ihrer Argumentation. Einerseits sagen Sie, es wird zu wenig geschaut, beziehungsweise der öffentlich-rechtliche Hörfunk und das Fernsehen wird nur von einem kleinen Teil genutzt. Andererseits sagen Sie, massenwirksame Sendungen wie Sportübertragungen soll man kürzen. Sie kennen gewiss die Rundfunk-Gesetzgebung des Bundesverfassungsgerichts, die ist ja entscheidend für die Rundfunk-Organisation in der Bundesrepublik. Da wird dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorgeschrieben, die Grundversorgung zu betreiben. Grundversorgung heißt nicht nur Nudeln und Kartoffeln, da gehört auch eine Nachspeise dazu. Eben das volle Programm – mit Sport und massenwirksamer Unterhaltung.

Haucap: Es gab auch Zeiten, da haben ARD und ZDF nicht die Rechte der Fußballübertragung bekommen. Da hat das Bundesverfassungsgericht auch nicht interveniert. Aber ja, es gibt bestimmte Inhalte, die wir für förderungswürdig erachten, insbesondere Information und Bildung. Bei diesen Themen könnte ohne öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein Marktversagen bestehen. Es ist gut, dass es öffentlich-rechtliche Nachrichten gibt. Da habe ich den Eindruck, dass es dafür eine ganz breite Zustimmung gibt.

Hömberg: Sie als Wirtschaftswissenschaftler kennen ja den Begriff der meritorischen Güter. Es gibt eben Bereiche wie Kultur und Bildung, die sich für einen Sender nicht rechnen. Ich halte das aktuelle Finanzierungsmodell über Gebühren für das Beste für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Herr Haucap, Sie haben den Stein ins Wasser geworfen, Sie wollen das System ändern. Was wäre denn die bessere Alternative?

Haucap: Ein Abo-Modell wäre besser, wobei ich mich auch fragen müsste, ob ARD und ZDF das machen müssen? Ich meine, die Abo-Modelle gibt es ja bereits. Mir geht es eigentlich auch nicht darum, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk komplett abzuschaffen, sondern vielmehr spürbare Elemente von Wettbewerb im System einzuführen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zudem wieder etwas mehr auf den eigentlichen Kern seines Handels zurückzuführen: eben Information, Bildung und Kultur. Das funktioniert auch mit weniger Gebühren. Verteilungspolitisch wäre zudem eine Steuerfinanzierung dem Gebührenmodell wohl vorzuziehen. Die Rundfunkgebühr ist sehr regressiv. Weniger Betuchte zahlen genau das gleiche wie Leute, denen es sehr gut geht.

Macht eine Steuerfinanzierung die Anstalten nicht erpressbar?

Haucap: Die Justiz in Deutschland wird auch aus dem Staatshaushalt bezahlt. Ist die dann auch erpressbar? Das Bundeskartellamt wird auch aus dem Staatshaushalt bezahlt. Ich habe den Eindruck, dass die Justiz und das Bundeskartellamt sehr unabhängig arbeiten und nicht erpressbar sind.

Hömberg: Dieser öffentlich-rechtliche Rundfunk ist der Rundfunk der Bürger. Deshalb kontrollieren ihn die Bürger über die pluralistisch zusammengesetzten Rundfunkräte. Diesen Grundgedanken muss man auch bei der Finanzierung berücksichtigen. Insofern würde ich das Prinzip der Finanzierung durch Gebühren nicht ändern.

Haucap: Also bei der Finanzierung wäre ich auch nicht dogmatisch. Eine Gebührenfinanzierung hat Vor- und Nachteile. Was mich mehr umtreibt, ist der der Umfang. Ist wirklich alles notwendig, was der Rundfunk heute sendet? Nicht alle Bürger, sagen wir es einmal vorsichtig, sind davon überzeugt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Rundfunk der Bürger ist. Manche habe sich da schon entfremdet.

Wieso entfremdet? Wegen mangelnder Transparenz bei der Finanzierung?

Haucap: Fehlende Transparenz gehört sicherlich dazu. Und es ist natürlich so, dass es dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland finanziell gut geht. Der ist durch die Gebühren auch krisenfest im Gegensatz zu vielen anderen Medien. Und durch ökonomische Theorien weiß man, wenn man in Situationen ist, wo man eigentlich als Quasi-Monopolist auf die Wünsche der Bürger, sozusagen der Verbraucher, nicht mehr eingehen muss, dann wird man auch nicht besonders responsiv und innovativ.

Hömberg: Wir haben kein Monopol beim Rundfunk, sondern ein duales System aus privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern! Es gibt also schon Konkurrenz für ARD und ZDF. Aber gut, Kritik am ÖR-Rundfunk ist legitim und auch notwendig. Ich würde sagen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht kritische Sympathisanten. Aber bleiben wir doch bei der Finanzierung. Der monatliche Rundfunkbeitrag beträgt 18,36 Euro, das ergibt im Jahr etwa 220 Euro Beitrag. Eine Tageszeitung kostet leicht das Dreifache! Und wenn ich die Fülle an Angeboten samt Dritten Programmen, Arte, Phoenix, 3sat und mehr als 50 Hörfunkprogrammen heranziehe, ist das doch wirklich nicht teuer!

Wieso braucht es denn das ZDF und die ARD? Wieso denn nicht nur die ARD?

Hömberg: Das hat historische Gründe. ARD und ZDF sind zudem eine gesunde Konkurrenz zueinander. Natürlich kann man sich darüber ärgern, wenn etwa eine Königshochzeit parallel ausgestrahlt wird. Und bei gewissen Dingen, wie etwa bei Olympischen Spielen, kann man auch nicht verstehen, dass am Montag die ARD dran ist und am Dienstag das ZDF und zwei große Teams vor Ort sind. Aber insgesamt gilt: Konkurrenz belebt das Geschäft.
Haucap: Auf Grund unserer föderalen Verfasstheit würde es sich eher anbieten, das ZDF zu verkaufen, falls es jemand haben will. Ich würde mal eine Zahl in den Raum werfen. Wir haben tatsächlich pro Kopf der Bevölkerung die teuersten Sender der Welt. Mit ungefähr 100 Euro pro Kopf liegen wir an der Spitze.

Hömberg: In Österreich variiert die Rundfunkgebühr nach Bundesländern. Im Durchschnitt ist sie deutlich höher als in Deutschland. In der Schweiz sind es 335 Franken jährlich. Also wir liegen gar nicht an der Spitze. Ich habe zu wenig Argumente gehört, das jetzige gebührenfinanzierte System zu ändern!

Haucap: Schauen Sie! Die Spannungen in der Bevölkerung aufgrund der Finanzierung steigen. Ich habe den Eindruck, dass die Diskussion, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu viel Geld der Bürger verschlingt, bleibt. Vor allem die Jungen schauen weniger öffentlich-rechtlichen Rundfunk und sie werden auch im Alter vermutlich nicht zurückkehren. Daher wird der Reformdruck bei den Sendern dableiben. Hinzu kommt natürlich, dass bei konservativen Kreisen die Begeisterung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geschwunden ist. Es rumort, weil einige davon überzeugt sind, dass konservative Inhalte zu wenig vorkommen.

Hömberg: Also da muss ich schon widersprechen! Die ARD hat im Jahre 2020 eine neue Akzeptanzstudie durchführen lassen, und dabei ist herausgekommen, dass rund 93 Prozent der deutschsprachigen Erwachsenen mindestens einmal pro Woche den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nutzen und 82 Prozent sogar täglich. Und bei der Frage nach der Bewertung, da werden Qualität, Vielfalt und Orientierungsleistung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vom Publikum generationenübergreifend sehr geschätzt. Und was die politische Einordnung betrifft, so etwas gab es immer wieder, der linke WDR und so weiter. Aber ich denke, es kommt auf die journalistische Professionalität an und die ist im öffentlich-rechtlichen Rundfunk doch sehr gut.

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