Ist es gerecht, dass jeder zweite Deutsche so gut wie keinen Besitz hat?
Schroeder: Sie können Menschen nicht zwingen, Vermögen zu bilden. Ich habe es immer für falsch gehalten, dass Gewerkschaften die Beteiligung der Arbeitnehmer an Unternehmen bekämpft haben, weil sie keine zu starke Bindung an die Betriebe wollten. Aber heute entsteht Vermögen eben zumeist über angelegtes Kapital. Ich würde hier für eine Kehrtwende plädieren.
Die exemplarischen Auswirkungen einer Vermögenssteuer
Ein Handwerker, Alleingesellschafter der Bäcker GmbH, erwirtschaftet einen jährlichen Gewinn von 50 000 Euro. Nach dem Ertragswertverfahren (Kapitalisierungsfaktor 14,4) taxiert das Finanzamt den Wert des Betriebes auf 720 000 Euro.
Die Bäcker GmbH wird nach dem Halbvermögensverfahren zu je 50 Prozent dem Privat- und Betriebsvermögen zugeschlagen – also jeweils 360 000 Euro. Die DIW-Studie im Auftrag von SPD-Ländern geht für das Privatvermögen von einem Freibetrag von zwei Millionen Euro aus. Für die dem Privatvermögen zugeschlagene Hälfte seines Betriebes müsste der Bäcker also keine Vermögensteuer zahlen.
Für die dem Unternehmensvermögen zugeschlagene Hälfte seines Betriebes muss der Bäcker nach Überschreiten der Freigrenze von 200 000 Euro (diese erreichen bereits kleine GmbHs mit einem Jahresgewinn von rund 28 000 Euro) voll Vermögensteuer zahlen. Für den Bäckermeister sind das jedes Jahr zusätzlich 3600 Euro Steuern.
Wagenknecht: Ich bin sehr für Belegschaftseigentum. Gut fände ich zum Beispiel, wenn bei einer Vermögensteuer – für die wir als Partei unbedingt werben – die Steuerschuld auf Betriebsvermögen entfiele, wenn die Summe stattdessen in Firmenanteile für Mitarbeiter umgewandelt würde.
Glauben Sie denn wirklich, dass plötzlich alle Gerechtigkeitsfragen gelöst wären?
Schroeder: Ungleichheit wird es immer geben. Ich frage mich in diesem Zusammenhang stets, wieso die Verteilung der Vermögen in der ehemaligen DDR sehr ähnlich strukturiert war wie heute in der Bundesrepublik. Die oberen 10 Prozent besaßen kurz vor dem Zusammenbruch etwa 60 Prozent des Geldvermögens. Das deutet darauf hin, dass es trotz unterschiedlicher Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen zu ähnlichen Gefällen kommt.
Wagenknecht: Mich interessiert die DDR wenig, die will ich nicht wiederhaben. Dass die Ungleichheit so groß gewesen sein soll wie heute, entspricht nicht meiner Erfahrung.
Schroeder: Doch – ich schicke Ihnen gerne die Aufstellung der Staatsbank der DDR von 1989/90 zu, dann können Sie das nachlesen.
Wagenknecht: Die wirkliche Spreizung der Vermögen zeigt sich erst, wenn Sie die Relation der reichsten ein Prozent zum Rest der Gesellschaft betrachten. Hier haben wir es mit einer elementaren Ungerechtigkeit zu tun.
Was meinen Sie mit elementar?
Wagenknecht: Eine gute Ordnung hat viel mit Leistungsgerechtigkeit zu tun. Niemand kann mehrere Hundert Millionen oder gar Milliarden selbst erarbeiten. Das geht nur über die Aneignung der Arbeit anderer. Umgekehrt: Wenn ich 3000 Euro brutto oder weniger verdiene – wie soll ich da je relevant Vermögen bilden?
Schroeder: Sie wollen also nicht die Mittelschicht belasten, sondern nur die, die wirklich viel Vermögen haben? Das wäre mir neu. Dann sprechen Sie über maximal ein Prozent der Haushalte. Darüber können wir uns gerne unterhalten – und ich sage Ihnen ganz offen: Ja, das oberste Hundertstel der Gesellschaft sollte mehr zum Gemeinwesen beitragen als bisher. Nur bitte tun Sie dann nicht so, als ob zur Oberschicht 10 oder 20 Prozent der Bevölkerung gehören – dem ist doch nicht so! Die echten Vermögen sind sehr stark konzentriert auf eine sehr, sehr kleine Schicht.
Wagenknecht: Ja, das ist doch gerade das Problem!
Schroeder: Das Problem ist, dass Linke, Grüne und die SPD immer die Reichen adressieren – aber schon in der Mitte anfangen zu kassieren.