Dass die deutsche Verwaltung mit dem Management der Hunderttausendfachen Zuwanderung in den Monaten der sogenannten Flüchtlingskrise überfordert war, ist offensichtlich. Nun schlagen Verwaltungswissenschaftler der Universität Kiel vor, wie dies künftig durch die Einrichtung eines Integrationsministeriums behoben werden könnte. In einer von der Vodafone-Stiftung finanzierten Studie stellen die Wissenschaftler um Christoph Brüning „Chancen und Voraussetzungen“ zusammen.
Die Chronologie der Flüchtlingskrise
Deutschland setzt das Dublin-Verfahren für Syrer aus. Es sieht die Rückführung von Flüchtlingen dorthin vor, wo sie zuerst EU-Boden betraten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nennt die Bewältigung des Flüchtlingszustroms eine „große nationale Aufgabe“ und beteuert: „Wir schaffen das.“
Deutschland und Österreich entscheiden, Tausende Flüchtlinge und Migranten aufzunehmen, die in Ungarn gestrandet sind. Bei der Ankunft in Deutschland werden sie bejubelt. CSU-Chef Horst Seehofer fühlt sich übergangen und warnt vor Überforderung.
Die EU-Staats- und Regierungschefs beschließen, die Hilfen zu erhöhen und 160.000 Flüchtlinge auf die Mitgliedsländer zu verteilen. Eine große Entlastung für Deutschland bleibt aus.
Der Bund stockt die Hilfe für Flüchtlinge an Länder und Gemeinden massiv auf.
Der Bundestag beschließt ein neues Asylrecht. Albanien, Kosovo und Montenegro werden zu sicheren Herkunftsländern. Asylbewerber sollen möglichst nur Sachleistungen erhalten.
Die Koalition verständigt sich auf besondere Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge mit geringen Bleibechancen. Zudem wird eine zweijährige Aussetzung des Familiennachzugs bei Flüchtlingen mit niedrigerem Schutzstatus beschlossen.
Auf dem CSU-Parteitag in München lehnt Merkel die CSU-Forderung nach einer Obergrenze für die Zuwanderung strikt ab.
Nach Slowenien, Kroatien und Serbien schließt auch Mazedonien seine Grenze für Flüchtlinge und andere Migranten. Damit ist die Balkanroute faktisch dicht, über die 2015 mehr als eine Million Menschen nach Deutschland und Österreich gekommen waren.
Die EU und die Türkei einigen sich darauf, Migranten, die illegal in Griechenland ankommen, in die Türkei zurückzuschicken. Im Gegenzug soll für jeden zurückgenommenen Syrer ein anderer Syrer legal und direkt von der Türkei aus in die EU kommen.
Die Rückführung von Flüchtlingen und anderen Migranten von Griechenland in die Türkei sowie die Umsiedlung von Syrern aus der Türkei in die EU beginnt.
Die EU-Kommission will Flüchtlinge gerechter verteilen. Wie viele ein Land aufnehmen muss, soll von Größe und Wirtschaftskraft abhängen. EU-Staaten, die bei dem System nicht mitmachen, sollen 250.000 Euro pro Flüchtling zahlen.
Die EU verlängert die Erlaubnis für vorübergehende Grenzkontrollen im eigentlich passkontrollfreien Schengen-Raum.
Der Bundestag erklärt Tunesien, Algerien und Marokko zu sicheren Herkunftsländern. Die notwendige Zustimmung des Bundesrates bleibt zunächst aus.
Die EU einigt sich im Grundsatz auf eine gestärkte gemeinsame Grenzschutzagentur und Küstenwache. Die bestehende EU-Grenzschutzagentur Frontex soll in der neuen Behörde aufgehen.
Die EU-Kommission will schärfer gegen Asylmissbrauch vorgehen. Wer nicht mit den Behörden des Aufnahmestaates zusammenarbeitet, müsse mit einer Ablehnung rechnen.
Die Autoren der Studie nehmen zunächst die Perspektive der Migranten ein und decken dabei entscheidende Probleme auf: ein komplexes System aus Zuständigkeiten, zahllose Ansprechpartner und teils mangelnde Kommunikation zwischen den Behörden. Sie schlagen vor, dies durch Bündelung zu bessern. „Deshalb könnte es sich empfehlen, ein Bundesintegrationsministerium zu errichten, ohne jedoch die bisherige Verteilung der Verwaltungskompetenzen zu verändern“, so Brüning. Ein solches Haus hätte seiner Ansicht nach vor allem die Aufgabe, Staat und Gesellschaft für die Bedeutung von Migration und Integration zu sensibilisieren und entsprechende Gesetzesinitiativen und Investitionsprogramme zu fördern. Auch wenn betreffende Verwaltungskompetenzen in anderen Ressorts verblieben.
Hauptargument der Studie ist der Verweis auf das positive Beispiel des Bundesumweltministeriums seit den 1980er Jahren. Wie die Integration müsse auch der Umweltschutz in den unterschiedlichsten Lebensbereichen bewältigt werden, beispielsweise in der Landwirtschaft oder im Verkehr. Für diese liegen jedoch die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen ebenfalls in anderen Ministerien. Dennoch hat das Umweltministerium erfolgreich gewirkt seit es 1986 gegründet wurde.
Dies erfolgte damals als Reaktion auf ein unerwartetes Ereignis, nämlich den Reaktorunfall von Tschernobyl, und bewirkte die Verankerung eines nachhaltigen Umweltbewusstseins in der Gesellschaft. „Heute gilt Deutschland als Weltmeister im Umweltschutz und genau diese Dynamik brauchen wir auch beim Thema Integration“, sagt der Geschäftsführer der Vodafone Stiftung, Mark Speich.