Studie Wie Deutschland Kindersoldaten bewaffnet

Eine Viertelmillion Kindersoldaten werden in mindestens 20 Ländern zum Kämpfen gezwungen. Eine Studie des Deutschen Bündnis Kindersoldaten zeigt: Dass sie bewaffnet sind, daran hat Deutschland einen großen Anteil.

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Weltweit werden 250.000 Kinder in mindestens 20 Ländern zum Kämpfen gezwungen. Quelle: dpa/picture-alliance

Düsseldorf Als Michael Davies 16 war, lockte ihn sein Onkel unter einem Vorwand in eine Kaserne in Sierra Leone. Dort drückte man ihm eine Waffe in die Hand. Fortan kämpfte er in seinem Heimatland als Kindersoldat gegen die Rebellen. Erst nach fünf Jahren, 2001, gelang ihm mithilfe von Schleusern die Flucht nach Deutschland. Doch die Albträume verfolgten ihn noch lange weiter.

Heute arbeitet er als Schulbegleiter in Hannover – und versucht auf das Leid von Kindersoldaten aufmerksam zu machen. Als die Mitglieder des Deutschen Bündnis Kindersoldaten gemeinsam mit Brot für die Welt die Studie „Kleinwaffen in Kinderhänden. Deutsche Rüstungsexporte und Kindersoldaten“ vorstellen, sitzt Davies mit auf dem Podium und fordert: „Waffenlieferungen in Konfliktregionen müssen dringend gestoppt werden, sie heizen die Konflikte an.“

Vor allem Kleinwaffen begünstigen die Rekrutierung und den Einsatz von Kindersoldaten. Kleinwaffen, also Pistolen wie die Walther P99 oder die Sig Sauer SP 2022 gelten im Genehmigungsverfahren bisher als „zivile Waffen“ , obwohl sie vielerorts militärisch verwendet werden. Die Verbreitung ist dadurch fast nicht zu kontrollieren.

Ausgerechnet Deutschland zählt seit Jahren zu den größten Kleinwaffenexporteuren und wird häufig als Nummer zwei hinter den USA geführt. Seit 2002 wurden laut der Studie Kleinwaffenexporte im Wert von 800 Millionen Euro genehmigt. Frank Mischo, Kinderrechtsexperte der Kindernothilfe und Sprecher des Bündnis Kindersoldaten, kritisiert: „Anstelle einer konsequenten Rüstungsexportbegrenzung stiegen unter Sigmar Gabriel 2016 die Genehmigungen für Kleinwaffenexporte um 47 Prozent auf 47 Millionen Euro.“ Mehr als ein Drittel davon ging in Drittländer, von denen viele in Krisengebieten mit bewaffneten Konflikten liegen.

Eigentlich dürften nach deutscher Rechtslage gar keine Waffen in Spannungsgebiete geliefert werden. Doch durch eine jahrzehntelange fahrlässige Vergabepolitik von Produktionslizenzen – in Verbindung mit einer fehlenden Endverbleibskontrolle – habe dafür gesorgt, so  die Studie, dass auch im Ausland produzierte deutsche Waffen in großen Stückzahlen in Gebieten, in denen Gewaltkonflikte, Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind.

Laut einer Emnid-Umfrage von 2016 sind 83 Prozent aller Deutschen dagegen, dass Deutschland Waffen exportiert. Das gilt insbesondere für Länder, in denen Kinder zum Kämpfen gezwungen werden. Insgesamt gibt es auch heute noch rund 250.000 Kindersoldaten weltweit. Deutsche Firmen verdienen mit Rüstungsexporten viel Geld. Im vergangenen Jahr 6,88 Milliarden Euro, im Rekordjahr 2015 war es noch eine Milliarde Euro mehr.

Durch die fehlende Endverbleibskontrolle landen darunter eben auch tausende von Pistolen und Gewehren in den Händen von Kindern, wie die Herausgeber der Studie kritisieren. Sie fordern deshalb ein restriktives Exportkontrollgesetz. „Die Studie entlarvt die Behauptung der Regierung, die deutsche Rüstungsexportpolitik sei restriktiv, als reines Wunschdenken oder bewusste Falschaussage“, sagt Ralf Willinger, Kinderrechtsexperte von Terre des Hommes.

Er fordert einen kompletten Stopp des Exports von Kleinwaffen und entsprechender Munition, wenn sich deren Verbreitung selbst bei Lieferungen an NATO- und EU-Länder als unkontrollierbar erweise. „Ein zweiter notwendiger Schritt ist ein Rüstungsexportgesetz mit rechtlich verbindlichen, einklagbaren Ablehnungskriterien“, so Willinger.

Der Studie liegt ein Bericht des UN-Generalsekretariats zugrunde. Auf der sogenannten „Liste der Schande“ der Vereinten Nationen stehen 59 bewaffnete Gruppen und Armeen aus 14 Ländern, die Kinder entweder als Soldaten missbrauchen, töten oder verstümmeln, sexuell missbrauchen oder Schulen und Krankenhäuser attackieren.

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