Studie zu AfD-Perspektiven „Die AfD steht am Scheideweg“

Die AfD ist seit ihrer Gründung in viele Landtage eingezogen. Will sie sich weiter etablieren, muss sie koalitionsfähig werden, sagen Experten. Doch davon ist sie wegen innerparteilichen Konflikten noch weit entfernt.

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Quo vadis AfD? Parteichefin Petry will koalitionsfähig werden, ihr Vize und Spitzenkandidat Gauland sieht die AfD dagegen als fundamentaloppositionelle Kraft. Quelle: AP

Berlin Wahlkämpfe treiben manchmal seltsame Blüten. Die AfD glaubt, dass sie die einzige Partei sei, die vor der Bundestagwahl noch bei den Wählern punkten könne, während die politische Konkurrenz längst schon von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ausmanövriert worden sei. Merkel nehme „den anderen die Themen weg oder verwässert sie“, sagte der AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa.

So richtig die Analyse Gaulands sein mag, hat sie nur einen Schönheitsfehler. Der AfD-Bundesvize vergisst, dass auch seine Partei in den vergangenen Monaten in Umfragen Federn lassen musste – und zweistellige Werte kaum noch möglich scheinen. Gauland räumt zwar ein, dass die Union auch Themen der AfD aufgesogen habe. Aber da seine Partei „die von der Flüchtlingskanzlerin Merkel herbeigeführte illegale Massenmigration ablehnt“, habe sie weiterhin ein „Alleinstellungsmerkmal“.

Wenn dem so wäre, würde es für die AfD womöglich wirklich besser laufen als bei anderen Parteien. Doch eine Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung im Auftrag der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung zeichnet ein anderes Bild. Der AfD  fehlten derzeit  „ein  mobilisierendes Leitthema sowie ein klares Alleinstellungsmerkmal  im  parlamentarischen  Wettbewerb“, heißt es in der Expertise. Die programmatische Lücke ist aus Sicht der Forscher entstanden, weil die etablierten Parteien die von der AfD seit 2015 besetzten Themen abgeräumt haben.

Mit dem Aufkeimen der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 sei die AfD zunächst die einzig  „vehemente  parteipolitische  Kritikerin“ der  Politik  „offener  Grenzen“  und  der  „Willkommenskultur“ gewesen. Doch die die  etablierten Parteien  hätten spätestens  ab  Sommer  2016  mit  einer   „Verschärfung   ihrer   asylpolitischen   Forderungen  und  Rhetorik“ reagiert, wie sich etwa an  der von CSU-Chef Horst Seehofer losgetretenen Obergrenzen-Debatte  erkennen lässt.

Auch die Pauschalkritik der AfD am Islam sei von den etablierten Parteien aufgegriffen worden. Vor allem die CDU habe, etwa mit Debatten zum Burka-Verbot, zur doppelten Staatsbürgerschaft oder zu einem Islamgesetz, Themen und Positionen der AfD eingenommen. Die „roten  Linien der politischen Kultur“ hätten sich dadurch zwar „fraglos verschoben, was man  als AfD­Effekt verbuchen  kann“, so die Forscher.  Allerdings letztlich nicht zu Gunsten der Petry-Partei.  

Das „Dilemma“ der AfD, so die Experten, bestehe darin, dass sie zwar „mit ihrem chauvinistischen Nationalismus ein vorhandenes gesellschaftliches  Bedürfnis  nach nationaler Identität“ bediene, andererseits aber ohne eine „virulente Krisenkonstellation“ damit nicht hinreichend mobilisieren könne. Erschwerend kommt hinzu, dass die Partei auch bei national gefärbten Themen mit der Union konkurriere, wie sich zuletzt an der Forderung von Innenministers Thomas de Maizière nach  einer  erneuten  Leitkulturdebatte gezeigt habe. Selbst immer schärfer vorgetragene Forderungen bringen der AfD keine Vorteile, weil sie dann Gefahr laufe, eine „verunsicherte bürgerliche Mitte als potenzielles Wählersegment zu verlieren“, so die Experten.

Das scheinen inzwischen auch Gauland und seine Co-Spitzenkandidatin Alice Weidel so zu sehen. Wohl auch, weil die AfD zuletzt für Negativ-Schlagzeilen gesorgt hatte, nachdem interne Chat-Protokolle aus dem Landesverband Sachsen-Anhalt an die Öffentlichkeit gedrungen waren. Landeschef und Bundesvorstandsmitglied André Poggenburg fing sich eine Abmahnung des Parteivorstandes ein, weil er in dem Chat „in Imitation eines NPD-Slogans“ den Spruch „Deutschland den Deutschen“ zum Besten gegeben und über die „Erweiterung der Außengrenzen“ spekuliert hatte.

Gauland und Weidel wandten sich danach in einer Videobotschaft an die AfD-Basis und warnten davor, die Wähler mit dumpfen Sprüchen zu verschrecken. „Sie wollen keine dumpfen Parolen, sie wollen keine Skandale“, sagte Gauland. Die potenziellen AfD-Wähler wollten vielmehr „eine laute, aber konstruktive Oppositionspartei“. Genau diese Feststellung Gaulands bereitet der Partei jedoch ebenfalls Probleme.


AfD setzt auf Rückkehr der Flüchtlingskrise

Denn in der Parteiführung kursieren unterschiedliche Ansichten, welcher politische Kurs der Richtige ist. Davon hängt nach Einschätzung der Göttinger Forscher auch die Zukunftsfähigkeit der AfD ab. Auf dem Weg  ihrer  Etablierung sei die Partei zwar „weit  vorangeschritten“. So sei sie in nunmehr 13 Bundesländern mit  Fraktionen  von mitunter  „beachtlicher  Größe“ vertreten, und auch ihr Einzug  in  den  Bundestag  im Herbst  könne durchaus  gelingen.  Es bleibe aber dennoch „offen,  ob  sie  sich  analog  zu  den  Grünen auch langfristig etablieren kann“.

Als  etabliert  gelte eine Partei erst dann, wenn sie im parlamentarischen Parteiensystem potenziell in Koalitionsverhandlungen miteinbezogen werde, geben die Wissenschaftler zu bedenken. „Doch von diesem Schritt auf die AfD zu sind die etablierten  Parteien,  zumindest  im  Bund,  sicherlich noch Jahre entfernt.“ Was wiederum nicht ohne Wirkung auf die Kursdebatten innerhalb der Partei bleiben dürfte. „Die AfD steht damit“, so die Forscher, „am Scheideweg  zwischen  verschiedenen,  innerparteilich  jeweils  hoch  umstrittenen  Entwicklungsperspektiven,  deren  Herausforderungen sie  ins  Dilemma  zwischen  Profanisierung  und Radikalisierung zwingen.“

Entweder die Partei strebe, wie vom Petry-Lager favorisiert, eine „rasche Koalitionsfähigkeit“ an. „Dann  aber  müsste  sie  sich  im  Zuge  ihrer fortschreitenden  Parlamentarisierung  der  Institutionalisierung  weiter  öffnen,  womit  ein Hineinwachsen  in  den  Staatsapparat  verbunden  wäre.“ Eine solche Entwicklung wäre allerdings mit diversen Risiken behaftet. Die AfD würde wohl, so schätzen die Wissenschaftler, ihre „systemoppositionelle   Anziehungskraft“ einbüßen und damit auch ihr Wählerpotenzial vermindern. Und sie könne überdies „in heftige innerparteiliche Grundsatzkonflikte stürzen“ mit der Gefahr einer  weiteren  Parteispaltung.

Die andere Variante wird von Petrys Gegnern verfolgt und von  Spitzenkandidat  Gauland befürwortet. Danach würde die AfD Fundamentalopposition betreiben, also sich potenziellen  Koalitionen vorerst verweigern und auf ihre indirekte politische Wirkung setzen. Doch auch dieser Weg ist aus Sicht der Experten nicht ungefährlich für die AfD.

„Damit würde sie zwar ihren Bewegungscharakter sowie ihren systemoppositionellen Gestus erhalten  und  gegebenenfalls  in  der  nächsten Krisenkonstellation  reüssieren  können“, heißt es in der Studie.  Doch gerade ein Kurs, der keine parlamentarische Perspektive eröffne, befördere  eine weitere  „programmatische  Verschärfung“. Die Partei könnte aus Sicht der Fortscher dadurch mehr und mehr an den rechten   Rand   des   Parteienspektrums   gedrängt werden,  „wo  die  AfD  das  gleiche  Schicksal  wie NPD,  Republikaner  und  die  Schill-Partei  ereilen könnte“.

Gauland glaubt indes, ein Mobilisierungsmittel gefunden zu haben. Er setzt darauf, dass sich die Debatte um Flüchtlinge und illegale Migration bis zur Wahl am 24. September wieder verschärft. „Die kommt zurück, die Flüchtlingskrise“, sagte der Partei-Vize. „Wenn Italien die Häfen dicht macht oder die Österreicher Panzer am Brenner auffahren, dann ist etwas los hier in dieser Republik.“

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