Studie zu Kommunen Rekordverschuldung trotz Rekordeinnahmen

Trotz Rekordeinnahmen rutschen viele Kommunen tiefer in die Schuldenfalle. Die Folge: Die Gebühren steigen, bei kommunalen Angeboten wie Schwimmbädern drohen Einschnitte. Vor allem Kitas werden teurer.

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Mehrere Kommunen wollen aus Kostengründen den Betrieb ihrer Schwimmbäder einschränken oder die Bäder sogar ganz schließen. Quelle: AP

Berlin Die Mehrheit der Städte konnte im vergangenen Jahr Schulden abbauen – aber hoch verschuldete Kommunen geraten immer tiefer in die Schuldenfalle. Die Konjunkturerholung geht an den Krisenkommunen vorbei. Für das laufende Finanzjahr sind steigende Schulden und ein Finanzierungsdefizit zu erwarten. Vier von fünf Städten und Gemeinden wollen deshalb Steuern erhöhen. Vor allem Kitas könnten dann teurer werden. Mehr als ein Drittel aller Kommunen streicht Leistungen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst&Young) in einer aktuellen Studie. Sie beruht auf einer Umfrage unter 300 deutschen Kommunen sowie einer Analyse der Verschuldungssituation aller 674 deutschen Kommunen mit mindestens 20.000 Einwohnern.

Die deutsche Wirtschaft brummt. Der Fiskus verzeichnet steigende Steuereinnahmen dank des anhaltenden Konjunkturaufschwungs - an den besonders hoch verschuldeten Städten geht die Entwicklung aber vorbei. 31 von den 50 am stärksten verschuldeten Städten mit mehr als 20.000 Einwohnern verzeichneten im vergangenen Jahr einen Schuldenanstieg. Besser erging es den ohnehin gut aufgestellten Kommunen: Von den 50 Kommunen mit der niedrigsten Pro-Kopf-Verschuldung mussten nur fünf zusätzliche Kredite aufnehmen. Die Mehrheit der Kommunen konnte 2015 also Schulden abbauen. Es sind die hoch verschuldeten Sorgen-Städte, die die Bilanz verhageln.

Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich also auch bei den Kommunen weiter. „Die steigenden Steuereinnahmen kommen längst nicht allen Kommunen gleichermaßen zugute, sondern vor allem solchen Städten, die ohnehin finanziell gut dastehen“, sagt Bernhard Lorentz, Partner bei EY. Die Zweiklassengesellschaft sei unter deutschen Kommunen längst Realität. „Einige Städte stehen dank sprudelnder Steuereinnahmen finanziell glänzend da, andere ersticken in Schulden und sind weitgehend handlungsunfähig.“

Ein besorgniserregender Zustand, wenn man bedenkt, dass die Kommunen derzeit noch von der guten Wirtschaftslage und dem niedrigen Zinsniveau profitieren. Bei einem Konjunktureinbruch und sinkenden Steuereinnahmen dürfte sich der Anstieg der Verschuldung massiv beschleunigen, so Lorentz.

Die Folge: Vor allem Kitas und Grundbesitz werden teurer. Die Auswirkungen der Finanzprobleme werden sich vor allem in steigenden Steuern und Gebühren zeigen. Vier von fünf Kommunen reagieren mit höheren Steuern. Gut zwei von fünf wollen an den Leistungen für ihre Einwohner sparen. Vor allem Eltern von Kindern in der Kita oder an Ganztagsschulen müssen in Zukunft tiefer in die Tasche greifen. 41 Prozent der Städte und Gemeinden wollen die entsprechenden Gebühren erhöhen.


Grundsteuer steigt in vielen Kommunen

Auch bei der Grundsteuer bitten die Kommunen verstärkt zur Kasse: 34 Prozent planen hier eine Erhöhung. Jede dritte Kommune (32 Prozent) will die Friedhofsgebühren erhöhen, in gut jeder vierten Stadt sollen die Eintrittspreise etwa für Bäder und andere öffentliche Einrichtungen steigen. Eine Anhebung der Gewerbesteuer steht in 23 Prozent der Kommunen auf der Agenda.

Beliebteste Sparmaßnahme ist wie schon in den Vorjahren die Reduzierung der Straßenbeleuchtung (acht Prozent). Gespart werden soll auch an den Angeboten für Jugendliche und Senioren (acht Prozent). Immerhin noch fünf Prozent der Kommunen wollen den Betrieb ihrer Schwimmbäder einschränken oder die Bäder sogar ganz schließen.

Dabei schien es, als seien die Kommunen bereits auf dem Weg der finanziellen Besserung. Nachdem sie im vergangenen Jahr einen Überschuss von 3,2 Milliarden Euro erwirtschafteten, rechnen die Kämmerer für das laufende Haushaltsjahr mit einem Defizit: Im Durchschnitt prognostizieren sie einen Anstieg der Gesamteinnahmen um 2,0 Prozent. Demgegenüber werden um 3,4 Prozent steigende Gesamtausgaben erwartet. Haupttreiber dieser Entwicklung sind die Sozialausgaben. Sie werden auch im kommenden Jahr neue Löcher in die Kassen der Kommunen reißen. Um etwa vier Prozent sollen sie steigen.

Innerhalb der letzten zwei Jahre haben immerhin 40 Prozent der deutschen Kommunen ein Haushaltssicherungskonzept oder Haushaltssanierungspläne aufstellen müssen. In den kommenden drei Jahren wird dieser Anteil nach den Erwartungen der Befragten auf voraussichtlich 55 Prozent ansteigen. Der Anteil der Kommunen in der Haushaltskonsolidierung oder -sanierung wird in Ostdeutschland höher liegen als in Westdeutschland. Immerhin 19 Prozent der befragten Kommunen befinden sich unter einem kommunalen Rettungsschirm. Zum Vergleich: Im Jahr 2014 lag der Anteil bei 21 Prozent.

Dabei hat sich die Finanzsituation der Städte und Gemeinden sehr unterschiedlich entwickelt. Deutschlandweit konnten laut der Studie 65 Prozent aller Städte ihre Verschuldung konstant halten oder sogar reduzieren. Unter den übrigen 35 Prozent aber stiegen die Schulden so stark an, dass der Schuldenstand der Kommunen in der Gesamtbetrachtung auf einen neuen Rekordwert kletterte. Unterm Strich stieg die Verschuldung aller Kommunen mit mehr als 20.000 Einwohnern um 0,6 Prozent auf 82,8 Milliarden Euro. Umgerechnet sind das mehr als 1000 Euro Schulden pro Einwohner.

Dieser Trend dürfte sich der Studie zufolge auch im kommenden Jahr weiter fortsetzen. Die Hälfte der Kämmerer rechnet damit, zusätzliche Schulden aufnehmen zu müssen und nur knapp jeder dritte geht von einer sinkenden Verschuldung aus. Ein Viertel der Kommunen rechnet gar nicht mehr damit, die Schulden aus eigener Kraft tilgen zu können.


Viele Kommunen bauen aber auch Schulden ab

Für die Bürger bedeutet das steigende Kosten im Alltag. Um die Finanzprobleme in den Griff zu bekommen, werden Städte und Gemeinden in den nächsten Monaten auf breiter Front Steuern erhöhen. Demnach wollen vier von fünf Kommunen in diesem und im kommenden Jahr kommunale Steuern und Gebühren erhöhen. Und wem das noch nicht reicht: Zwei von fünf Kommunen wollen sogar Leistungen streichen.

Dabei gibt es durchaus Positives zu berichten. Insgesamt ist die Zahl der Kommunen, die ihre Verschuldung abbauen konnten, im vergangenen Jahr deutlich angestiegen: 417 von 674 Städten und Gemeinden mit mehr als 20.000 Einwohnern konnten 2015 Schulden abbauen, im Vorjahr war das nur 363 Städten gelungen. „Der Trend geht bei vielen Kommunen in die richtige Richtung. Die Mehrheit der Städte kommt beim Schuldenabbau voran, die Maßnahmen zur Reduzierung der kommunalen Verschuldung greifen inzwischen immer häufiger“, stellt EY-Partner Lorentz fest. Er verweist zudem auf die kommunalen Schutzschirme der Länder und Entlastungsmaßnahmen des Bundes für finanzschwache Kommunen.

Besonders gut kommen die relativ gering verschuldeten Städte bei der Haushaltskonsolidierung voran. Kommunen mit einem niedrigen Schuldenstand von weniger als 1.000 Euro je Einwohner konnten im vergangenen Jahr ihre durchschnittliche Verschuldung im Schnitt um knapp vier Prozent reduzieren.

Wenig Grund zum Optimismus gibt es hingegen bei den ohnehin schlecht dastehenden Kommunen mit einem Schuldenstand von mehr als 2.000 Euro je Einwohner aus. Ihre Verschuldung nahm sogar noch um ein Prozent weiter zu; knapp jede zweite Kommune in dieser Kategorie verzeichnete einen Schuldenanstieg. Ohne Unterstützung können sie sich wohl nicht mehr aus der Schuldenfalle befreien.

Dass unterm Strich die Verschuldung gestiegen sei, zeigt, dass große Aufgaben vor den Kommunen liegen, betont Lorentz: „Nach wie vor zeichnet sich keine Lösung ab für die extrem stark verschuldeten Kommunen.“ Diese Städte müssten Leistungen streichen und Steuern erhöhen und könnten den Schuldenberg dennoch nicht abbauen. Das sei zumeist auf die gerade in strukturschwachen Regionen stark steigenden Sozialausgaben zurückzuführen, sagt Lorentz.

So belastet etwa die hohe Zahl von Flüchtlingen die kommunalen Haushalte erheblich. Kosten, die durch die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge entstehen und die nur teilweise vom Bund und den Ländern erstattet werden, bedeuten eine Milliardenbelastung für die Kommunen.

Für das laufende Jahr rechnen die Städte und Gemeinden mit mehr als 20.000 Einwohnern mit Kosten von hochgerechnet 2,9 Milliarden Euro – fast ein Drittel mehr als im vergangenen Jahr. Der Ausblick fällt für die Sorgenkinder unter den Städten und Gemeinden deshalb düster aus. Es fehlt eine Perspektive, wie sie dem Teufelskreis aus Schulden, Leistungskürzungen und sinkender Attraktivität wieder entkommen können.

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