
Der frisch gewählte Generalsekretär der SPD will seine Partei neu erfinden. „Ich bin davon überzeugt, dass eine Partei der Zukunft von Anfang an stärker digital denken muss“, schrieb Lars Klingbeil, der heute ins Amt gewählt wurde, kürzlich in einem Gastbeitrag für Zeit Online.
Klingbeil ist einer, der es ernst meint. Vor kurzem veröffentlichte er seine Handynummer auf Twitter und bat um Nachrichten via WhatsApp, wie sich die SPD verändern solle. Knapp 700 Leute schrieben ihm. Auf Twitter folgen dem Niedersachsen etwa 20.000 Menschen. Wer den Dialog mit dem 39-Jährigen sucht, kriegt in der Regel eine Antwort.
Sollten die Verhandlungen zwischen Union und SPD zur Neuauflage einer großen Koalition scheitern, sind Neuwahlen das wahrscheinlichste Szenario. Klingbeil müsste dann als SPD-Generalsekretär in kürzester Zeit einen Bundestagswahlkampf für seine Partei organisieren. Dabei dürfte der Fachmann fürs Digitale genau darauf setzen – das Digitale. Die Parteien hätten schließlich wenig Zeit und nur knappe Wahlkampfbudgets. Ein klassischer Wahlkampf mit großflächigen und Millionen verschlingenden Plakaten verbietet sich da von selbst..
Eine neue Studie der Quadriga Hochschule in Berlin bietet Klingbeil und den Wahlkampfstrategen der anderen Parteien nun reichlich Erkenntnisse, wie der zurückliegende Wahlkampf funktionierte. Die Autoren Mario Voigt und René Seidenglanz erklären auf über 100 Seiten, wie Deutschland im Jahr 2017 seinen ersten digitalen Wahlkampf erlebte und welche Schlüsse die Parteistrategen daraus ziehen können.
Ähnlich wie in den Vereinigten Staaten von Amerika setzen die deutschen Parteien demnach zunehmend auf einen Echtzeitwahlkampf. „Inhaltliche Reaktionen erfolgen in Echtzeit, Veranstaltungen und Wahlkampfauftritte werden live gestreamt, Kommentierungen geschehen in kurzen Videobeiträgen und Events wie das TV-Duell werden auf unterschiedlichen Social-Media-Kanälen begleitet“, heißt es in der Studie, die von Union Investment, der genossenschaftlichen Investmentgesellschaft der DZ Bank, finanziert wurde.





Bezahlen für Reichweite in sozialen Netzwerken
Ein zweiter Megatrend neben dem Faktor Echtzeit und Bewegtbild: Geld. „Organische Reichweite ist tot. Wer in sozialen Netzwerken künftig Bürger und Wähler erreichen will, wird dafür bezahlen müssen und stärker auf Datengetriebene Ansprache setzen“, sagt Mario Voigt, Professor für Digitale Transformation und Politik an der Berliner Quadriga Hochschule.
Das Ziel einer jeden Wahlkampagne? Die Parteien und ihre Spitzenkandidaten wollen die Wähler davon überzeugen, ihnen ihre Stimme zu geben. Zwar lässt sich nicht nachvollziehen, welcher Wähler sich aufgrund welcher Maßnahme für oder gegen eine Partei entscheidet. Aber direkte Interaktionen zwischen Kandidaten, Parteien und Wählern erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass sich jemand eine Partei unterstützt und letztlich wählt. Diese Mobilisierung der eigenen Sympathisanten gelang der Alternative für Deutschland (AfD) bei der zurückliegenden Bundestagswahl am besten. Die AfD landete vor allen anderen Parteien. Bei Twitter, Facebook und Instagram erreichte sie die höchsten Werte von allen. Nur bei YouTube kam sie auf den dritten Platz.
Die AfD griff dabei auch auf die umstrittene Methode des „Microtargeting“ zurück, die in US-Wahlkämpfen schon länger angewendet wird. Die AfD kreierte aus ihren etwa 300.000 Fans bei Facebook ein Modell und eine sogenannte „lookalike audience“, um ähnliche Nutzer gezielt ansprechen zu können. So konnte sie beispielsweise Mütter, Unternehmer oder Gewerkschaftler mit speziellen Nachrichten und Botschaften bespielen. Für Gewerkschaftler wurde beispielsweise gezielt bezahlte Werbung für die Anti-Merkel-Webseite „Die Eidbrecherin“ ausgespielt.
Voigt, der auch Landtagsabgeordneter für die CDU in Thüringen ist, hält diese Wahlkampfführung für datenschutzrechtlich bedenklich. „Bis zur der nächsten Wahl werden wir uns über Daten-Regeln verständigen, wie weit Parteien gehen dürfen“, sagt der Wahlkampfexperte. Das Microtargeting gilt als demokratietheoretisch umstritten, da die entsprechenden Bürger nicht wissen, dass ihnen spezielle Informationen präsentiert werden, die andere nicht erhalten. Die Wählerschaft kommt somit auf Grundlage unterschiedlicher Informationen zu ihrer Wahlentscheidung.
Sollte Deutschland tatsächlich im kommenden Jahr erneut wählen, wäre ein kurzer Digital-Wahlkampf wahrscheinlich – auch weil den Parteien die Ressourcen für klassische Kampagnen mit teuren Print-Anzeigen und Fernsehspots fehlen dürften. Ein Bundestagswahlkampf 2018 wäre ein Wahlkampf im Netz. Noch schneller, mehr Daten und mehr Geld für Digitales würde es dann heißen.
Die vollständige Studie "Digital Campaigning in der Bundestagswahl 2017" ist hier erhältlich.