Derzeit kommt ein Stressreport nach dem anderen auf den Markt. Am Dienstag war es die AOK, die verkündete, dass seit den Bologna-Reformen im Bildungswesen die Studenten an deutschen Hochschulen teils stärker unter Stress stehen als die Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft. Heute legt die Technikerkrankenkasse mit ihrem aktuellen Lage-Bericht für eben die Arbeitnehmer nach. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass deutsche Leistungsgesellschaft, obwohl im Vergleich mit anderen Industrieländern mit Freizeit reich gesegnet, immer mehr zu einer Stressgesellschaft wird.
43 Prozent der Berufstätigen in Deutschland fühlen sich nach der Repräsentativerhebung unter einer Stichprobe von rund 1.200 Arbeitnehmern abgearbeitet und verbraucht, auf neudeutsch ausgepowert. Das sagen zwar vor allem Beschäftigte im höheren Erwerbsalter. Auffällig ist aber, dass auch 37 Prozent der Angestellten unter 40 dieses Gefühl bereits kennt. Insgesamt macht sich fast ein Fünftel Sorgen, dass sie das Arbeitstempo nicht mehr mithalten können.
Immerhin erlebten 42 Prozent ihren persönlichen Stress im Job überwiegend als positiv. Sie fühlen sich dadurch eher motiviert und angespornt. „Ob man Stress als Herausforderung oder als Belastung empfindet, hängt offenbar damit zusammen, ob man eine Aufgabe hat, die Spaß macht“, sagt Peter Wendt, bei der TK der Experte für Umfragen.
Und die Arbeitsbedingungen sind wichtig, weiß Ex-Fußballprofi und Fußballtrainer Holger Stanislawski, der in seinem Supermarkt in Hamburg über 130 Mitarbeiter beschäftigt. Es sei wie im Fußball, meint der ehemalige Libero beim Hamburger Fußballclub FC St. Pauli. „Um auch unter Druck gute Leistung zu bringen, braucht jeder das Gefühl, sowohl die Qualität als auch das Pensum abliefern zu können. Das gilt für meine Mitarbeiter im Geschäft genauso wie für die Spieler auf dem Platz.“
Deshalb seien gute Führung, eine wertschätzende Feedbackkultur und gesunde Arbeitsbedingungen so wichtig. „Im Gegenzug erwarte ich von meinem Team Leistungsbereitschaft und dass sie für ausreichend Ausgleich sorgen, damit sie fit bleiben und einen guten Job machen können.“
Wann immer es geht, Pause machen
Ein Schwerpunkt des Reports ist das Thema Digitalisierung. Und da geht es nicht nur um den Arbeitsplatz, an dem immer mehr Abläufe mit digitalen Hilfsmitteln bewältigt und gesteuert werden. Die Digitalisierung hat ja längst das ganze Leben in Besitz genommen. Für 46 Prozent der Deutschen ist das Smartphone auch deshalb ein wichtiger Begleiter, weil sie sich regelmäßig über Whatsapp, Instagram oder Snapchat mit anderen austauschen, Männer wie Frauen gleichermaßen. Die Kommunikation über soziale Medien gehört für 85 Prozent der 18 bis 29-Jährigen zum Alltag. Bei den 30- bis 39-Jährigen gilt das noch für 61 Prozent und bei den 40 bis 49-Jährigen für 58 Prozent.
Das Gros der Männer und Frauen über 50 ist noch resistent gegen die Verlockungen des schnellen unverbindlichen Austauschs über das Netz. 62 Prozent der 50 bis 59-Jährigen und fast 70 Prozent der 60 bis 69-Jährigen üben sich hier in Abstinenz.
„Dass bei den Menschen jenseits der 70 aber auch immer noch jeder Zehnte über soziale Medien kommuniziert, darf als Beleg dafür gelten, dass es nicht mehr darum geht, ob die Menschen digitale Medien nutzen, sondern wie sich diese digitale Gesellschaft gesund und stressfrei gestalten lässt“, meinen die Autoren der Studie. Und für die Arbeitswelt bedeutet das nach ihrer Ansicht unter anderem, „sinnvolle Begegnungen zu schaffen, die digitale Pausen ermöglichen.“
Vielleicht nicht ganz so, wie es uns am Dienstag auf unsere Berichterstattung über den Stress der Studenten ein Leser erzählte. Er meinte, wenn er Lust auf Spielbank habe, setze er sich nicht an den Computer, sondern ziehe lieber seinen Smoking an und fahre in eine echte Spielbank mit anschließendem Besuch im Gourmet-Restaurant. Dafür dürfte vielen Arbeitnehmern die Mittel fehlen. Aber die Richtung stimmt: Wann immer es geht, Pause machen von der digitalen Welt.