Studie zur digitalen Welt Im Dauerstress? Gehen Sie offline!

Drei von zehn Arbeitnehmern klagen im Stressreport der TK darüber, immer erreichbar sein zu müssen. Also bleibt das Handy an, doch das steigert den Stresspegel. Auch in der Freizeit geht es nicht mehr ohne. Oder doch?

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Wann immer es geht, Pause machen von der digitalen Welt. Quelle: Imago

Derzeit kommt ein Stressreport nach dem anderen auf den Markt. Am Dienstag war es die AOK, die verkündete, dass seit den Bologna-Reformen im Bildungswesen die Studenten an deutschen Hochschulen teils stärker unter Stress stehen als die Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft. Heute legt die Technikerkrankenkasse mit ihrem aktuellen Lage-Bericht für eben die Arbeitnehmer nach. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass deutsche Leistungsgesellschaft, obwohl im Vergleich mit anderen Industrieländern mit Freizeit reich gesegnet, immer mehr zu einer Stressgesellschaft wird.

43 Prozent der Berufstätigen in Deutschland fühlen sich nach der Repräsentativerhebung unter einer Stichprobe von rund 1.200 Arbeitnehmern abgearbeitet und verbraucht, auf neudeutsch ausgepowert. Das sagen zwar vor allem Beschäftigte im höheren Erwerbsalter. Auffällig ist aber, dass auch 37 Prozent der Angestellten unter 40 dieses Gefühl bereits kennt. Insgesamt macht sich fast ein Fünftel Sorgen, dass sie das Arbeitstempo nicht mehr mithalten können.

Immerhin erlebten 42 Prozent ihren persönlichen Stress im Job überwiegend als positiv. Sie fühlen sich dadurch eher motiviert und angespornt. „Ob man Stress als Herausforderung oder als Belastung empfindet, hängt offenbar damit zusammen, ob man eine Aufgabe hat, die Spaß macht“, sagt Peter Wendt, bei der TK der Experte für Umfragen.

Was hinter den bekanntesten Stress-Mythen steckt
Mythos 1: Stress macht schlank „Wenn ich stress habe, vergesse ich manchmal sogar zu essen“, sagen manche Menschen gerne. Grundsätzlich hat Stress aber einen gegenteiligen Effekt: Das Hormon Kortisol verändert den Stoffwechsel und führt zur vermehrten Fetteinlagerung, vor allem im Bauch- und Taillenbereich - und dort schadet es der Gesundheit besonders. Wer unter hoher Belastung leidet, ernährt sich außerdem häufig unausgewogen – Gestresste greifen vermehrt zu kohlenhydrat- und fettreichen Speisen. Da man auf der Arbeit wenig Zeit hat, vertilgt man sie schnell zwischendurch - oder isst am Abend die doppelte Portion. Quelle: dpa
Mythos 2: Stress ist immer schädlichGenauso falsch ist es, Stress zu verteufeln. Denn er ist eine natürliche Reaktion, die Menschen hellwach und reaktionsschnell macht. Der Körper ist auf Angriff gepolt. Damit bewältigen wir schwierige Situationen besser und fühlen uns zunächst leistungsfähiger. Positiver Stress, den man auch Eustress nennt, tut gut. Der Grund: Es kommt zur Ausschüttung bestimmter Hormone wie zum Beispiel Dopamin, Serotonin oder Endorphin. Diese biochemische Mixtur kann dafür sorgen, dass wir Stress als neutral oder angenehm empfinden. Das gilt jedoch nur für bestimmte Situationen. Chronischer Stress ("Distress ") wirkt sich hingegen schädlich auf die Gesundheit aus. Denn dann zirkulieren die Stresshormone im Körper und werden nicht abgebaut. Quelle: Fotolia
Mythos 3: Gegen Stress hilft nur Entspannung Die Arbeit stresst, Zuhause geht auch alles drunter und drüber – da hilft nur noch, sich ganz bewusst zu entspannen. Falsch! Denn wer viel Stress hat, steht unter Strom und kann nicht auf Knopfdruck entspannen. Der Grund: Das Hormon Kortisol macht gleichzeitig zappelig macht, steigert Aggression und Unruhe. Die lässt sich nicht einfach wegmeditieren oder wegbaden. In diesem Fall hilft Bewegung, etwa eine Runde joggen oder ein Spaziergang. Hinzu kommt: Wer beim Nichtstun ständig grübelt, hält sein Stresslevel trotz vermeintlicher Entspannung auf konstantem Niveau. Besser ist dann Ablenkung in Form von Spielen oder Gesprächen. Quelle: dpa
Mythos 4: Stress wirkt auf Männer und Frauen gleich Körperlich reagieren Männer und Frauen zwar prinzipiell gleich auf Stress – die Folgen unterscheiden sich aber je nach Geschlecht. Während bei Männer ein hoher Stressfaktor eher zu Herz-Kreislauf-Problemen führt, macht er Frauen anfällig für psychische Erkrankungen. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass sich Frauen grundsätzlich mehr Gedanken über ihre Gesundheit machen. Laut DAK-Gesundheitsbericht stehen psychische Erkrankungen bei Frauen mit einem Anteil von 12,2 Prozent an dritter Stelle der häufigsten Krankheiten. Typisch männliche Stressfolgen sind dagegen Herzinfarkt und Schlaganfall. Hinzu kommen Übergewicht, hoher Blutdruck sowie erhöhte Cholesterinwerte. Das Risiko, daran zu erkranken, steigt bei Managern, die wöchentlich mehr als 60 Stunden, rapide an. Quelle: Fotolia
Umfangreiche Aufgaben ganz klein machen Quelle: Fotolia
Soziale Vereinsamung Quelle: Fotolia
Mythos 7: Ältere Menschen sind schneller gestresst Das stimmt ebenfalls nicht - zumindest nicht generell. Zwar hat Stress bei Menschen höheren Alters schneller körperliche Folgen, weil sie weniger belastbar sind. Trotzdem ist die Zahl psychischer Erkrankungen durch Stress in der vergangenen Jahren in der Gruppe der 20- bis 35-Jährigen am stärksten angestiegen und hat den höchsten Anteil bei den 40- bis 44-Jährigen. Hier erreichen psychische Erkrankungen mit einem Anteil von 12,2 Prozent ihren Höchststand. Das liegt an den steigenden Leistungsanforderungen im Job - und zunehmend unsicheren Arbeitsverhältnissen. Quelle: dpa

Und die Arbeitsbedingungen sind wichtig, weiß Ex-Fußballprofi und Fußballtrainer Holger Stanislawski, der in seinem Supermarkt in Hamburg über 130 Mitarbeiter beschäftigt. Es sei wie im Fußball, meint der ehemalige Libero beim Hamburger Fußballclub FC St. Pauli. „Um auch unter Druck gute Leistung zu bringen, braucht jeder das Gefühl, sowohl die Qualität als auch das Pensum abliefern zu können. Das gilt für meine Mitarbeiter im Geschäft genauso wie für die Spieler auf dem Platz.“

Deshalb seien gute Führung, eine wertschätzende Feedbackkultur und gesunde Arbeitsbedingungen so wichtig. „Im Gegenzug erwarte ich von meinem Team Leistungsbereitschaft und dass sie für ausreichend Ausgleich sorgen, damit sie fit bleiben und einen guten Job machen können.“

Wann immer es geht, Pause machen

Ein Schwerpunkt des Reports ist das Thema Digitalisierung. Und da geht es nicht nur um den Arbeitsplatz, an dem immer mehr Abläufe mit digitalen Hilfsmitteln bewältigt und gesteuert werden. Die Digitalisierung hat ja längst das ganze Leben in Besitz genommen. Für 46 Prozent der Deutschen ist das Smartphone auch deshalb ein wichtiger Begleiter, weil sie sich regelmäßig über Whatsapp, Instagram oder Snapchat mit anderen austauschen, Männer wie Frauen gleichermaßen. Die Kommunikation über soziale Medien gehört für 85 Prozent der 18 bis 29-Jährigen zum Alltag. Bei den 30- bis 39-Jährigen gilt das noch für 61 Prozent und bei den 40 bis 49-Jährigen für 58 Prozent.

Das Gros der Männer und Frauen über 50 ist noch resistent gegen die Verlockungen des schnellen unverbindlichen Austauschs über das Netz. 62 Prozent der 50 bis 59-Jährigen und fast 70 Prozent der 60 bis 69-Jährigen üben sich hier in Abstinenz.

„Dass bei den Menschen jenseits der 70 aber auch immer noch jeder Zehnte über soziale Medien kommuniziert, darf als Beleg dafür gelten, dass es nicht mehr darum geht, ob die Menschen digitale Medien nutzen, sondern wie sich diese digitale Gesellschaft gesund und stressfrei gestalten lässt“, meinen die Autoren der Studie. Und für die Arbeitswelt bedeutet das nach ihrer Ansicht unter anderem, „sinnvolle Begegnungen zu schaffen, die digitale Pausen ermöglichen.“

Vielleicht nicht ganz so, wie es uns am Dienstag auf unsere Berichterstattung über den Stress der Studenten ein Leser erzählte. Er meinte, wenn er Lust auf Spielbank habe, setze er sich nicht an den Computer, sondern ziehe lieber seinen Smoking an und fahre in eine echte Spielbank mit anschließendem Besuch im Gourmet-Restaurant. Dafür dürfte vielen Arbeitnehmern die Mittel fehlen. Aber die Richtung stimmt: Wann immer es geht, Pause machen von der digitalen Welt.

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