So ist für neugeborene Jungen im wohlsituierten bayerischen Landkreis Starnberg mit rund acht Jahren mehr Lebenszeit zu rechnen als für Jungen in der ehemaligen Schuhmacher- und mittlerweile Arbeitslosenstadt Pirmasens in Rheinland-Pfalz. In den USA liegen sogar rund 20 Jahre zwischen dem Bezirk (County) mit der höchsten und jenem mit der niedrigsten mittleren Lebenserwartung.
„Viele Studien belegen, dass zwei Faktoren entscheidend sind für gesundheitliche Ungleichheit und damit das Risiko, vorzeitig zu sterben: der Sozialstatus und das Bildungsniveau“, sagt Reiner Klingholz, der Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Je niedriger der sozioökonomische Status, desto höher die subjektiv erlebte Stressbelastung. Auf Dauer fördert dieser Lebensstress die Entstehung von körperlichen Erkrankungen, Depressionen und anderen psychischen Störungen. Hinzu kommt, dass Risikofaktoren für die Gesundheit wie Bewegungsmangel, Übergewicht und Rauchen in Gruppen mit niedrigem Sozialstatus überproportional häufig vorkommen. „Gesellschaft und Politik müssen aktiv werden, um diese Ungleichheiten zu verringern“, so das Fazit der Studie.
Die Rentengrenze von 65 ist obsolet
Angesichts der steigenden Lebenserwartung hält Sütterlin die hergebrachte Altersgrenze von 65 Jahren in der Arbeitswelt für obsolet. Sie schlägt wie die amerikanischen Demografen Warren Sanderson und Sergei Scherbov die Orientierung am durchschnittlich zu erwartenden Lebensende vor. Die Empfindung der Alterung der Gesellschaften würde sich ändern, wenn anstelle der festen Größe 65 die jeweils durchschnittlich verbleibenden 15 Lebensjahre gelten würden. „Die herkömmliche Dreiteilung des Lebens in Ausbildung-Arbeitsphase-Ruhestand lässt sich nicht aufrechterhalten“, glaubt Sütterlin. „Die Menschen werden künftig länger arbeiten, aber die Arbeit stufenweise ausklingen lassen.“