Im Schadenersatz-Prozess um die Treffsicherheit des Sturmgewehrs G36 hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen eine Niederlage gegen den Hersteller Heckler & Koch erlitten. Das Landgericht Koblenz urteilte am Freitag, dass die Standardwaffe der Bundeswehr gemessen an den vertraglichen Anforderungen keine Mängel aufweist. Das Verteidigungsministerium bleibt aber bei der geplanten Ausmusterung der 167 000 G36-Exemplare der Bundeswehr und will das Urteil anfechten.
Die Affäre um das vorwiegend aus Kunststoff bestehende, leichte Gewehr begann vor fünf Jahren mit ersten Hinweisen auf Präzisionsprobleme. Von der Leyen gab nach ihrem Amtsantritt 2013 ein Gutachten in Auftrag, dessen Ergebnis eindeutig war: In Labortests sackte die Trefferquote bei starker Erhitzung bis auf sieben Prozent ab. Die Bundeswehr verlangt 90 Prozent. Die Soldaten im Einsatz sind allerdings zufrieden mit der Waffe. Das ergab eine weitere vom Verteidigungsministerium in Auftrag gegebene Untersuchung.
Für Heckler & Koch ging es nun in dem Prozess darum, einen Imageschaden abzuwenden. Die Klage des Unternehmens aus dem baden-württembergischen Oberndorf am Neckar war vom Beschaffungsamt der Bundeswehr in Koblenz mit Gewährleistungsforderungen ausgelöst worden. Die Waffenschmiede wehrte sich dagegen mit einer „negativen Feststellungsklage“ - und gewann.
Die Debatte um das G36
Das Sturmgewehr G36 ist die Standardwaffe der Bundeswehr. Der Hersteller, das deutsche Rüstungsunternehmen Heckler & Koch, hat nach eigenen Angaben 178.000 Gewehre des Typs G36 an die deutsche Armee verkauft. Der Preis: Mehr als 180 Millionen Euro. Das Gewehr zeichnet sich nach Angabe der Bundeswehr durch „seine einfache Bauweise aus, sämtliche Hauptbaugruppen sind mit nur drei Haltebolzen am Waffengehäuse befestigt.“
Quellen: Bundeswehr, Unternehmen, dpa
Das G36 wiegt 3,63 kg und verfügt über ein Zielfernrohr sowie ein Reflexvisier. Es handelt sich um einen automatischen Gasdrucklader mit Drehkopfverschluss im Kaliber 5,56 x 45 Millimeter. Mit dem Gewehr können sowohl einzelne Schüsse als auch Feuerstöße abgegeben werden.
Das G36 löste das G3 ab, das sich seit 1959 im Einsatz bei der Bundeswehr befindet. Bei dem G3 handelt es sich um eine schwerere Waffe im größeren Kaliber 7,62 x 51 Millimeter.
Ende März 2015 hat die Bundeswehr Probleme bei der Treffsicherheit des G36 eingeräumt. „Das G36 hat offenbar ein Präzisionsproblem bei hohen Temperaturen aber auch im heißgeschossenen Zustand“, erklärte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. In den Jahren zuvor hatte es mehrere widersprüchliche Berichte über die Treffsicherheit des G36 gegeben. Unter anderem war die Munition für Ungenauigkeiten verantwortlichgemacht worden. Daraufhin hatte von der Leyen im Frühsommer 2014 eine Expertenkommission mit Vertretern der Bundeswehr, des Bundesrechnungshofs und des Fraunhofer-Instituts eingesetzt, um Klarheit zu schaffen. Der Abschlussbericht stand zum Zeitpunkt der Äußerungen noch aus.
Das Sturmgewehr G36 von Heckler & Koch wird nicht nur von der Bundeswehr verwendet, sondern auch von Armeen anderer Staaten. In Lettland, Litauen und Spanien ist die Waffe nach Angaben der Bundeswehr ebenfalls als Standardgewehr der Armee im Einsatz. Verwendet wird das G36 zudem von Spezialeinheiten in Jordanien, Norwegen und Mexiko. Aus Bundeswehr-Beständen sind kürzlich G36-Sturmgewehre an die kurdischen Peschmerga-Einheiten im Nord-Irak geliefert worden. Die Kurden sollen damit gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kämpfen.
Im spanischen La Coruña wurde das G36 in Lizenz von General Dynamics Santa Bárbara Sistemas hergestellt. 2008 erteilte die Bundesregierung außerdem eine Genehmigung zur Ausfuhr von Technologie für die Herstellung des Gewehrs in Saudi-Arabien. Diese Genehmigung sieht allerdings nach Angaben der Regierung nur eine Produktion für den Eigenbedarf der saudischen Sicherheitskräfte vor und keine autonome Fertigung ohne Zulieferung von Schlüsselkomponenten aus Deutschland.
Das Landgericht gab der Klage nach eigenen Worten „in vollem Umfang statt“. Es gebe für die Bundeswehr „keine Ansprüche auf Rückzahlung“, hieß es. Das G36 sei bei ihr bereits seit 18 Jahren im Einsatz. Auch die seit 2013 gelieferten Sturmgewehre hätten die vertraglich vereinbarte Güteprüfung bestanden. Die späteren und bis heute nicht abgeschlossenen Untersuchungen der Bundeswehr mit „Vergleichsgewehren“ seien für die Kaufverträge der Jahre 1995 bis 2013 unerheblich.
In dem Koblenzer Prozess ging es um 3845 Gewehre, bei denen die Gewährleistungsansprüche noch nicht verjährt sind. Der Neupreis eines - auch bei ausländischen Armeen beliebten - G36 beträgt etwa 1000 Euro. Es ging also um höchstens rund vier Millionen Euro.
Binnen eines Monats nach Zustellung des nun ergangenen Urteils könnte die Bundeswehr beim Oberlandesgericht Koblenz Berufung einlegen. Ein solcher Schritt ist sehr wahrscheinlich. „Sollte das Gericht seine heutige Entscheidung auf dieselben wackeligen rechtlichen Argumente stützen, wie sie in der mündlichen Verhandlung vor der Sommerpause angeführt wurden, dann wird das zuständige Bundesamt für Ausrüstung, Information und Nutzung in die Berufung gehen“, sagte ein Ministeriumssprecher. Heckler & Koch wollte sich zunächst nicht zu dem Richterspruch äußern.
Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold riet von der Leyen davon ab, eine juristische Fortsetzung des Schadenersatz-Streits zu suchen. „Die Niederlage war absehbar“, sagte er der „Frankfurter Rundschau“ (Samstag). Er würde „der Ministerin nicht empfehlen, in die Berufung zu gehen“.
Unabhängig vom Urteil arbeitet das Verteidigungsministerium an der Beschaffung eines neuen Sturmgewehrs. Die Ausschreibung soll noch in diesem Jahr erfolgen. Voraussichtlich 2018 wird ein Gewehr ausgewählt. Die ersten Exemplare sollen 2020 ausgeliefert werden. Es gilt als wahrscheinlich, dass sich auch wieder Heckler & Koch an der Ausschreibung beteiligt.