Tabaksteuern Mafia-Ware

Die prohibitiv hohen Tabaksteuern fördern das organisierte Verbrechen und schaden dem Fiskus. Ein Lehrstück über politische Fehlsteuerung.

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Beamte des Hauptzollamtes in Frankfurt (Oder) sortieren Packungen von Schmuggel-Zigaretten, die zwischen Dämmwolle in einem polnischen Lastkraftwagen versteckt waren, dpa

Lässig schnippt der schmächtige Vietnamese seine Kippe in den Rinnstein, hangelt sich am S-Bahn-Zaun hoch und ist schon auf der anderen Seite verschwunden. Jeden Werktag steht er hier an der Schönhauser Allee in Berlin und verkauft Marlboro – die Stange für 20 Euro. Fährt ein Streifenwagen vorbei, unterbricht er das Geschäft kurz. Mitten in der Hauptstadt blüht der Schwarzhandel. „Das ist nicht trocken zu legen“, sagt der Berliner Zollfahnder Peter Becker. „Wegen ein paar Packungen können wir die Händler nicht festhalten.“ Und wenn doch, der Verkaufsplatz bliebe nicht lange unbesetzt. „Da käme gleich Ersatz.“ Nicht nur am Prenzlauer Berg in Berlin, auch in Bochum am Werkstor von Opel, rund um den Dresdner Hauptbahnhof oder sonstwo in der Republik: Die Straßenhändler sind das Ende einer straff organisierten illegalen Verteilerkette. Geführt werden sie von international operierenden Organisationen. Die Kommandostellen befinden sich oft in Osteuropa, die Bezugsquellen in China oder der Ukraine. Die Verteilernetze erstrecken sich auf ganz Westeuropa – und der Absatz steigt. In Deutschland setzt das Schmuggelkartell Schätzungen zufolge inzwischen täglich rund 80 Millionen Stück ab und versorgt so fast jeden vierten Raucher mit illegalen, oft gefälschten und hochgiftigen Glimmstängeln. Die Bundesrepublik, so heißt es in einem vertraulichen Lagebericht des Zollkriminalamtes in Köln, „wird zunehmend zum Zielland für Schmuggelzigaretten“. Und weiter: „Aufgrund der erzielbaren hohen Gewinne gehört der Zigarettenschmuggel zum Kernbereich der organisierten Kriminalität.“ Auch das Bundeskriminalamt spricht von einem „relativ hohen OK-Potenzial in diesem Kriminalitätsbereich“. Auf Unterstützung durch Politiker, die zuletzt über viele Monate hinweg erbittert über ein Rauchverbot in Kneipen gestritten haben, warten die Ermittler bislang vergebens. Dabei hat gerade die Politik den Aufmarsch der organisierten Kriminalität provoziert, indem sie die Tabaksteuer stark heraufgesetzt hat. Mit den Verteuerungen von Zigaretten um insgesamt 1,30 Euro pro Packung in den Jahren 2004 und 2005 setzte die damals rot-grüne Bundesregierung, wie sich nun zeigt, eine kriminelle Kettenreaktion in Gang: Immer häufiger greifen Raucher seither zu billigen Schmuggelzigaretten, die Lieferung erfolgt durch straff organisierte Banden, in steigenden Mengen kommen dabei Fälschungen mit minderwertigen Mixturen auf den Markt, die die Gesundheit der Raucher zusätzlich gefährden, und dem Staat werden Milliarden Euro Tabaksteuer hinterzogen. Dabei waren die Verantwortlichen für die Erhöhung der Tabaksteuer, Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und der damalige Oppositionspolitiker Horst Seehofer (CSU), gewarnt. Bei einer Anhörung im Bundestag vor dreieinhalb Jahren sagten Experten wie der Präsident des Zollkriminalamtes, Karl-Heinz Matthias, einen „weiteren Aufbau von organisierter Kriminalität“ voraus – zumal die Steuererhöhung mit der EU-Erweiterung um Polen, Tschechien und andere osteuropäische Länder und dem Abbau der Grenzkontrollen im Mai 2004 zusammenfiel. Doch Schmidt und Seehofer drangen stur auf die Erhöhung der Tabaksteuer, um Löcher in der gesetzlichen Krankenversicherung zu stopfen. Dabei hatten außer den Kriminologen auch fast alle Finanzpolitiker Bedenken angemeldet. So auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Reinhard Schultz, der die einkalkulierten Mehreinnahmen als „Phantomrechnung“ bezeichnete und von einer „tendenziell prohibitiven Besteuerung“ sprach, die letztlich zu Ausweichreaktionen der Raucher am Fiskus vorbei führe. Der Begriff „prohibitiv“ trifft deshalb zu, urteilt der Konstanzer Wirtschaftsethiker Josef Wieland, „weil die hohe Besteuerung der Zigaretten grundsätzlich die gleichen Folgen wie die Prohibition im Amerika der Zwanzigerjahre verursachen kann“. Damals waren in den USA Herstellung, Besitz und Ausschank von Alkohol verboten, doch die Mafia blühte mit dem illegalen Schnapsmarkt auf, und mehrere Zehntausend US-Bürger vergifteten sich an Billigfusel. Paten wie Al Capone, die wohl bekannteste Unterweltgröße dieser Zeit, breiteten ihre Geschäfte dank satter Schwarzmarkt-Gewinne krakenartig in andere – auch legale – Branchen aus. Heute ist der deutsche Zigarettenmarkt eine ähnlich ersprießliche Geldquelle des organisierten Verbrechens. Eine illegale Lastwagenladung verspricht eine Million Euro Profit. Die Gewinnspannen für die Schmuggler beziffert Wolfgang Schmitz, Sprecher des Zollkriminalamtes in Köln, auf „rund 1000 Prozent und damit ähnlich hoch wie bei Rauschgift“.

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