Täuschung bei Lebensmitteln Der schwierige Kampf gegen Etikettenschwindel

Viele Aufschriften auf Lebensmitteln halten nicht, was sie versprechen. Ein Beschwerdeportal sollte den Firmen deshalb Druck machen. Heute ziehen Verbraucherschützer Bilanz. Ergebnis: Die Aktion wirkt – ein bisschen.

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Etikettenschwindel im Supermarktregal gehört zum Alltag im Konsumentenleben. Das ruft Verbrauchschützer auf den Plan. Quelle: dpa

Als die vom Bundesverbraucherministerium finanzierte Internetseite „lebensmittelklarheit.de“ vor fünf Jahren online ging, war die Lebensmittelwirtschaft außer sich. Ein ungerechtfertigter und dazu noch staatlich finanzierter Pranger sei sie, schimpften die Unternehmen. Inzwischen hat sich die anfängliche Aufregung gelegt. Man sei mit „reichlich Gegenwind“ gestartet. „Umso mehr freut es uns, dass die Kritik der Verbraucher Gehör findet“, sagte Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV), am Mittwoch in Berlin.

Seit Portalstart wurden den Verbraucherzentralen über 9.000 Produkte gemeldet. Im Durchschnitt, erläutern die Verbraucherschützer, erhalten 30 Prozent der Produkte, die gemeldet werden und bei denen die Online-Redaktion des VZBV ein Täuschungspotenzial sieht, ein neues, entsprechend der Kritik geändertes Etikett. Allein im Jahr 2014 sind laut VZBV unter den Produkten mit Täuschungspotenzial inzwischen rund die Hälfte der Etiketten verbessert worden.

Bei „Meisters Bautzen Rindsknacker“ etwa wurde bemängelt, dass die Wurst im Produktnamen als Tierart Rind nennt, aber dennoch Schweinefleisch enthält. Dass sogar mehr Schweine- als Rindfleisch in den Knackern steckt, hätten Verbraucher nur über die Zutatenliste erfahren. Inzwischen hat der Anbieter die Etikettierung geändert.

Beim „Seitenbacher Bio-Müsli #538 Odenwaldmischung“ stand die Bebilderung in der Kritik. Das Produktfoto, das ursprünglich Früchte zeigte, stimmte nicht mit dem eigentlichen Inhalt überein, da der Fruchtanteil nur marginal vorhanden ist. Auch hier nahm der Hersteller schließlich eine Änderung vor.

Trickreiche Aufschriften sind Verbraucherschützern schon länger ein Dorn im Auge. Auch das Bundesernährungsministerium sieht inzwischen Handlungsbedarf und will das Wissen des Beschwerdeportals nutzen, um den Verbraucherschutz in diesem Bereich zu verbessern. Dass verärgerte Kunden Mogeleien jetzt samt Markennamen an das Beschwerdeportal melden können, ist zwar eine zusätzliche Hilfe im Kampf gegen Etikettenschwindel im Supermarktregal. Doch nach wie vor sind viele Produktverpackungen nicht verbraucherfreundlich gestaltet.


Die größten Aufreger unter den Produktmeldungen

Die Verbrauchschützer vom VZBV beklagen, dass 31 Prozent der 2014 als potenziell täuschend eingestuften Etiketten bislang nicht verbessert worden seien. „In jedem dritten Fall wird die Kritik ignoriert. Das ist zu viel“, sagt VZBV-Chef Müller. „Hersteller nutzen den gesetzlichen Spielraum zu oft für ihre Marketingzwecke aus – zu Lasten einer wahren und klaren Information.“

Größter Aufreger unter den Produktmeldungen mit Täuschungspotenzial sind laut VZBV irreführende Zutatenversprechen: Auf der Produktvorderseite würden Zutaten prominent hervorgehoben, die aber nur in geringen Anteilen enthalten sind. 43 Prozent der 182 Getäuscht-Meldungen aus dem Jahr 2015 fielen in diese Kategorie.

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Verbraucher kritisierten im vergangenen Jahr zudem die Kennzeichnung generell als zum Beispiel nicht informativ oder transparent genug (21 Prozent). So wird beispielsweise
ein Milchprodukt als „Quarkcreme mit Joghurt“ betitelt, tatsächlich sind aber Frischkäse, Joghurt, Sahne die Milch-Zutaten. Oder ein Corned Beef wird als „frisch für Sie verpackt“ beschrieben, dabei ist es nur „normal“ verpackt worden.

Beschwerden habe es auch über Werbung mit Gesundheitsbotschaften sowie Werbung mit traditioneller Rezeptur gegeben, so die Verbraucherschützer, obwohl Zusatzstoffe oder hochverarbeitete Zutaten enthalten waren (je acht Prozent). So wirbt etwa ein Chips-Produkt mit traditioneller Herstellung und feinsten Gewürzen. Der Einsatz von Maltodextrin und Säuerungsmittel spreche jedoch für eine industrielle Herstellungsweise. Als Würzmittel kämen schlichtes Salz, Zucker und Hefeextrakt zum Einsatz.

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Kritisch sehen die Verbraucherschützer auch, dass Hersteller die EU-weit definierten „Health Claims“ oftmals umformulierten und damit weniger exakte Gesundheitsversprechen machten. Jedoch nur wissenschaftlich bewiesene Gesundheitsversprechen seien erlaubt. „Der große Bereich allgemeiner Wohlfühl- und Fitnessclaims ist nicht geregelt, das nutzen die Hersteller aus“, kritisiert der VZBV.

Müllers Verband fordert daher, dass die wichtigsten Informationen zu einem Produkt wie Name, Abbildungen und enthaltene Menge der Zutaten auf der Vorderseite der Verpackung abgebildet werden. Bei der Aufmachung und Kennzeichnung von Lebensmitteln müsse einfließen, wie Verbraucher die Informationen wahrnehmen und einordnen.

Die größten Lügen der Lebensmittelindustrie
Der Name kann über Erfolg oder Misserfolg eines neuen Produktes entscheiden. Deshalb verpflichten Unternehmen zum Teil extra Namenserfinder: Das hilft aber nicht immer - manchmal sind die Namen irreführend und es versteckt sich nicht das dahinter, was man auf den ersten Blick erwartet. "Crispy Chicken" ist schlichtweg paniertes Hähnchenbrustfilet und in einem Frischkäse mit Ziegenmilch wird nicht nur Ziegenmilch drin sein, sondern auch andere Milchbestandteile. Ein Blick auf die Rückseite hilft den "richtigen" Bestandteilen auf die Spur zu kommen.Der Ratgeber "Lebensmittel-Lügen – wie die Food-Branche trickst und tarnt" deckt diese und andere 'Lügen' auf. Er ist für 9,90 Euro bei allen Verbraucherzentralen oder im Internet unter www.vz-ratgeber.de erhältlich. Quelle: dpa
Man vermutet es nicht, aber nicht selten versteckt sich Alkohol in der Zutatenliste - das ist vor allem für Alkoholiker gefährlich, die schon bei kleinsten Mengen rückfällig werden können. Achtung: Sollte sich nur eine sehr geringe Menge Alkohol in den Lebensmitteln verstecken, kann das häufig auch als Trägerstoffe oder Lösungsmittel getarnt sein und taucht dann nur als Aroma auf. Quelle: dpa
Immer mehr Verbraucher achten bei ihrem Einkauf auf regionale Produkte - das kann sich aber schnell als Lüge entpuppen. Denn ein einheitliches Gesetz gibt es dafür nicht, sondern es liegt im Ermessen der Anbieter, ob die Produkte wirklich regional sind, also dort hergestellt wurden oder nur dort verkauft werden. Man sollte sich also ganz genau die Verpackung anschauen. Quelle: dpa
Für Zutaten, die - meist verführerisch - auf Gläsern, Verpackungen oder Dosen abgebildet sind, besteht eine "Mengenkennzeichnungspflicht", die anzeigt, wie viel davon tatsächlich im Produkt steckt. Vorsicht ist noch an anderer Stelle geboten: Steht auf der Verpackung der Hinweis "Serviervorschlag", dann entfällt eine Kennzeichnungspflicht. Zutaten, die dann auf dem Glas gezeigt werden, sind oft gar nicht enthalten, kritisiert die Verbraucherzentrale. Quelle: dpa/dpaweb
Noch eine Lüge kann sich hinter dem Terminus 'Hausfrauenart' verstecken. Denn neben der Regionalität der Produkte liegen auch solche im Trend, die auf Geschmacksverstärker und Konservierungsstoffe verzichten. Es erklärt sich allerdings beinahe von selbst, dass die Produkte aus dem Supermarkt, vor allem in der Vielzahl, wie sie dort stehen, direkt aus dem Kochtopf von Oma in das Glas hüpfen. Quelle: dpa
Lecker und gesund schließt sich leider in der Mehrzahl der Fälle aus: Die Wahrheit zeigt dann ein Blick auf die Nährwerttabelle - und hilft dabei die Lebensmittel, die zwar mit einer "Extraportion Milch" werben, aber verschweigen, dass da auch mehr Zucker und mehr Fett drin ist, zu entlarven. Quelle: dpa
Immer mehr Hersteller ersetzten Originalzutaten durch Billigstoffe und deklarierten das nicht deutlich genug auf der Verpackung, kritisieren Verbraucherschützer. Ein weiteres Problem: Oft fehlt das Zutatenverzeichnis ganz oder ist nur schwer lesbar. Ausnahmen darf es etwa bei Käse oder Getränken mit Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Prozent geben, sonst aber nicht. Der Verbraucherschutz empfiehlt deshalb, sich beim Hersteller zu beschweren, wenn das Verzeichnis fehlt. Quelle: AP

Damit Informationen auf Lebensmittelpackungen für die Kunden klarer werden, arbeiten die Verbraucherschützer zudem künftig eng mit dem Bundesernährungsministerium zusammen. Das Portal „lebensmittelklarheit.de“ soll, so der Plan, in Zukunft die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission (DMLBK) über Produktbeschwerden informieren.

Die Kommission soll daher nach neuen Grundsätzen arbeiten, wie der zuständige Minister Christian Schmidt (CSU) kürzlich ankündigte. „Was draufsteht, muss auch drin sein -und umgekehrt“, sagte Schmidt. Unter anderem legt eine neue Präambel in der Geschäftsordnung der Kommission nun ausdrücklich als Ziel fest, alle Wirtschaftsbeteiligten, insbesondere aber die Verbraucher vor Irreführung und Täuschung zu schützen. Schmidt sagte: „Eine „Geflügelwurst“ muss auch hauptsächlich aus Geflügel bestehen und nicht aus Schweinefleisch.“

Die Kommission erarbeitet Leitsätze für das Deutsche Lebensmittelbuch, das für rund 2000 Lebensmittel die Herstellung und Beschaffenheit beschreibt, die üblicherweise von dem Produkt erwartet wird. Die Leitsätze sollen zudem aktueller als bisher überprüft werden.

Die Verbraucherorganisation Foodwatch forderte die Abschaffung der Kommission. Sie bleibe „ein Geheimgremium, in dem Lobbyisten der Lebensmittelwirtschaft weiterhin mit am Tisch sitzen und jede verbraucherfreundliche Lösung mit ihrem Veto blockieren können“. Der Kommission gehören je acht Vertreter von Verbrauchern, Wirtschaft, Wissenschaft und Lebensmittelüberwachung an.

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