Tag der Industrie Konziliante Kanzlerin

Es ist ja nicht immer so, als würde die Kanzlerin ihre Reden allein zur Freude und Erbauung des Gastgebers halten. Oft bleibt sie vage und unverbindlich. Manchmal lässt sie ihre Zuhörer sogar ratlos zurück. Beim Tag der Deutschen Industrie jedoch zieht Angela Merkel die 1500 Zuhörer mit konkreten Zusagen in ihren Bann. Und ihrem Herausforderer von der SPD gibt sie gegen Ende ihrer Rede noch eine klare Absage mit auf den Weg. Lang anhaltender Applaus ist das Resultat.

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Berlin Dieter Kempf, seit Anfang des Jahres Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), nutzte seine Eröffnungsrede im Konzerthaus am Gendarmenmarkt in Berlin-Mitte am Dienstagmorgen, um der Bundesregierung seine Kernforderungen mit auf den Weg zu geben. Sie fokussierten sich auf drei Bereiche: Steuern, Energie und Digitalisierung.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, die im Anschluss an Kempf ans Rednerpult schritt, hatte auf alle Forderungen Antworten, die die versammelten Managerinnen und Manager aus ganz Deutschland zufriedengestellt haben dürfte. Sie werde versuchen, gemeinsam mit Frankreich eine Harmonisierung der Bemessungsgrundlagen bei der Unternehmensbesteuerung zu erreichen, stellte sie in Aussicht. Merkel sieht darin ein Vehikel, sich einem drohenden Dumping bei der Unternehmensbesteuerung entgegen zu stellen. Sowohl Großbritanniens Premierministerin Theresa May als auch US-Präsident Donald Trump, hatten angekündigt, die Unternehmensteuern senken zu wollen.

Beim Thema Energiewende signalisierte die Kanzlerin deutlich, die Kritik der Industrie erkannt zu haben. Das betrifft etwa die Besondere Ausgleichsregelung, die energieintensive Unternehmen von einem großen Teil der Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) befreit. Man müsse dafür Sorge tragen, "dass diese Regelung langfristig Bestand hat", sagte Merkel.

In der ersten Hälfte der Legislaturperiode hatte die Bundesregierung lange mit der EU-Kommission über die Besondere Ausgleichsregelung gestritten. Die Kommission sah darin eine unzulässige Beihilfe. Erst nach langen Verhandlungen konnte man eine Lösung finden, die den Fortbestand der Regelung sicherte. In weiten Teilen der Industrie herrscht jedoch die Sorge, die Kommission könne das Thema über kurz oder lang erneut auf den Tisch bringen. Merkels Zusage, für den Fortbestand der Regelung zu kämpfen, ist für eine Reihe von Unternehmen viel wert. Merkel sagte zudem, sie werde die Investitionszurückhaltung der energieintensiven Industrie "sehr sorgfältig beobachten". Die Unternehmen aus energieintensiven Branchen - etwa Chemie oder Stahl - investieren seit Jahren weniger als sie abschreiben, sie zehren somit ihre Substanz auf. Das Thema treibt nicht nur den BDI um. Als eine der Hauptursachen für die Investitionszurückhaltung wird die Energie- und Klimapolitik gesehen. Unsicherheit über die Reform des europäischen Emissionshandelssystems, über die weitere Entwicklung der Strompreise und über den Fortbestand der Besonderen Ausgleichsregelung gelten als Investitionsbremsen.

Die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, das Pariser Klimaschschutzabkommen aufzukündigen, nannte Merkel "sehr bedauerlich". Europa müsse beim Klimaschutz weitermachen. Die EU-Staaten hätten einen ehrgeizigen Pfad festgelegt, den man nun weiter umsetzen müsse.

Unverhohlen räumte die Kanzlerin vor der versammelten Wirtschaftselite ein, dass es Deutschland bei der Digitalisierung noch Nachholbedarf hat: "Wir hinken da hinterher, das ist keine Frage." Merkel sieht dabei auch Bund und Länder in der Pflicht. Die jüngsten Grundgesetzänderungen schafften die Voraussetzungen für eine engere Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern zur gemeinsamen Digitalisierung von Verwaltungsdienstleistungen für jeden einzelnen Bürger.

Merkel unterstrich ihr Ziel, die Forschungsausgaben bis auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern und stellte die seit langem von der Wirtschaft geforderte steuerliche Forschungsförderung in Aussicht.

Die Kanzlerin machte deutlich, dass sie für den Freihandel und offene Märkte kämpfen will. Das sei das zentrale Thema, für das sie sich während der deutschen G20-Präsidentschaft einsetzen werde, sagte sie - und ergänzte: "Angesichts der neuen amerikanischen Administration wird das nicht einfach." Merkel zeigte sich unbeeindruckt von dem Plan der US-Regierung, ein transatlantische Freihandelsabkommen nicht weiter anzustreben. Sie werde auch in Zukunft für ein transatlantisches Handelsabkommen kämpfen. "Wir sollten das Projekt nicht auf Eis legen", sagte sie.

Ohne Martin Schulz, den Kanzlerkandidaten der SPD, namentlich zu erwähnen, erteilte sie dessen Forderungen eine Absage: "Wir wollen den Soli ab 2020 schrittweise abschaffen, und zwar für alle", sagte die Kanzlerin. Schulz hatte erst am Montag das Steuerkonzept der SPD vorgestellt. Die Sozialdemokraten fordern darin, die Freigrenzen, ab denen der Solidaritätszuschlag anfällt, deutlich zu erhöhen. Auch die von der SPD geforderte Stabilisierung des Rentenniveaus lehnt Merkel ab. "Das Rentensystem ist bis 2030 stabil aufgestellt. Aus unserer Sicht besteht keine Notwendigkeit, etwas zu ändern", sagte sie.

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