Tauchsieder
Bundeskanzlerin Angela Merkel gratuliert Annegret Kramp-Karrenbauer als ihrer Nachfolgerin an der Parteispitze der CDU. Quelle: AP

AKK – Merkels richtige Wahl

Annegret Kramp-Karrenbauer ist neue CDU-Chefin. Das ist für die Kanzlerin ein Segen und für die Partei ein Glück, für Wolfgang Schäuble und Friedrich Merz eine Schmach – und für die politische Konkurrenz eine schlechte Nachricht.

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Angela Merkel gestattete sich einen Anflug von Exaltiertheit, das kommt nicht alle Tage vor. Ein breites Lachen der Begeisterung huschte über ihr Gesicht, sie klatschte lebhaft, heftig, frenetisch fast, sechs, sieben Sekunden lang - bevor sie sich plötzlich besann, sich wieder staatsräsonale Zurückhaltung auferlegte und ihren Gesichtszügen befahl, kanzlerprofessionellen Gleichmut auszustrahlen. Schließlich ging es bei der Wahl des neuen CDU-Vorsitzenden gestern Nachmittag in Hamburg auch um ihr Erbe - um das fast tränenerstickte „Danke, Angela“, das Annegret Kramp-Karrenbauer ihr nach 18 Jahren als CDU-Parteichefin hinterherrief - und dass Friedrich Merz ihr mit dröhnendem Schweigen vorenthielt.

Am Ende standen nicht nur AKK und Friedrich Merz zur Wahl, sondern auch Angela Merkel und Wolfgang Schäuble, und bei allem Jubel über das „Fest der Demokratie“, in das selbst die politischen Gegner einstimmten: In Hamburg waren, noch einmal, zwei politische Großmächte zu besichtigen, die einen Stellvertreter-Krieg führten.

Und Wolfgang Schäuble hat ihn erneut verloren, auch stilistisch. Schäuble hat bereits vor der Bayern-Wahl im September ein politisches Erdbeben prophezeit - und war seither als eine Art dunkel raunender Chefaufrührer in seiner Partei unterwegs. Er hat Friedrich Merz nicht nur aus politischer Überzeugung aufs Schild gehoben, sondern aus tiefstem Herzen, aus später Vergeltungssucht: um die Ära Merkel so unrühmlich wie möglich zu beenden.

Und Merz, der Mini-Schäuble, wie dieser von männlichem Superioritäts- und Intelligenzstolz getrieben, hat sich monatelang auf sein Comeback vorbereitet - ein Comeback, das er recht unverhohlen (und von Teilen der Medien fast schon patenschaftlich unterstützt) als stillen, späten Putsch gegen die bleierne Merkel-Zeit verstand: gegen die entschiedene Unentschiedenheit der Kanzlerin.

Merkel hat diese Unentschiedenheit am Freitag noch einmal verteidigt - und Tatsache ist: Die CDU stellt nach 18 Jahren mit ihr an der Spitze die einzig verbliebene Volkspartei. Sie allein stellt Kanzler oder Kanzlerin - und wird dies aller Voraussicht nach auch in den nächsten zehn Jahren tun. Und das nicht, weil die CDU in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten mit Profilschärfe, klarer Kantigkeit und dauernder Revolutionslust geglänzt hätte. Sondern weil Merkel sie buchstäblich entmannt und modernisiert - sie aus den Fesseln ihrer Vergangenheit befreit, für neue Wähler geöffnet hat.

Am Ende war das Doppelduell Merkel vs. Schäuble und Kramp-Karrenbauer vs. Merz das Duell zweier Lesarten der Parteigeschichte - ein Duell darüber, mit welchem historischen Recht und welcher Legitimation sie in der CDU künftig über welche „Schicksalstunden“ reden.

Schäuble und Merz meinen, Merkel habe die CDU mit notorischer Indifferenz in eine verhängnisvolle Lage hineinmanövriert, sie politisch entkernt und ausgehöhlt, ihren programmatischen Kern glattgeschliffen, und ja: Merkels Mitte ist eine einzige, große Leerstelle.

Aber Merkel, listig wie je, hat in ihrer Rede noch einmal an die eigentliche „Schicksalsstunde“ der CDU erinnert: an die Partei vor 18 Jahren und ihre Spendenaffäre - an eine von der Hinterzimmerpolitik Helmut Kohls und Wolfgang Schäubles fast zerstörte CDU. Schäuble hat nicht einmal die Hand gerührt während der Rede Merkels, starrte wie versteinert nach schräg unten. Er wusste warum.

Angesichts des Vergleichs mit der Spenden-Affäre konnte die hochalarmistische Wende-Dramatik vor dem Parteitag verfangen: Merz platzte vor ein paar Tagen noch schier vor Siegesgewissheit. Aber zur ultimatumhaften Kehre, die er und Schäuble der CDU demonstrativ meinten verordnen zu müssen, waren etwas mehr als die Hälfte der Delegierten am Ende dann doch nicht bereit.

Ganz im Sinne des ersten Teils des schlau ersonnenen Parteitagsmottos („Zusammenführen. Zusammen führen.“) hat Merkel die CDU, anders als Schäuble, 2000 zusammengeführt. Und ganz im Sinne des zweiten Teils hat Annegret Kramp-Karrenbauer, anders als Merz, 2018 durchblicken lassen, dass sie die CDU zusammen mit allen anderen führen möchte - und nicht aus nachholender Revanchelust gegen weite Teile der Partei. Am Ende ging es Kramp-Karrenbauer um Veränderung und Evolution - darum, die CDU zu profilieren. Während es Merz um einen Bruch ging, um eine Revolution - und darum, die CDU zu polarisieren.

Für Angela Merkel ist es ein Segen, für die CDU ein Glück - und für die politische Konkurrenz eine schlechte Nachricht. Und sogar Merz darf sich zu den Gewinnern zählen: Ihm bleibt der Vorwurf erspart, die CDU in einem Purzelbaum zurück in die Gefangenschaft einer einzigen Koalitionsoption (an der Seite der FDP) geführt zu haben. Er muss nicht erklären, was man sich unter seinem sonntagsrednerischen „Mehr Europa“ finanzpraktisch vorzustellen hat. Nicht weiter ausführen, warum er Anteilsscheine geldpolitisch subventionierter, steuervermeidender, teils skandalumwitterter Unternehmen unters (besitzende) Volk jubeln will. Und schließlich bleiben ihm 2019 Begegnungen mit ostdeutschen Wählern erspart.

Nein, Merz als Klientelpolitiker und andenpaktlich-altmännerhaft-legendenumrankte Projektionsfläche wäre für die CDU das falsche Testosteron zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen - in fast jeder Hinsicht. Nur AKK hat die Chance, die unter der Oberfläche der stolz bepriesenen „Diskussionskultur“ weit aufgerissenen Gräben in der Partei wieder zuzuschütten, die nächsten Landtagswahlen in Ostdeutschland pragmatisch und koalitionsoffen zu gewinnen - und über die politischen Gräber von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble hinweg etwas Neues entstehen zu lassen.

Denn in Wahrheit geht es nicht darum, ob sich die CDU in Zukunft wieder „konservativer“ oder „wirtschaftsfreundlicher“ präsentieren muss (Merz) - Diskussionen von vorgestern. Sondern nur darum, dass sie wieder als politisch lebendige Kraft der Mitte wahrnehmbar wird - als einzig verbliebene Volkspartei, die das Zeug hat, selbstgewählte Partnerschaften auf Zeit einzugehen.

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