Tauchsieder

Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar

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Alfred Herrhausen war eine Legende


Die ihn am 30. November 1989, an diesem Sonntag vor 25 Jahren, ermorden, wollen es nicht. Wollen nicht sprechen, nicht gestalten, nicht verändern. Wollen sich stattdessen, ideologisch eingebunkert und verpanzert, ihr dunkel-narzisstisches Weltbild erhalten, ihr Ressentiment retten, ihre monströsen Horizontverengungen vor dem Zugriff der Vernunft schützen. Es gehört zur bösen Wahrheit über die RAF, dass sie mit ihren Morden nichts und wieder nichts erreichen will - außer dass alles bleibt, wie es ist. Deshalb schlagen die Terroristen das Gesprächsangebot von Alfred Herrhausen auf denkbar definitive Weise aus; deshalb bringen sie mit Alfred Herrhausen weniger ihr Feindbild um, vielmehr den, der ihr Feindbild zu ruinieren droht. "Herrhausens Pläne gegen die Länder in der Dritten Welt", heißt es im Bekennerschreiben, "die selbst in linksintellektuellen Kreisen als humanitäre Fortschrittskonzepte gepriesen werden, sind nichts anderes als der Versuch, die bestehenden Herrschafts- und Ausplünderungsverhältnisse längerfristig zu sichern."

 

Das ist nicht fest und entschieden formuliert, sondern despotisch und doktrinär - und zeugt von einer noch größeren Kommunikationsstörung und Sprachlosigkeit als die Bombe, die Alfred Herrhausen das Leben kostet. Es ist deshalb so verständlich wie sinnlos, dass die Angehörigen der Ermordeten noch immer auf eine Erklärung der Mörder warten, dass namentlich Traudl Herrhausen, die zweite Ehefrau des Opfers, den "Mördern meines Mannes" endlich "in die Augen sehen" will. Die Terroristen haben - vielleicht niemals deutlicher als im Falle von Alfred Herrhausen - das, was sie zur "positiven Veränderung" und "besseren Gestaltung" der Gesellschaft beizutragen hatten, ein für alle Mal gesagt: mit ihren Waffen. Der Rest war, ist und bleibt Schutzbunkerschwätzerei, Stadtguerillasermon und Häftlingsbefreiungsschleim.

Alfred Herrhausen braucht nicht mehr als viereinhalb Jahre Zeit an der Spitze der Deutschen Bank und drei große Themen und Ereignisse, um zu einer Legende zu werden. Mit seinem Plädoyer für einen Schuldenerlass und seinem Interesse an globalen Fragen, mit seiner zweifelnden Offenheit in Fragen der Geldkonzentration und Bankenmacht und mit seiner Klarsicht in den Wochen nach dem Mauerfall sichert er sich ein Maß an öffentlicher Anerkennung, wie sie einem deutschen Unternehmenschef seither nicht mehr zuteil wurde.

Als Herrhausen Ende September 1987 auf der Jahrestagung der Weltbank in Washington vor die Presse tritt, verwirft er plötzlich die bis dahin gängige Politik des billigen Geldes, die die Entwicklungs- und Schwellenländer zur Aufnahme immer neuer Kredite und zur Begleichung immer neuer Zinsen, kurz: ins Joch des ewigen Schuldendienstes, zwingt. Herrhausen spricht von einem "anderen Lösungsansatz" - und davon, dass auch die "Banken gewisse Opfer bringen" müssen. Während Eine-Welt-Engagierte ihren Ohren nicht trauen, westliche Regierungsvertreter vor einem "Präzedenzfall" warnen und deutsche Bankvorstände eine "Schnapsidee" weglachen, tritt Herrhausen in den folgenden Wochen sachlich, kühl und überlegt den Beweis für die "Richtigkeit" seines Denkens an: Es gehe darum, dass die Schuldnerländer ihre Kreditwürdigkeit und "Marktqualität" zurück gewinnen, so Herrhausen, "was viele zukünftige geschäftliche Möglichkeiten eröffnet". 

Herrhausen ist ganz begeistert von Debt Equity Swaps, die die Umwandlung von Schulden in Beteiligungskapital erlauben - oder von Debt for Nature Swaps, mit denen sich der Schuldenverzicht an die Einhaltung von Umweltschutzzielen knüpfen ließe: "Denken wir nur an die Urwaldgebiete oder die afrikanische Savanne", so Herrhausen: "Wäre hier nicht eine Sichtweise angebracht, wonach solche Groß- Biotope den Ländern, auf deren Territorien sie liegen, gleichsam als Treuhandgut der ganzen Menschheit überantwortet sind, weil die gegenseitige Abhängigkeit aller auf dem Raumschiff Erde, auf dem wir leben, gerade in der ökologischen Herausforderung in nicht zu überbietender Weise sichtbar wird?"

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