Tauchsieder

Sexismus ohne Ende?

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Am besten kommt man Lindner wohl mit Sigmund Freud auf die Spur

Abgesehen davon: Muss man wirklich noch einmal darauf hinweisen, dass es sich beim Feminismus eben nicht um das Partikularinteresse einer Menschheitshälfte handelt, sondern um die Vollendung des zwei, drei Jahrhunderte alten Aufklärungsversprechens? Bis 1918 durften Frauen nicht wählen in Deutschland, bis 1958 kein Bankkonto eröffnen, bis 1977 nicht ohne Erlaubnis des Gatten arbeiten – und bis heute müssen allein sie sich für ihre eingeschlagenen Privat- und Karrierewege rechtfertigen. Warum fällt es vor allem Männern so schwer, die historischen Erfolge der Moralisierung von Politik und einer emanzipativen Political Correctness anzuerkennen, genauer: eines das Gleichheits- und Gerechtigkeitsempfinden bewirtschaftenden Gefühlsregimes, das die körperliche Unversehrtheit und seelische Gesundheit des Individuums, mithin seine Menschenwürde in den Mittelpunkt stellt? Eine Welt, in der Sklaverei, Rassismus, Antisemitismus, Xenophobie und Misogynie sanktioniert werden, ist in diesem Sinne nicht nur eine inklusivere, sondern auch schlicht bessere Welt – ein „Segen für die Menschheit“ (Hedwig Richter).

Niederschmetternd also. Und das nicht zuletzt, weil sich in den überspannten Diskussionen um identitätspolitische Fragen zuletzt bereits eine Konsens angedeutet hatte. In Debatten über die strukturelle Benachteiligung von Gruppen, so der Philosoph Thomas McCarthy, müssen ihre Sprecher stets das „erste Wort“ haben – was nicht bedeute, dass ihnen auch das „letzte Wort“ zukomme. Dahinter stehen zwei einfache Gedanken. Erstens: Weiße müssen unbedingt erfahren, wie es sich anfühlt, als Schwarzer beargwöhnt zu werden. Heterosexuelle müssen wissen, wie diskriminiert sich Homosexuelle vorkommen. Männer müssen zuhören, wie übergriffig Frauen ihre Pavianhaftigkeit empfinden. Ob aber zweitens alle Nicht-Schwarzen auch strukturelle Rassisten sind, homosexuelle Eheleute Steuervorteile genießen sollen oder Quoten für Frauen in Unternehmen und Parteien eingeführt werden müssen – darüber müssen in einer offenen, liberalen Gesellschaft immer auch Weiße, Heteros und Männer mitbefinden dürfen. Ein solcher Konsens ist immer von zwei Seiten gefährdet: von denen, die Rassismus und Sexismus erwittern wollen. Und von denen, die rassistisch und sexistisch sind.

Daher muss hier abschließend auch noch von FDP-Chef Christian Lindner die Rede sein und seiner Bloßstellung Linda Teutebergs, der geschassten Generalsekretärin. Lindner hat sich inzwischen dafür entschuldigt, Teuteberg auf dem Parteitag als Objekt sexueller Männerfantasien ausgestellt und der Lächerlichkeit preisgegeben zu haben. Das muss man anerkennen. Das Problem: Er bezichtigt sich einer „missverständlichen Formulierung“, obwohl seine Formulierung genau das nicht war, im Gegenteil: „300 Mal den Tag zusammen beginnen“ ist vollkommen unmissverständlich – und sollte es wohl auch sein: nämlich genau, „was ihr jetzt denkt“.

Am besten kommt man Lindner wohl mit Sigmund Freud auf die Spur. Der Meister der Psychoanalyse hat 1905 ein hübsches kleines Buch über den „Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“ geschrieben. Freud liebte Witze. Und er war davon überzeugt, dass „die prüde Welt“, in der er lebte, gerade „den lüstern-aggressiven Witz beinahe unentbehrlich machte“, so der deutsch-amerikanische Historiker Peter Gay. Der „tendenziöse Witz“, so Freud, arbeite am Rückbau der bourgeoisen „Zensur in uns“, lege „unzugänglich gewordene Lustquellen“ frei, erschließe uns „Genussmöglichkeiten“, die uns durch die „Verdrängungsarbeit der Kultur“ ansonsten nicht mehr offen stünden.

Wie aber würde Freud den lüstern-aggressiven Witz unter umgekehrten gesellschaftlichen Vorzeichen, in einer durchsexualisierten Welt beurteilen? Darüber steht uns kein Urteil zu. Es reicht, ihn einfach zu Wort kommen zu lassen; seine Reflexionen über den „obszönen Witz“, die „Zote“ sind zeitlos: „Die Zote ist ursprünglich an das Weib gerichtet und einem Verführungsversuch gleichzusetzen… Wer über die Zote lacht, lacht wie ein Zuschauer bei einer sexuellen Aggression… Die Zote ist wie eine Entblößung der sexuell differenten Person, an die sie gerichtet ist…“ Dabei sei die Anwesenheit eines Dritten nötig, so Freud: „Beim Landvolk oder im Wirtshaus des kleinen Mannes kann man beobachten, dass erst das Hinzutreten der Kellnerin oder der Wirtin die Zote zum Vorschein bringt; auf höherer sozialer Stufe erst tritt das Gegenteil ein, macht die Anwesenheit eines weiblichen Wesens der Zote ein Ende; die Männer sparen sich diese Art der Unterhaltung, die ursprünglich ein sich schämendes Weib voraussetzt, auf, bis sie allein ‚unter sich‘ sind.“ So gesehen, hat Lindner die Zote zurück gebracht unters Landvolk der Freien Demokraten. 

Die FDP braucht einen personellen Neustart. Parteichef Christian Lindner ist eine One-Man-Show, die sich überlebt hat. Er repräsentiert die Liberalen auch inhaltlich nicht mehr.
von Stephan-Götz Richter

Liest man nur ein wenig weiter bei Freud, schließt sich auch der Kreis zu Paetow und „Tichys Einblick“, denn gleich anschließend kommt dieser großartige Stilist auch auf den „feindseligen Witz“ zu sprechen: „Indem wir den Feind klein, niedrig, verächtlich, komisch machen“, schreibt Freud, „schaffen wir uns auf einem Umwege den Genuss seiner Überwindung, den uns der Dritte, der keine Mühe aufgewendet hat, durch sein Lachen bezeugt.“ Und weiter: Der feindselige Witz verwandelt den „anfänglich indifferenten Zuhörer in einen Mithasser oder Mitverächter und schafft dem Feind ein Heer von Gegnern, wo erst ein einziger war“. Treffender kann man das Prinzip Schmähwitz wohl kaum in Worte fassen.

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