Tauchsieder

Ausblick auf die Landtagswahlen im März

Die Landtagswahlen in drei Wochen werden zum Menetekel für das Regierungsbündnis: Union und SPD laufen die Wähler in Scharen davon - und instabile Parlamente werden die Norm. Spannende Zeiten.

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Diese Politiker haben Ahnung von Geld und Finanzen
Thomas Oppermann Quelle: dpa
Sahra Wagenknecht Quelle: dpa
Cem Özdemir Quelle: dpa
Bernd Lucke Quelle: dpa
Platz 6: Wolfgang Kubicki (FDP) Der FDP-Politiker taucht zum ersten Mal im Ranking auf. Er wird von 33 Prozent der Befragten als kompetent angesehen. Quelle: dpa
Gregor Gysi Quelle: dpa
Angela Merkel Quelle: dpa

Helmut Kohl, zeit seines Lebens von Statur und Aura her mehr Monument als Mensch, verkörpert bis heute mustergültig die politische Drei-Parteien-Stabilität der Bundesrepublik. Bei den Bundestagswahlen 1976 erzielte der Kanzlerkandidat der Union (bei einer damals nicht ungewöhnlichen Wahlbeteiligung von 90,7 Prozent) riesige 48,6 Prozent der Stimmen - und doch zu wenig, um Helmut Schmidt aus dem Amt zu verjagen. Denn Schmidts SPD kam zwar mit sechs Prozentpunkten weniger als die Union durchs Ziel, wusste aber damals die FDP an ihrer Seite, die es auf 7,9 Prozent brachte. Unterm Strich schenkten damals weit mehr als 99 Prozent der Wähler und rund 90 Prozent der erwachsenen Deutschen Union, SPD oder FDP ihr Vertrauen. Den kümmerlichen Rest sammelten die Extremisten von NPD und KPD ein - Randerscheinungen im wahrsten Sinne des Wortes.


Es ist bekannt, was folgte: Das Parteiengefüge heterogenisierte sich auf der linken Seite mit dem Aufstieg von Grünen und Linken - und es konsolidierte sich auf der konservativ-bürgerlichen Seite, weil die FDP ihre liberale Identität opferte, um sich als Schosshündchen der Union und Klientelpartei der (Erfolg-)Reichen fürs Erste in die Bedeutungslosigkeit zu manövrieren. Die Union von Bundeskanzlerin Angela Merkel wiederum hat sich in den vergangenen Jahren einerseits durch vermehrte Einsicht in ihre gesellschaftspolitische Rückständigkeit ausgezeichnet (Atomkraft, Homosexualität, Quote, Mindestlohn…), weswegen sie von konservativen Geistern der „Sozialdemokratisierung“ geziehen wurde.

Wird die AfD langfristig erfolgreich sein?

Schwerer wiegt, dass die Merkel-CDU andererseits mit ihrer Strategie der „asymmetrischen Demobilisierung“ - also durch unscharfe eigene Positionen und durch den absichtsvollen Verzicht auf Streitthemen, die die Wähler des politischen Gegners mobilisieren könnten - für eine beispiellose Verflachung des politischen Diskurses in Deutschland gesorgt hat. Nicht der Linksruck, sondern ihre politiklose Politik, von Merkel selbst als „alternativlos“ bezeichnet, fällt der Union (und dem Land) nun in drei Wochen vor die Füße: Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt werden zum Menetekel für Merkels präsidialen Regierungsstil, für die Große Koalition und die politische Stabilität insgesamt.

AfD gehört zur deutschen Politik

Nach Euro-Drama, Griechenland-Bailout und Flüchtlingskrise, nach Rettungspaketen, Kehrtwenden und Rechtsüberdehnungen im Monatstakt, nach geldpolitischer Geisterbahnfahrt, europapolitischer Sackgassenpolitik und kanzleramtlich verordnetem Migrationschaos ist das Vertrauen der Wähler in die Berliner Politik gründlich dahin - und es zeichnen sich einige nachhaltige Veränderungen im Parteiengefüge der Bundesrepublik ab.

Welche Parteien mit Anti-Flüchtlingspolitik punkten wollen
Marine Le Pen, Chefin des rechtsextremen Front National (FN) in Frankreich Quelle: REUTERS
Niederländischer Rechtspopulist Geert Wilders Quelle: AP
Matteo Salvini, Chef der rechtspopulistische Lega Nord in Italien Quelle: AP
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban Quelle: REUTERS
Alle großen Parlamentsparteien Tschechiens von links bis rechts sind gegen die Aufnahme einer größeren Zahl von Flüchtlingen. Die Regierung in Prag schickte Hunderte Polizisten an die Grenze zu Österreich und kämpft gegen dauerhafte EU-Flüchtlingsquoten. Am rechten Rand verbündete sich die Splitterpartei „Morgenröte“ mit der Bewegung „Block gegen den Islam“. Auch Europaskeptiker um den früheren Präsidenten Vaclav Klaus (hier im Bild) versuchen, mit dem Thema zu punkten. In einem Jahr finden in Tschechien Kommunal- und Teilwahlen zum Senat statt. Quelle: AP
Polens Regierungschefin Ewa Kopacz Quelle: dpa
Plakat der Schweizerischen Volkspartei Quelle: dpa

Zunächst einmal: Die AfD wird in den nächsten fünf Jahren zur deutschen Politik gehören, ob man das gut heißt oder nicht. Wenn sich damit eine Re-Mobilisierung der „Ausgeschlossenen“ und „Abgehängten“ verbindet, die sich in den vergangenen Jahren nicht mehr repräsentiert gefühlt haben, wäre das zunächst einmal zu begrüßen: In der politischen Artikulation seiner Bürger spiegelt sich ein Land gewissermaßen selbst - und es kann nicht schaden, dass Deutschland dabei derzeit leicht ersichtlich (sic!) keine allzu gute Figur macht.

Vor allem die Union hat die Gefahr von rechts, das gärende Ressentiment des kleinbürgerlichen Prekariats, jahrelang skandalös unterschätzt - der erwartbarte Riesen-Erfolg der AfD in Sachsen-Anhalt ist auch ein Reflex des Wählers auf die Verbindung von lässig verordneter Niedriglohn-Politik mit selbstgefälliger „Uns-ging-es-noch-nie-so-gut“-Rhetorik.


Die Linke hat immer nur einem Teil dieser Wähler eine politische Heimat sein können. Die AfD unterscheidet sich von den Linken nun möglicherweise dadurch, dass sie auch Nicht-Wählern das ist, was diese für eine vernünftige Wahl-„Alternative“ halten. Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die Wahlbeteiligung (zuletzt selbst bei Bundestagwahlen auf rund 70 Prozent gefallen, in Sachsen-Anhalt lag sie 2011 bei gut 50 Prozent) in den Bundesländern steigt - und dass wir in den nächsten Jahren an Wahlabenden ehrlicher als bisher Auskunft erhalten über die „politische Stimmung“ in Deutschland.

Der Erfolg der AfD bedeutet zweitens, dass die Bürger in den nächsten Jahren in instabilen Fünf-bis-Sechs-Parteien-Parlamenten repräsentiert sind, dass große Koalitionen an Renommee einbüßen und stabile Lager der Vergangenheit angehören. Beispiel Sachsen-Anhalt: CDU und SPD repräsentieren im Landtag derzeit 54 Prozent der Wähler, die beiden Oppositionsparetien Linke und Grüne nur rund 31 Prozent. Nimmt die FDP in drei Wochen die Fünf-Prozent-Hürde, sähe die Lage komplett anders aus: CDU und SPD werden Mühe haben, gemeinsam 50 Prozent auf die Waage zu bringen - und bekommen es im Landtag mit einer bunten, aber fast gleich starken Opposition zu tun - noch dazu mit einer Linken als zweitstärkster Partei weit vor der SPD - und einer AfD auf SPD-Niveau.

Beinahe noch interessanter stellt sich die Lage in Rheinland-Pfalz dar, in der die Linke wohl erneut an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern wird. Nach dem mutmaßlichen Einzug von AfD und FDP in den Landtag aber werden weder Schwarz-Gelb noch Rot-Grün eine Koalition bilden können. Bleibt eine Große Koalition mit Ministerpräsidentin Julia Klöckner, deren CDU nach Lage der Dinge die meisten Stimmen einfahren wird? Genau das will eine Mehrheit der Rheinland-Pfälzer nicht; sie bevorzugen Malu Dreyer (SPD) als Landeschefin.

Auch spricht aus Sicht der SPD alles gegen eine Juniorpartnerschaft mit der Union: Die SPD wird schrumpft sich an der Seite der Union seit Jahren schon zu Tode. Schwarz-Grün also? Mal abgesehen davon, dass es auch dafür wahrscheinlich nicht reichen wird: Allein Julia Klöckner, die sich jede Überzeugung anverwandeln kann, hätte wahrscheinlich auch mit Schwarz-Grün kein Problem (und eben deshalb eines mit den Wählern in Rheinland-Pfalz).

Läuft Kretschmann der CDU den Rang ab?

Und Baden-Württemberg? Vielleicht der interessanteste Fall. Jedenfalls brächte eine „Große Koalition“ aus Union und SPD in Stuttgart derzeit gerade mal 45 Prozent auf die Waage. Hinzu kommt, dass die Baden-Württemberger ihrem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann doppelt so viel Sympathie entgegenbringen wie den Spitzenkandidaten von Union, SPD und FDP zusammen. Aber auch in Stuttgart gilt: Durch den mutmaßlichen Einzug der AfD wird es keine Lagerlösungen (Schwarz-Gelb oder Grün-Rot) geben. Schwarz-Grün also - ohne Kretschmann? Undenkbar. Grün-Schwarz - sicher, damit könnten sie in Baden-Württemberg leben, aber läuft Kretschmann der CDU tatsächlich den Rang ab? Eher unwahrscheinlich.

Alexander Gauland war Vordenker des Bürgertums, jetzt personifiziert er die neue AfD. Die Partei versucht sich rechts von der Union als neo­konservative Kraft zu etablieren. Wie rechts ist die Partei?
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Das Kuriose an der Situation im März 2016 ist daher drittens, dass sie in gewisser Weise der Situation im Jahre 1976 gleicht. Denn damals wie heute hing das politische Schicksal von der mutmaßlich kleinsten Parlaments-Partei ab: von der FDP. Sie kann auch im März wieder das „Zünglein an der Waage“ sein - wenn sie den Mut dazu aufbringt.

Damit ist selbstverständlich nicht gemeint, dass sie für eine schwarz-rote Koalition den Mehrheitsbeschaffer spielt in Baden-Württemberg - gegen den beliebten Kretschmann. Was sollte die FDP in einer solchen Konstellation gewinnen? Warum sollte sie sich als Stütze einer schwarz-roten Koalition in Berlin hervortun wollen, die inhaltlich leer und politisch schwach ist? Nein, damit ist gemeint, dass die FDP ihre mutmaßlichen Wahlerfolge in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz dazu nutzen muss, um über Regierungsbeteiligungen in Ampelkoalitionen zurück ins bundespolitische Machtspiel zu kommen.



Aus Sicht der FDP spricht alles, aber auch wirklich alles dafür: Die Kretschmann-Grünen und auch die SPD in Baden-Württemberg sind so wirtschaftsfreundlich, so bürgerlich, so ideologiefern wie nirgends sonst in Deutschland. Und in Rheinland-Pfalz hat eine mit der SPD liierte FDP eine lange Tradition. Hinzu kommt, dass die FDP in Rheinland-Pfalz nicht als kleinster Partner am Verhandlungstisch sitzen würde, sondern Seit’ an Seit’ mit mutmaßlich halbierten Grünen - keine schlechte Ausgangsposition, um inhaltlich zu punkten.

Darüber hinaus würde die FDP auch ein Ausrufezeichen in Richtung Union setzen: Seht her, wir können auch anders! Vor allem aber wäre eine Ampel in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ein Befreiungsschlag für liberale Politik: für einen Pragmatismus der Lösungen jenseits von Merkels großkoalitionärer „Alternativlosigkeit“ und jenseits von neurechter Ideologie.

Das Vokabular von Pegida

Schließlich: Nicht mit einem Einzug ins Parlament, wohl aber mit Regierungsbeteiligungen würde die FDP auch von den Medien wieder wahrgenommen als politische Kraft, mit der zu rechnen ist: In der Flüchtlingspolitik etwa hat sie zuletzt Positionen bezogen, die mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt hätten.

Wird die FDP die Chance nutzen? Christian Lindner und seiner Berliner Mitstreiter würden sie vielleicht nutzen wollen. Aber wollen Lindners Landesfürsten? Vor allem in Baden-Württemberg scheint die FDP dem Lindner-Liberalismus noch nicht gewachsen…

Ein letztes Wort noch zur Großen Koalition. Wenn die Umfragen nicht trügen und die FDP sich ihrer Chance verweigert, wird der 13. März für die SPD zu einem Desaster. In Rheinland-Pfalz wird sie abgewählt. In Baden-Württemberg wird sie Mühe haben, 15 Prozent zu erreichen. In Sachsen-Anhalt wird sie sich nur mit Glück gegenüber der AfD als drittstärkste politische Kraft behaupten.

Für die Union hingegen gilt: Wenn für Angela Merkel alles glatt läuft, gewinnt sie zwei Länder zurück - und die CDU führt in allen dreien die Regierung. Freilich: Wenn die Merkel-CDU daraus den Schluss zöge, sie sei eine Wahlsiegerin, wäre das am 13. März ganz sicher die größte Niederlage für Deutschland. Denn ein „Weiter so“ - das wird es nicht mehr geben. Die Zeit der großen Koalitionen, die einen „Konsens“ der politischen Mitte in Deutschland repräsentieren, ist vorbei. Die Oppositionen sind zu groß, als dass sich sich mit dem Hinweis auf eine „alternativlose“ Politik in den nächsten Jahren erledigen ließen. Deutschland hat am 13. März wieder die Wahl - und danach erst recht. Spannende Zeiten.

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