Tauchsieder Luther war kein Tetzel

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Bau der Peterskirche

Die WirtschaftsWoche hat sich daher entschlossen, das Jahr 2016 zum Tetzel-Jahr auszurufen: Vor 500 Jahren wurde der begnadete Prediger vom Bistum Meißen zum Subkommissar beim Ablasshandel für den Bau der Peterskirche in Rom ernannt. Wir möchten damit den Vatikan nicht nur als bedeutenden Kunst-Mäzen, sondern auch als katholischen Ur-Konzern rehabilitieren - und den Geld-Sünden-Tausch als revolutionäre Praxis, die den Kapitalismus überhaupt erst ermöglicht hat.

Denn zieht man den religiösen Kontext ab, so hat man sich den Ablasshandel doch wohl vor allem als kirchliche Kapitalerhöhung vorzustellen, als Investition zur Verbreitung der frohen Botschaft, dass Geld in der Lage ist, selbst Gott, den Herren, in Händel zu verwickeln - und damit alles auf seinen Nenner zu bringen.

Luther hat das damals als bloßen Versuch der Bestechung, als Entheiligung des Allmächtigen missverstanden. Und natürlich, moralisch gestimmte Geister mögen auch heute noch einwenden, dass die Entgrenzung monetärer Könnerschaft nicht nur segensreiche Folgen hatte: Geld kann zum Beispiel auch auf gesellschaftliche Leistungen (Korruption) und die personale Würde (Ausbeutung, Prostitution etc.) zugreifen. 

Diese Ökonomen haben unsere Welt geprägt
Korekiyo Takahashi Quelle: Creative Commons
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János Kornai Quelle: Creative Commons
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Steuererklärung Quelle: AP
Mancur Olson Quelle: Creative Commons
Thorstein Veblen Ökonom Quelle: Creative Commons

Gleichwohl wissen wir Heutigen, dass Tetzel vor allem das schlechte Gewissen monetarisierte und damit die Wirtschaftsform des  21. Jahrhunderts vorweg nahm. Sein Ablass-Geld sichert heute den Zugriff auf Verschmutzungszertifikate und spekuliert auf eine grüne Revolution, es kompensiert Fernflüge und vermehrt sich auf dem Konto von Bioschwein-Bauern. 

Ausgerechnet der Ablasshandel erweist sich also als hocheffizientes Instrument des modernen Wirtschaftens: Er nimmt die Internalisierung externer Kosten beim Wort. Das Gewissen lenkt unseren Blick auf chinesische Wanderarbeiter und ihre Arbeitsbedingungen, auf afrikanische Lehrer, die in Berliner Biergärten Teller spülen, und auf Hühner, die in enge Käfige gepfercht werden - und es drängt uns, dafür bezahlen zu dürfen.

Hoch lebe also Johann Tetzel hier und heut’, nicht Martin Luther. Während der Reformator die menschliche „Reue“ allein an Gott zurück band, hat der Reformer sie ins Weltliche hinein entgrenzt - und zum Paramater der Ökonomie erhoben. Als verinnerlichter Glaube im Sinne Luthers produziert die religiöse „Bußfertigkeit“ bis heute Opferbereitschaft, Märtyrertum (und Fanatismus); als verinnerlichte Alltagspraxis im Sinne Tezels hingegen dient sie einer kooperativ-wirtschaftlichen Zukunft.

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