Tauchsieder

Byung-Chul Han – der Hütchenspieler

Byung-Chul Han feiert die schwarze Messe der freiwilligen Selbstversklavung im Smartphone-Kapitalismus. Das Buch "Psychopolitik" ist eine ziemliche Blamage für Autor und Verlag.

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Das neue Werk von Byung-Chul Han ist nur ein

Das neue Buch von Byung-Chul Han, in Basel als Philosoph bekannt, in Karlsruhe als Medientheoretiker und in Berlin seit 2012 als Kulturwissenschaftler an der Universität der Künste, ist für seinen Autor und seinen neuen Verlag eine ziemliche Blamage - und für den Leser ein teures Missvergnügen.

Zunächst einmal der Preis. Zwanzig Euro für einen locker gestrickten, von den Setzern bei S. Fischer mühsam auf 113 Seiten gestreckten Zwei-Stunden-Essay - das ist, mit Verlaub, ein Statement wider die Buchpreisbindung. Zweitens der Etikettenschwindel: Ein Buch, das jeden Theorieanspruch in Form und Inhalt unterläuft, in der Verlagsreihe "Wissenschaft" anzubieten, ein Buch, in dem sich ein unbegründeter Aussagesatz an den nächsten reiht und jede aus dem Hut gezauberte Behauptung durch weitere aus dem Hut gezauberte Behauptungen verstärkt wird - das ist, mit Verlaub, gezielte Leser(ent)täuschung.

Das Buch

Und drittens schließlich: Ein Werk, das keinen einzigen neuen Gedanken des Autors enthält, sondern eine längst bis zur Neige ausgeschöpfte Kultur- und Kapitalismuskritik noch einmal variiert und zusammenfasst - das kündet, mit Verlaub, entweder von des Autors Hybris oder Unverschämtheit.

Han hat in den vergangenen fünf Jahren mit dunkel raunenden Zeitdiagnosen eine breite Leserschaft gewonnen. Am Anfang seiner popphilosophischen Blitzkarriere stellte er Deutschland, Europa und dem Westen das Zeugnis der "Müdigkeitsgesellschaft" aus (2010), bevor er nach einem Abstecher in die "Typologie der Gewalt" (2011) bei der algorithmisch durchsichtigen "Transparenzgesellschaft" landete (2012), deren hell-teuflische Grundzüge er in "Digitale Rationalität und das Ende des kommunikativen Handelns" (2013) mit mephistophelischer Lust ausmalte.

Ästhetik statt Gehalt

In allen, überwiegend knappen Essays, die dem Verlag Matthes&Seitz sehr hübsche Erfolge bescherten, brannte Han rhetorische Feuerwerke ab, die einem buchstäblich Sinn und Verstand raubten: Kein Satz, dessen Gehalt und Wahrheit Han nicht der aphoristischen Zuspitzung und ästhetischen Anreicherung opfern würde... Es verwundert deshalb überhaupt nicht, dass sich seine Texte einer großen Fangemeinde erfreuen.

Sie surfen auf Nietzsche-und Deleuze-Zitaten, reiten die Foucault-Agamben-Welle - und sind dabei in Ton und Inhalt so artistisch ungefähr, abenteuerlich allgemein und akrobatisch pauschal, dass sie perfekt mit dem diffusen, wilden Aktivisten-Unbehagen am Kapitalismus, am "Neoliberalismus" und an der "Macht des Geldes" korrespondieren.

Die größten Ökonomen
Adam Smith, Karl Marx, John Maynard Keynes und Milton Friedman: Die größten Wirtschafts-Denker der Neuzeit im Überblick.
Gustav Stolper war Gründer und Herausgeber der Zeitschrift "Der deutsche Volkswirt", dem publizistischen Vorläufer der WirtschaftsWoche. Er schrieb gege die große Depression, kurzsichtige Wirtschaftspolitik, den Versailler Vertrag, gegen die Unheil bringende Sparpolitik des Reichskanzlers Brüning und die Inflationspolitik des John Maynard Keynes, vor allem aber gegen die Nationalsozialisten. Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-2006-0113 / CC-BY-SA
Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises hat in seinen Arbeiten zur Geld- und Konjunkturtheorie bereits in den Zwanzigerjahren gezeigt, wie eine übermäßige Geld- und Kreditexpansion eine mit Fehlinvestitionen verbundene Blase auslöst, deren Platzen in einen Teufelskreislauf führt. Mises wies nach, dass Änderungen des Geldumlaufs nicht nur – wie die Klassiker behaupteten – die Preise, sondern auch die Umlaufgeschwindigkeit sowie das reale Produktionsvolumen beeinflussen. Zudem reagieren die Preise nicht synchron, sondern in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß auf Änderungen der Geldmenge. Das verschiebt die Preisrelationen, beeinträchtigt die Signalfunktion der Preise und führt zu Fehlallokationen. Quelle: Mises Institute, Auburn, Alabama, USA
Gary Becker hat die mikroökonomische Theorie revolutioniert, indem er ihre Grenzen niederriss. In seinen Arbeiten schafft er einen unkonventionellen Brückenschlag zwischen Ökonomie, Psychologie und Soziologie und gilt als einer der wichtigsten Vertreter der „Rational-Choice-Theorie“. Entgegen dem aktuellen volkswirtschaftlichen Mainstream, der den Homo oeconomicus für tot erklärt, glaubt Becker unverdrossen an die Rationalität des Menschen. Seine Grundthese gleicht der von Adam Smith, dem Urvater der Nationalökonomie: Jeder Mensch strebt danach, seinen individuellen Nutzen zu maximieren. Dazu wägt er – oft unbewusst – in jeder Lebens- und Entscheidungssituation ab, welche Alternativen es gibt und welche Nutzen und Kosten diese verursachen. Für Becker gilt dies nicht nur bei wirtschaftlichen Fragen wie einem Jobwechsel oder Hauskauf, sondern gerade auch im zwischenmenschlichen Bereich – Heirat, Scheidung, Ausbildung, Kinderzahl – sowie bei sozialen und gesellschaftlichen Phänomenen wie Diskriminierung, Drogensucht oder Kriminalität. Quelle: dpa
Jeder Student der Volkswirtschaft kommt an Robert Mundell nicht vorbei: Der 79-jährige gehört zu den bedeutendsten Makroökonomen des vergangenen Jahrhunderts. Der Kanadier entwickelte zahlreiche Standardmodelle – unter anderem die Theorie der optimalen Währungsräume -, entwarf für die USA das Wirtschaftsmodell der Reaganomics und gilt als Vordenker der europäischen Währungsunion. 1999 bekam für seine Grundlagenforschung zu Wechselkurssystemen den Nobelpreis. Der exzentrische Ökonom lebt heute in einem abgelegenen Schloss in Italien. Quelle: dpa
Der Ökonom, Historiker und Soziologe Werner Sombart (1863-1941) stand in der Tradition der Historischen Schule (Gustav Schmoller, Karl Bücher) und stellte geschichtliche Erfahrungen, kollektive Bewusstheiten und institutionelle Konstellationen, die den Handlungsspielraum des Menschen bedingen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. In seinen Schriften versuchte er zu erklären, wie das kapitalistische System  entstanden ist. Mit seinen Gedanken eckte er durchaus an: Seine Verehrung und gleichzeitige Verachtung für Marx, seine widersprüchliche Haltung zum Judentum. Eine seiner großen Stärken war seine erzählerische Kraft. Quelle: dpa
Amartya Sen Quelle: dpa

Nun also "Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken", eine Ausdünnung von Hans bisherigen philosophischen Anstrengungen - für seine Anhänger wahrscheinlich eine Art Substrat, eine Opus Magnum gar. Die rhetorische Überwältigung beginnt gleich mit dem ersten Satz: "Die Freiheit wird eine Episode gewesen sein", behauptet Han, weil die "Diktatur des Kapitals" nur Knechte erzeugt - "absolute Knechte", versteht sich, die das "neoliberale Regime" seiner "totalen Kontrolle" unterwirft und hemmungslos ausbeutet. Natürlich weiß auch Han, dass derlei Befunde bereits seit mehr als anderthalb Jahrhunderten die Runde machen, weshalb es ihm hoch anzurechnen ist, dass er sie allenfalls dreißig- bis vierzigmal wiederholt.

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