Tauchsieder

Und täglich grüßt die Murmel-Merkel

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Das besondere Verhältnis von Merkel und Medien

Während der Bundestagswahlkampfs analysieren die WirtschaftsWoche und der Datenspezialist Attensity mit einer Sprachanalysetechnik, wie das Netz über Parteien und Politiker diskutiert.

Aus Sicht von Angela Merkel ist schön daran, dass sie selbst derzeit besonders prozyklisch begleitet wird: Noch nie fanden die Medien Merkel so ausgezeichnet, herausragend und überirdisch gut wie ausgerechnet hier und heute. Längst wird der Bundeskanzlerin die Abwesenheit von politischem Ehrgeiz als philosophische Weisheit, die Negation jedes Gestaltungsanspruchs als höhere Einsicht in die beschränkte Wirkkraft politisch-nationalen Handelns ausgelegt. Das Faktische wird in der Merkel-Medien-Republik gleichsam zirkelschlüssig erzeugt, beobachtet, bestätigt und reproduziert – praktizierte Systemtheorie sozusagen, in der Merkel und die Medien auf den jeweils anderen verweisen, um sich wechselseitig Stabilität zu verleihen.

Das geht so weit, dass Merkel noch die übelsten Schwächen ihrer Ministerriege zum medialen Vorteil gereichen. Der chronisch unbedarfte Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) schreibt mal eben das Grundgesetz um, indem er Sicherheit zu einem „Supergrundrecht“ erklärt, das dem Grundrecht der individuellen Freiheit vorausgeht – eigentlich ein Skandal. Verteidigungsminister de Maiziere (CDU) bummelt und schummelt sich durch das 500 Millionen Euro teure Euro-Hawk-Desaster – eigentlich ein Unding. Doch statt ihre Minister in den Senkel zu stellen oder zu schassen, stellt Angela Merkel sich bloß hin, maßregelt hier ein bisschen, lässt dort alles in der Schwebe – und erweckt kraft purer Hoheit den Eindruck, sie habe alles im Griff. So präsidial, majestätisch und quasiköniglich bewundert zugleich hat seit Friedrich dem Großen niemand mehr in Berlin regiert.

Die Opposition ist und bleibt in solchen neomonarchischen Zeiten durch eine Art Toleranzedikt geschützt, gewiss: Die Macht der Regentin ist schließlich so ungefährdet, dass ein bisschen Kritik und Aufklärung ihre Popularität eher erhöhen. Hat nicht zuletzt Merkel selbst die Größe besessen, der SPD für den ein oder anderen Vorschlag ihre Achtung zu bezeigen? Hach, welche Grandezza!

Freilich, was zu weit geht, geht zu weit. Ein Herausforderer, der fünf Euro und mehr für Weißwein hergibt und das Gehalt von Sparkassendirektoren kritisiert, der seine Ehefrau mal vernachlässigt („Steinbrück lieber in Mettmann als beim Geburtstag seiner Ehefrau“) und sich mal von ihr zu Tränen rühren lässt („Heulsuse“) – ein solcher Kandidat gehört natürlich erledigt („Problem-Peer“, „Der Blödmann“) – und zwar ganz unabhängig von seinen politischen Plänen.

Tatsächlich ist Peer Steinbrück von Anfang an so chancenlos gewesen wie zuvor nur Norbert Röttgen (CDU) als Herausforderer von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD): Von den Medien vorverurteilt wegen Nebensächlichkeiten, für die sich Röttgen und Steinbrück wieder und wieder rechtfertigen mussten, um in der Gunst der Wähler tiefer und tiefer zu fallen - und nur um am Ende vernichtende Niederlagen zu kassieren, die nicht den Gesetzen der Politik, sondern der Zufälligkeit medialer Konjunkturen folgen.

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