Tauchsieder

Eine Lanze für Peter Altmaier

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Das Detail ist falsch, der Grundsatz goldrichtig

Drittens: Der Preis aller Preise (der Zins) ist spätestens seit der Finanzkrise 2008 ff. so maßlos verzerrt, dass von einer „Marktwirtschaft“ in Europa längst nicht mehr gesprochen werden kann. Die Notenbanken verhindern notwendige Bereinigungskrisen und Politiker setzen das Haftungsprinzip außer Kraft – zu den Folgen gehören Preisverzerrungen, unproduktive Investitionen, verschwenderisch hohe Staatsausgaben, Blasenbildung in Teilmärkten (Immobilien).

Auch sind die Finanzmärkte keine Transparenzquelle mehr für Kleinaktionäre, die sich an einem Unternehmen beteiligen, sondern Umschlagplätze zur systematischen Verschleierung von Geld als Kapital und Verbindlichkeit im Namen einer steuervermeidenden Clique von Superreichen – und von spekulationsjonglierenden Pensions- und Staatsfonds, die mit den gehebelten Zertifikaten und Derivaten ihrer Anleger (teils autoritäre) Staatsinteressen verwalten.

Vor diesem Hintergrund ist Peter Altmaiers „Nationalstrategie“ im Detail falsch – aber vom Grundsatz her goldrichtig: Er zettelt eine überfällige Debatte an. Im Detail falsch: Ein erster Fehler ist etwa das Vorhaben, den Industrieanteil an der Wertschöpfung auf 25 Prozent zu erhöhen. Das ist Planwirtschaft reinsten Wassers. Und sozialromantisch noch dazu: Altmaier denkt offenbar an übertariflich gut bezahlte Arbeiter in sauberen schwäbischen Fabriken – aber ob die entscheidenden Wertschöpfungsgewinne auch in Zukunft durch die Produktion von Maschinen, Autos oder Schrauben erzielt werden können (und nicht durch die Steuerung der Produktion), erscheint doch mehr als fraglich.

Als zweiten Fehler will Altmaier bestimmte Unternehmen „im nationalen wirtschaftlichen Interesse“ unter Schutz stellen – Thyssenkrupp etwa, aber nicht SAP – die Deutsche Bank vielleicht, aber nicht Wirecard? Das ist, so lapidar es formuliert wird, keine Strategie, sondern Willkür – und ein Schlag ins Gesicht für die großmittelständlerisch organisierte Wirtschaft in Deutschland. Dritter Fehler: Ganz gleich, ob im Falle von Huawei oder 50 Hertz, von Siemens/Alstom oder einem europäischen „KI-Airbus“ – raunende Hinweise auf „europäische Interessen“ und die „chinesische Gefahr“ dürfen nicht ablenken von Fakten und Versäumnissen: Siemens/Alstom wäre auf dem europäischen Markt tatsächlich ein Quasi-Monopolist – und die Beweislast liegt beim Wirtschaftsminister, dass es sich beim potenziellen Marktausschluss von Huawei nicht um ein verstecktes Konjunkturprogramm für Ericsson und Nokia handelt.

Gleichwohl: Das Politische, Strategische und Systemkonkurrente ist zurück auf der Weltbühne und die Zeit damit abgelaufen für eine Puppenstuben-Marktwirtschaft, wie sie Smith und Ricardo noch vorschweben durfte – für eine ordnungspolitische Reinheit, auf die noch Erhard und Hayek zu hoffen wagten. Gewiss: Kein Staat der Welt verzichtet darauf, seine Volkswirtschaft zu trainieren und zu trimmen, sei es mit Forschungsförderung und Dollarprivileg, mit Staatsmilliarden oder Schuldenkolonialismus. Aber eine Marktwirtschaft, auch und gerade im globalen Maßstab, ist darauf angewiesen, dass bei alledem Spielregeln gelten, an die sich alle halten. Ist das nicht der Fall, gewinnt nicht der Tüchtigste, sondern der Gerissenste – und der Markt geht vollends vor die Hunde. Peter Altmaier hat diese Diskussion angezettelt, mit gutmütigem Starrsinn, wohlgelaunter Dickköpfigkeit. Und das ist gut so.

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