Tauchsieder
Hier entlang, Armin. Auf dem CDU-Parteitag zeigt Söder wo es entlang geht. Quelle: imago images

Der Totentanz der CDU

Die Union ringt nicht mehr um die Macht, sondern um ihre Identität, ihre Relevanz – ihre Existenz. Sie hat noch immer das Potenzial zur Volkspartei. Und setzt in diesen Wochen alles dran, es für lange Zeit zu verspielen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Natürlich, sie müssen das jetzt sagen: Eine neue Zeit sei angebrochen nach der Bundestagswahl, eine Zeit ohne Volksparteien, eine Zeit der Dreierkoalitionen und ihrer programmatischen Projekte. Und es stimmt ja auch: Die SPD hat etwas mehr als 25 Prozent der Wähler erreicht, die Union deutlicher weniger, die CDU in zehn von 16 Bundesländern nicht mal mehr 23 Prozent. Es sei daher glücklich vorbei mit den alten Koch-Kellner-Verhältnissen in Berlin wie sie noch unter Helmut Kohl und Gerhard Schröder geherrscht haben, auch in den „großen Koalitionen“ unter Angela Merkel - „das ist ein bisschen letztes Jahrhundert“, sagt Grünen-Chefin Annalena Baerbock.

Statt dessen begegnen sich die drei sondierenden Ampel-Parteien seit zwei Wochen betont respektvoll und wie selbstverständlich „auf Augenhöhe“. Sie legen ihre Programme brav nebeneinander und versichern sich in einem Wettlauf der Höflichkeitsgesten, dass ihr Dreierbündnis nur dann tragfähig sei, wenn sich die Partner auf mehr als die Summe ihrer Generalanliegen einigen können - auf einen Geist der Gemeinsamkeit, geboren aus dem geteilten Gefühl, eine normative Leitidee müsse entwickelt werden für das Land, eine Koalition der Gestaltungswilligen die Republik runderneuern nach 16 Jahren der entschiedenen Unentschiedenheit: Klimaschutz und Kohleausstieg, die Digitalisierung der Behörden und eine Investitionsoffensive zugunsten von Schulen, Brücken, Schienennetzen, beschleunigte Verfahren natürlich und mehr Innovationsfreude, aber auch Eigentumsförderung und Rentensicherheit, ein fairer Lastenausgleich und „Arbeit muss sich lohnen“.

Es ist erstaunlich, wie professionell und geräuschlos die Protagonisten ihr Ampel-Projekt bisher vorantreiben. Und es ist besonders erstaunlich, wie bereitwillig Olaf Scholz als Kanzler im Wartestand und die vielen neuen, siegestrunkenen  Sozialdemokraten im Bundestag zehn Tage lang den Grünen und Liberalen die Bühne überlassen haben, um halb Deutschland mit ihrem schwanenseeligen pas de deux zu begeistern. Die Vorsondierungen der beiden Vortänzer mündeten vergangene Woche dann auch noch in ein perfekt abgestimmtes Ensemblespiel: Erst durften die Grünen exklusive Ampel-Gespräche vorschlagen, dann Christian Lindner die widerstrebenden FDP-Wähler davon überzeugen, eine mit sich selbst beschäftigte Union ließe ihm keine andere Wahl - schließlich nahm Olaf Scholz das Angebot seiner Kurfürsten demütig an, ihm unter Vorbehalt die Königskrone anzutragen. Applaus, Applaus.

Jung- und Erstwähler haben die große Koalition abgewählt. Sie fühlen sich bei FDP und Grüne besser aufgehoben. Und die haben mehr gemeinsam, als viele denken.
von Sonja Álvarez, Sophie Crocoll, Daniel Goffart, Max Haerder, Cordula Tutt

Kurzum: Seit zwei Wochen bestimmen Grüne und Liberale die Richtlinien der Politik in Berlin. Weil sie am Wahlabend mehr Zuspruch erhalten haben als jeweils eine der beiden Volksparteien der Bonner Republik. Weil sie fast die Hälfte der Jungwähler von sich überzeugen konnten, mithin die, die besonders viel erwarten dürfen von der Politik. Und natürlich  auch, weil die Partei des „Wahlsiegers“ von 75 Prozent der Deutschen nicht gewählt wurde. Aber ist deshalb tatsächlich bereits eine „neue Zeit“ angebrochen? Vorerst spricht mehr dagegen als dafür.

Statt dessen verdankt sich das Ergebnis der Bundestagswahl einer Vielzahl einmaliger Sondereffekte, die sehr kurzfristig sehr starke Trends ausgebildet haben - zwei besonders wichtige hießen Olaf Scholz und Armin Laschet. Zur Erinnerung: Vor zwölf Wochen noch überzeugten Union (30 Prozent) und Grüne (20 Prozent) locker die Hälfte aller Deutschen. Vor zwölf Monaten kämpfte die FDP mit der Fünf-Prozent-Marke. Und vor zwölf Jahren etablierte Angela Merkel mit ihrem Kantersieg über die Frank-Walter-Steinmeier-SPD die Union als scheinbar übermächtigen Hegemon in der deutschen Parteienlandschaft.

Man hat in den vergangenen Jahren sehr viele Nachrufe auf die Sozialdemokratie gelesen und viele Grabreden auf den organisierten Liberalismus in Deutschland gehört – nun windet man der Union Totenkränze. Dabei ist das eigentliche Wunder dieser Bundestagswahl, dass eine heillos zerstrittene und richtungslose Maskenaffären-Union noch immer 24,1 Prozent der Deutschen erreichen konnte – mit nichts als blödböser Linksgrünrutschpanik und stark akzentuierter Anspruchsarmut.

Im Umkehrschluss bedeutet das: Die Union hat noch immer das Zeug zur Volkspartei – viel mehr noch als die SPD, für die Manuela Schwesig am selben Wahlabend vor zwei Wochen in Mecklenburg-Vorpommern fast 40 Prozent geholt hat. Sie verfügt über sehr viele Mandatsträger, vor allem in den Kommunalparlamenten und Rathäusern, stellt in vielen Städten und Gemeinden den ersten, direkten Ansprechpartner für die Bürger.

Aber die Jungen wenden sich entschieden ab, dieser Trend lässt sich nicht umkehren? Kann sein. Muss aber nicht. Die Union war immer die Partei, von er erwartet wurde, dass sie die großen, politischen Probleme der Welt aus den Vorgärten der gern durchschnittlichen Familienmenschen heraushält – und sie hat lange Jahrzehnte genau das glänzend hinbekommen: Ihr könnt euch stets auf uns verlassen; wir bearbeiten unauffällig, mit gesundem Menschenverstand das, was zu je gegebener Zeit zu tun ist, damit ihr gut und gerne leben könnt in diesem Land! 

Man stelle sich nur einen kurzen Moment vor, Union und Grüne hätten vor sechs Monaten Markus Söder und Robert Habeck nominiert, um das, was nun mal heute besonders drängt, gemeinsam von der Spitze weg zu bearbeiten: Ein 60-Prozent-Projekt wäre das gewesen, eine schwarz-grüne Dominanzkoalition, die SPD und FDP mit viel Wahrscheinlichkeit zunächst einmal den Rest gegeben hätte.

Vorbei. Für den Moment arbeiten die Spitzen aller Parteien nach Kräften daran, die Union in den Abgrund zu stoßen: die Grünen und die FDP, zutiefst beseelt von ihrem "Regierungsauftrag", ihrer Aufbruchserzählung und ihrem Gestaltungswillen, wie berauscht von der Virtuosität der  vertrauensbildenden Maßnahmen und der Stilistik ihrer  Kommunikation; die vormals sieche Sozialdemokratie, in der selbst die Jusos die unverhoffte Chance der SPD zur Rehabilitation als Kanzlerpartei nicht ungenutzt verstreichen lassen wollen.

Und natürlich die Union selbst, CDU und CSU, voran Armin Laschet, der jetzt allen Ernstes die Neuaufstellung der CDU „moderieren“ möchte - ein in jeder Hinsicht absurdes Vorhaben. Ein wirkliches Zeichen des Neuanfangs setzen statt dessen andere Schwergewichte in der Partei, à la bonne heure, Peter Altmaier und Annegret Kramp-Karrenbauer, die auf ihre Bundestagsmandate zugunsten jüngerer Kräfte verzichten - bitter vor allem für die CDU selbst, zwei schwere Verluste für den moderat-pragmatischen Flügel der Partei. 

Ach, hätte Laschet sich doch nur genau darauf beschränkt vor sechs Monaten: Er wäre genau der richtige Mann am richtigen Ort gewesen, um Merkels sukzessive Modernisierung der Partei fortzusetzen, sie auch für junge, weibliche Großstadtbewohner wenigstens halbwegs im Spiel zu halten; um die altmännliche Breitbeinigkeit der Spahns und Merz’ und Linnemanns einzuhegen, Norbert Röttgen mit der Ausformulierung eines neuen Grundsatzprogramms zu befassen und Markus Söder den Weg ins Kanzleramt zu ebnen - unter dem Jubel Michael Kretschmers und Reiner Haseloffs, die die AfD in Sachsen und Sachsen-Anhalt locker auf Distanz gehalten hätten...

Das ist schon keine Grotestke mehr, sondern politischer Surrealismus

Ja, schon klar, steht alles im Konjunktiv. Aber, mit Verlaub: Die Vorstellung, die Armin Laschet seit zwei Wochen abliefert und die am Donnerstag in einer der skurrilsten Pressekonferenzen mündete, die der Berliner Politikbetrieb je erleben durfte, lässt sich nun wirklich nicht mehr als Groteske beschreiben, sondern nurmehr als politischer Surrealismus. Ein Parteitag irgendwann, ein moderierter Prozess irgendwie, vielleicht doch noch ein Jamaika-Bündnis unter irgendwem - die CDU überschreitet in diesen Wochen die Grenze, diesseits derer sie noch Achtung vor sich selbst entwickeln könnte.

Es ist im Übrigen auch nicht zu erkennen, dass Laschet gegenüber Söder das kleinere Ego besäße - und schon gar nicht, dass der bayerische Schmutzler einen genauso großen Anteil an der Niederlage der Union gehabt hätte. Wer bitteschön zieht denn „sein Ding“ auf fremde Kosten rücksichtsloser durch seit einem halben Jahr? Wer sabotiert seit sechs Monaten die Machtoption der Union? Wer vor allem hat 50 CDU-Abgeordneten die Karrierepläne durchkreuzt und die Union von den Fleischtöpfen der Macht vertrieben?

Wer in einer solchen Lage „mangelnde Loyalität“ und „fehlende Geschlossenheit“ beklagt, versteht nicht die Grundlagen der Parteipolitik - oder will sie aus Interesse nicht verstehen. Versteht nicht, dass natürlich jetzt kritisiert und gestritten werden muss - wann denn sonst? Versteht nicht, dass natürlich jetzt die Boxhandschuhe überziehen muss, wer von sich annimmt, er könnte besser als andere die CDU oder auch die Union insgesamt in die richtige Richtung führen - denn jetzt wird die Macht verteilt. Versteht nicht, dass er ausgerechnet jetzt mit dem Beschwören der UNION nur einmal mehr die skandalöse Hybris der Armin-Laschet-CDU bekräftigt, die  glaubte, dass das Land politisch ihr allein gehört.

Das interessiert WiWo-Leser heute besonders

Geldanlage Das Russland-Risiko: Diese deutschen Aktien leiden besonders unter dem Ukraine-Krieg

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine belastet die Börsen. Welche deutschen Aktien besonders betroffen sind, zeigt unsere Analyse.

Krisenversicherung Warum Anleger spätestens jetzt Gold kaufen sollten

Der Krieg in der Ukraine und die Abkopplung Russlands von der Weltwirtschaft sind extreme Inflationsbeschleuniger. Mit Gold wollen Anleger sich davor schützen – und einer neuerlichen Euro-Krise entgehen.

Flüssigerdgas Diese LNG-Aktien bieten die besten Rendite-Chancen

Mit verflüssigtem Erdgas aus den USA und Katar will die Bundesregierung die Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland mindern. Über Nacht wird das nicht klappen. Doch LNG-Aktien bieten nun gute Chancen.

 Was heute noch wichtig ist, lesen Sie hier

Diese CDU meinte, ein Abonnement aufs Kanzleramt zu haben und daher abermals „im Schlafwagen“ dort einziehen zu können, vorbei an der eigenen Fraktion, den eigenen Parteimitgliedern und auch am Wahlvolk, mit einem im Hinterzimmer ausgeklüngelten Kandidaten, um der kleinen  Schwester in München zu zeigen, wo der Hammer hängt - und kraft eines sonnenköniglichen Selbstverständnisses: „L'état c'est CDU“: Was für ein grandiose Anmaßung. Es ist, man muss es so deutlich sagen, ein Segen, dass die meisten Deutschen dieser CDU die Rote Karte gezeigt haben. 

Kann Laschet in diesem Drama noch Regie führen? Kann ausgerechnet er, der Slow-Motion-Meister aller Karriereenden, jetzt die Diadochenkämpfe mäßigen, die vor allem Wolfgang Schäuble, Volker Bouffier und er selbst mit ihrer Entscheidung für ihn als Kanzlerkandidat der Union ausgelöst haben? Kann er den Richtungsstreit temperieren, von dem er selbst sagt, er müsse jetzt zügig und „geschlossen“ entschieden werden? Schwer vorstellbar.

Nach Kramp-Karrenbauer scheitert in Laschet bereits der zweite Parteichef mit dem Anspruch einer Repositionierung der CDU in der ortlosen Merkel-Mitte - das stärkt die vermeintlichen Akzentsetzer, die neokonservativen (Selbst-)Profilierer und Traditionsidentitären mit ihren blassen Ausrufezeichen-Formeln aus den Neunzigerjahren. Sie wähnen  sich jetzt endlich an der Reihe und werden nicht ruhen - zumal dann nicht, wenn es für die Union wirklich in die Opposition geht und sie glauben, mit leitkultur-konservatorischen Mitteln hochmotivierten Ampelpolitikern in die Parade fahren zu müssen, um zu retten, was sie für substanziell und unverrückbar halten. 

Die Zeit drängt. Nicht nur machtpolitisch mit Blick auf die nächsten Landtagswahlen im Frühjahr (Schleswig-Holstein, Saarland, NRW). Sondern eben auch sachpolitisch mit Blick auf das Riesenrad, das die drei ambitionierten Ampelpartner gerade zu drehen versuchen: Regieren die rot-gelb-grünen Ikarusse das Land vier Jahre erfolgreich, wird eine programmatisch entkernte Union es sehr schwer haben, je wieder Tritt zu fassen - und eine programmatisch rückwärts gesinnte Union sowieso. 

Stürzen die Ikarusse zwischenzeitlich ins Meer, weil die Sonnen der Ideologie in den Parteien (und Jugendorganisationen) der SPD, Grünen und FDP am Ende doch zu heiß scheinen, braucht es eine Oppositionspartei, die sortiert ist und jederzeit bereit steht.

Mit wem? Falsche Frage. Entscheidend ist: Mit was? Die Union ist ein weißes Blatt Papier, umstellt von einer Herrenriege mit gezückten Stiften, die das Papier jetzt zutiefst entschlossen mit ihren Hohlformeln beschriften wollen. „Wir brauchen einen deutschen Sebastian Kurz!“, so JU-Chef Tilman Kuban vor kaum einer Woche. Ausgerechnet. Es ist, als bezeugte man einen historischen  Totentanz. 

Mehr zum Thema: Sie diskutieren bei Pasta und Painkillern, streiten und tasten sich heran an die Macht: Der Politnachwuchs von Grünen und FDP trifft sich schon seit Jahren und lotet Gemeinsamkeiten aus. Der neue Jugendstil und wie er die Politik verändert   

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%