Tauchsieder

Die Union geht immer als Sieger vom Platz

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Die CDU ist die normativ anspruchsloseste aller Parteien

Es geht der CDU in diesem Machtkampf nicht darum, den besten Kandidaten für einen erfolgreichen Bundestagswahlkampf zu küren, sondern darum, den innerparteilichen Erbfolgekrieg in der Post-Merkel-Ära zu befrieden. Genau dafür ist Laschet mutmaßlich der richtige Mann am richtigen Ort: Parteichef eben. Mit Blick auf die Wahl im September müsste die CDU dagegen so tun, als gehörten Laschet und Söder derselben Partei an. Doch dazu fehlt der CDU die Kraft, die Souveränität – ein starker Chef. Auch das zweite Argument der Laschet-Anhänger verfängt nicht: seine angebliche „Verlässlichkeit“. Laschet hat Merkels Irrlichterei in der Migrations- und Integrationskrise vor sechs Jahren als Schönredner vom Dienst begleitet – und sich in der Coronapolitik seinerseits als Irrlicht vom Dienst erwiesen, als Dauerproduzent von Unklarheiten, Widersprüchen und faulen Schuldzuweisungen: „Wir alle hatten die Hoffnung, dass wärmere Temperaturen zu einem Sinken der Fallzahlen führt“ – nur zum Beispiel.

Spätestens im Februar müssen die Christdemokraten gespürt haben: Hier läuft etwas gründlich schief, hier verschiebt sich etwas im Machtgefüge. Söder dekretierte damals: Wer bei der Bundestagswahl mit „Merkel-Stimmen“ gewinnen wolle, müsse wissen, dass das nur mit „Merkel-Politik“ gehe – und erlegte Laschet damit im Handstreich. Der hatte sich 48 Stunden zuvor beim Neujahrsempfang des Wirtschaftsrats in Baden-Württemberg mal wieder in Rage geredet – und warf einem nicht näher bestimmten Adressaten vor, man könne „nicht immer neue Grenzwerte erfinden“ und „die Bürger behandeln wir unmündige Kinder“ (nur um wenig später neue Grenzwerte und einen „Brückenlockdown“ zu erfinden).

Laschet schwächte damit erstens Merkel, die ihm in punkto Pandemiepolitik erkennbar überlegen ist: Die Kanzlerin rächte sich später an Laschet und sieht seiner Demontage in diesen Tagen aufreizend beiläufig zu. Zweitens delegitimierte der Ministerpräsident des größten Bundeslandes sich einmal mehr selbst, schließlich zählt er zu den Absendern, nicht Adressaten der Bund-Länder-Pandemiepolitik. Und drittens meinte Laschet sich anbiedern zu müssen bei dem, was er für „die Stimmung in der Wirtschaft“ hielt, wie unangenehm: Zielgruppenabhängiges Reden und politisches Catering für Partikularinteressen ist exakt das, was die Deutschen nicht von einem Kanzler erwarten.



Was aber erwarten die Deutschen von einem Kanzlerkandidaten der Union? Die Antwort ist einfach: nichts Bestimmtes. Die meisten Deutschen wählen die Schwesterparteien als inhaltsleere Mitte, als Stabilisator des Status quo – als politische Kräfte, die inmitten einer schnelldrehenden Welt dafür sorgen, dass sich so gut wie nichts ändert. Eben darin besteht das Erfolgsgeheimnis der CDU; es lässt sich in einem einzigen (Gegen-)Satz zusammenfassen: Viele Deutsche wissen ganz genau, warum sie Linke, Grüne, Sozialdemokraten, Liberale und Rechtspopulisten nicht wählen – und sie wissen überhaupt nicht, warum sie (stattdessen) die Union wählen.

Die CDU ist die normativ anspruchsloseste aller Parteien in diesem Land; sie stellt sich einfach mit zehn, 15 Jahren Verspätung, also immer gerade rechtzeitig, an die Spitze eines breitenwirksam gewordenen Zeitgeistes, dem andere als Avantgarde längst den Weg bereitet haben. Wenn das aber so ist, wenn die, nun ja: „programmatischen“ Ziele von CDU und CSU in ihrer Anspruchslosigkeit identisch und die inhaltlichen Differenzen von Laschet und Söder, wie alle in der Union versichern, marginal sind – welche Gründe gibt es dann noch für die Union, einem Kandidaten den Vorzug zu geben, der ihr womöglich den Sieg kosten könnte?

Natürlich, Demokratie ist nicht Demoskopie. Und eine Stimmungslage macht noch keinen Sommer. Aber eine Momentaufnahme ist der Siegeszug Söders durch die Umfragen auch nicht. Söder übermalt seit zwei Jahren erfolgreich den Markenkern der Schwesterparteien und bietet liberalkonservativen Wählern ein kleines, normatives Surplus, etwas leicht Bejahbares an: einen grünliberalen Konservativismus, der nicht den „linken Zeitgeist“ verabscheut, sondern aufnimmt, ihn sich anverwandelt, ihn produktiv umdeutet – eine Meisterleistung des Opportunismus. Da ist tatsächlich einer, der Gelegenheiten nutzt, den Zeitgeist ausbeutet, die Gegenwart virtuos bespielt – und der auf Gutsherrenart Gunst und Gnade zu gewähren versteht, wann immer es ihm, dem Hegemon, passt, ganz so wie weiland Helmut Kohl, der andere lobend hinzurichten verstand: Die Grünen, sagte Söder zuletzt, seien „charmant“ (also nicht kompetent und leider auch etwas unseriös) – und die FDP „immer der prioritäre Partner“ (also wenn es für die Liberalen zu fünf Prozent reicht und sie schön brav sind). So (breitbeinig) markiert man politisches Terrain!

Natürlich, Söder wandert auf ganz schmalem Grat. Es ist unvergessen, wie er sich vor drei Jahren an der Seite von Jens Spahn als hauptamtlicher Rechtsausleger der Union profilierte und mit neonational verzierten Signalwörtern („Asyltourismus“) versuchte, kleine Geländegewinne gegenüber der AfD zu erzielen – wie er die „kleinen Leute“ in Bayern mit blau-weißem Heimat-Chauvinismus bekümmerte und dabei natürlich nicht auf deftiges Abschiebungsgetöse verzichtete, weil der Islam zum Beispiel, so Söder, und erst recht die Scharia „kulturgeschichtlich“ nicht zu Bayern gehörten. Natürlich wollte das Söder damals nicht als Rechtsruck verstanden wissen, nein, lediglich als ein Zurück zur „alten Glaubwürdigkeit der CSU“, ganz „wie in den Zeiten von Franz Josef Strauß“. Glaubwürdigkeit? Strauß? Finde den Fehler.

Dennoch ist der Opportunist Söder nicht (nur) ein prinzipienloser, auf seinen Vorteil bedachter Einpasser, dessen Glätte und Geschmeidigkeit wir gewohnheitsmäßig verachten, sondern auch ein bewundernswerter Meister im Ergreifen günstiger Gelegenheiten: Söder, eine Kippfigur, die rückgratlose Wendigkeit und situative Klugheit zugleich repräsentiert. Ihm eignet etwas Mephistophelisches; er nimmt eine irritierende Position zwischen Seriosität und Verschlagenheit ein, und man sieht ihm mit einer gewissen Faszination dabei zu, wie er die Geschäftsordnung der CDU unterläuft, um sich (allein) die Kraft zuzusprechen, die Union zu restabilisieren – und das Land in eine produktive Unruhe zu versetzen: aus heimattreuer Erdverbundenheit und Liebe zum politischen Vagabundentum.

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Andererseits: Brauchen CDU und CSU wirklich einen, der sie zu beunruhigen und irritieren versteht? Es ist die Tragik und Komik der Union zugleich, dass sie trotz weitgehend verstümperter Coronapolitik, von Bereicherungsskandalen erschüttert, sowohl an der Spitze als auch an der Basis zutiefst entzweit, in Meinungsumfragen noch immer knapp 30 Prozent erzielt: für alles, was sie politisch nicht erreichen will – ganz gleich mit wem.

Mehr zum Thema: Der ehemalige Chef der Wirtschaftsweisen Lars Feld über zweifelhafte CDU-Industriepolitik, ein deutsches Tesla-Syndrom und das trügerische Ende der Schuldenbremse – sowie seine Meinung zur Rückkehr von Friedrich Merz.

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