Tauchsieder
Quelle: Illustration: Marcel Reyle

Die deutsche Standort-Soap

Union und FDP drehen durch, weil ein Mittelständler seine Heizsysteme in die USA verkauft – und legen sich wieder hin, wenn in der deutschen E-Auto-Industrie die Alarmglocken schrillen. Es ist, als bettelten sie um den ökonomischen Abstieg des Landes.

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Das Stuttgarter Unternehmen Bosch hat in dieser Woche angekündigt, den kalifornischen Halbleiterproduzenten TSI Semiconductors zu kaufen und 1,4 Milliarden Euro in die dortige Chipfertigung zu investieren. Kein Thema in den USA. Auch hierzulande hat die Nachricht allenfalls WiWo-Fans, Handelsblatt-Freunde und eifrige FAZ-Wirtschaftsteil-Leser interessiert. Die meisten Deutschen werden den Bosch-Deal nicht einmal mitbekommen haben. Wie auch? Sie mussten sich auf Befehl der so genannten „bürgerlichen“ Parteien fast eine Woche lang darüber echauffieren, dass der hessische Mittelständler Viessmann seine Heizsysteme an das Unternehmen Carrier im US-Bundesstaat Florida verkauft.

Eine Schmach für Schwarz-Rot-Gold! Ein Skandal für das Gütesiegel „Made in Germany“! Ein Weckruf für den Standort! Ein Alarmzeichen für die Transformationsrisiken der Klimawende! Eine Konsequenz staatlicher Planwirtschaftsfantasien! Ein abermaliger Beweis für die Inkompetenz von Wirtschaftsminister Robert Habeck! Wer vor einer Woche womöglich noch immer geglaubt hat, Liberale, Christdemokraten und ihre zahlreichen Lobbyfreunde seien in diesem Land so etwas wie die natürlichen Hortverwalter „wirtschaftlicher Vernunft“, sollte es spätestens jetzt besser wissen: Die schärfsten Kritiker ökonomischer Fisimatenten sind heute zugleich ihre Chefproduzenten.

Bijan Djir-Sarai zum Beispiel, die hoch produktive Personifikation eines Hybrids aus Phrasenspender und Reizreaktionsmaschine. Der FDP-Generalsekretär kann jederzeit auf Knopfdruck Tickermeldungen mit Anti-Linksgrün-Losungen und auswendig gelernten Liberalismusformeln kurzschließen und so permanent Unsinn vom Fließband seiner stabilen Präjudize purzeln lassen. „Der Fall Viessmann zeigt, wie sich die hastige und komplizierte Heizungswende von Robert Habeck negativ auf die deutsche Wirtschaft auswirken kann“, sagt Djir-Sarai. Ach ja? Zeigt er das? Was genau könnte ein Liberaler „negativ“ daran finden, dass ein Unternehmen aus den USA in Deutschland investiert, um in den freien Wettbewerb auf einem offenen Wärmepumpen-Markt einzusteigen?

In Berlin grassiert das Viessmann-Syndrom: Das Familienunternehmen verkauft sein Wärmepumpen-Know-how und die Hauptstadt überschlägt sich. Über ein paar politisch unreife Tage im April. Ein Kommentar.
von Max Haerder

Oder nehmen wir Jens Spahn. Der Fraktionsvize der Union dreht seit Wochen als Populist alter Schule seine Runden. Er gibt „den Deutschen“ mit einem Megaphon am Mund vor, ihnen besser als alle anderen Politiker sein Ohr leihen zu können – und gaukelt „der Bevölkerung“ permanent vor, ihr Sprachrohr zu sein, um sie in ihrem Namen mit politischen Invektiven zu beschallen.

In der vergangenen Woche hat er deshalb mindestens 50 Mal gesagt, dass „wir mit der Brechstange“ beim Durchsetzen der geplanten Wärmewende „wahnsinnig viele Bürger“ verunsichern und verlieren – um noch viel mehr Bürger zu verunsichern und für die Wärmewende zu verlieren. So geht politische Gegenaufklärung. Und weil Spahn immer gern ein wenig tümelt, jazzt er die Wärmepumpe auch noch zu einem nationalen Kulturgut hoch und den Viessmann-Verkauf zu einem Verrat der Habeck-Grünen am schwarz-rot-goldenen Wirtschaftsstandort: „Das Wärmewende-Chaos der Ampel führt zum Ausverkauf der deutschen Wärmepumpe.

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Man könnte lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Investiert Bosch in den USA, geht Deutschland den Bach runter, weil Bosch nicht mehr in Deutschland investiert. Investiert Carrier in Deutschland, geht Deutschland den Bach runter, weil Viessmann nicht mehr in Deutschland investiert. Im 19. Jahrhundert waren es Merkantilisten, die so argumentiert haben; heute sind es die Nationalliberalen von Union und FDP.

Tatsächlich ist rein gar nichts politisch brisant am Viessmann-Verkauf.

Erstens: Die deutschen Heizungsbauer, auch die Viessmanns, wissen bereits seit vielen Jahren, dass der Trend zur Wärmepumpe geht; manche verkaufen deshalb jetzt, andere fahren ihre Produktion hoch und rüsten sich.

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Zweitens: Die Technologie ist nicht so avanciert, dass ihre Produktion nicht auch anderswo stattfinden könnte: Wo bitteschön kommen heute unsere Turnschuhe und Computer her?

Drittens: Der Einstieg des US-Konzerns hilft einem deutschen Anbieter, auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein.

Viertens: Die Konkurrenz verteilt sich auf viele Anbieter aus vielen Ländern, darunter Japan und Südkorea, es gibt also keine systemischen Abhängigkeiten, keine Monopolrisiken.

Fünftens: Mit dem Markteintritt der Massenhersteller sind schleunige Preisnachlässe zu erwarten, die die Verbraucher (und die Staatskasse) entlasten, die Wärmewende beschleunigen dürften.

Kurzum: Es ist kein Problem nirgends in Sicht. Alles gut. Alles gut? Nichts ist gut. Denn die eigentlichen Fragen und Probleme des Standorts Deutschland sind noch immer ungelöst.

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