Tauchsieder
Freiheit: Ein weiter Begriff. Quelle: Getty Images

Die falschen Freunde der Freiheit

Schrumpfliberale verwechseln sie mit Selbstgenuss. Klimabewegte verheiligen sie zum Synonym der Selbstbeschränkung. Impfskeptiker pervertieren sie zum antiliberalen Kampfbegriff. Wird die Freiheit zur Beute ihrer Feinde?

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Im Jahr 1968 verstummte der estnische Komponist Arvo Pärt. Und schrieb acht Jahre lang fast keine Musik mehr. Pärt hatte das Vokabular der musikalischen Moderne ausgeschöpft – Zwölftöniges, Serielles, Collagiertes – und wähnte sich in einer Sackgasse: Es ergab für ihn schlicht „keinen Sinn mehr, Musik zu schreiben, wenn man fast nur noch zitiert“.  Also machte Pärt „Tabula Rasa“. Er verdichtete seine Ausdrucksmöglichkeiten. Reduzierte seinen Klangvorrat. Schärfte die Semantik seiner Musik. Und brachte das ihm Wesentliche auf einen neuen Begriff: „Tintinnabuli“, arpeggienhaft schreitende Dreiklänge, diatonische Tonleitern, kirchengesangliche Konzentration. Es entstanden Kompositionen von leuchtender Klarheit und schwebender Monumentalität, von deutungsoffener Tiefe und quintessenzieller Gültigkeit: „Für Alina“ (1976), „Fratres“ (1977), „Summa“ (1977) – und eben „Tabula rasa“ (1977), ein Konzert für zwei Soloviolinen, präpariertes Klavier und Kammerorchester, verteilt auf zwei programmatische Sätze, „Ludus“ und „Silentium“ – Spiel und Stille.

Warum erzähle ich das? Zwei Gründe. Erstens: Sollten sie Arvo Pärt tatsächlich noch nicht kennen – freuen Sie sich auf eine Entdeckung, die Sie womöglich nicht mehr loslässt und Ihr Leben lang begleiten wird. Zweitens, und darum geht es hier vor allem: Mir scheint, dass es den liberalen Demokratien mit der „Freiheit“ neuerdings ähnlich ergeht wie Pärt 1968 mit der Musik; ihr Vokabular wirkt inzwischen seltsam fahl und ausgeleiert, beliebig und ausgereizt; jeder macht sich seinen eigenen Reim auf die „Freiheit“, ruft Locke oder Kant, Mill oder Hayek in den Kronzeugenstand, reißt sie aus dem historischen Kontext, verbiegt und dengelt deren Textauszüge, collagiert, bastelt und zitiert (sie) nach seiner Façon – und bemerkt dabei kaum, dass die Gesellschaft als Ganzes in eine Sackgasse läuft, weil die Pluralität privatisierter, laut tönender Freiheitssamples keine Harmonien mehr erzeugt, weil die Egalisierung, Individualisierung und Trivialisierung des je eigenen „Freiheitsbegriffs“ die Menschen zu nichts mehr verbindet. Deshalb schadete eine vielschichtige Essentialisierung, eine geschärfte Semantik des Begriffs sicher nicht: „Tabula rasa“ halt – Konzentration und Reduktion zugunsten eines bereinigten Freiheitsakkords, gewonnen aus der Abwesenheit des Begriffslärms und zukunftsoffenem Gedankenspiel.

Welche Züge aber könnte ein zugleich deutungsoffener und verbindlicher „Freiheitsbegriff“ der Gegenwart annehmen? Versuchen wir eine Skizze, im Rahmen einer knappen Bestandsaufnahme – und stellen fest: Die Nachrichten der vergangenen Monate eröffnen uns fünf problematische, widersprüchliche Perspektiven auf die Freiheit. Erstens auf ihre Abschaffung (China/Hongkong, Belarus, Russland), zweitens auf ihre Pervertierung („Corona-Diktatur“), drittens auf ihre Trivialisierung (Porsche- und Schnitzelliberale), viertens auf ihre Intertemporalisierung (die vorsorgliche Einbeziehung der Freiheit kommender Generationen…) und fünftens auf ihre scheinbare Nobilitierung zu einem Derivat der Solidarität und Selbstbindung, etwa im Dienste eines überragenden Generalziels oder waltenden Mehrheitswillens ("Klimagerechtigkeit", Impfpflicht).

(1) Die Eliminierung der Meinungs-, Presse-, Versammlungs- und Redefreiheit in Hongkong durch die chinesischen Kader, die Verhaftungen von Maria Kolesnikowa (Belarus) und Alexander Nawalny (Russland), die Jagd auf Demonstranten in Myanmar und der frauenverachtende Religionswahn der Taliban in Afghanistan – das alles erinnert uns einmal mehr daran, dass jede Diskussion des Freiheitsbegriffs von einer möglichst anspruchsarmen Definition der Freiheit auszugehen hat: Frei ist, wer frei von Hunger und Durst, Überlebensangst und Schmerz, Bedrohung und Einschüchterung ist, kurz: nicht in der Macht eines anderen steht. Besonders ertragreich hat die lettisch-amerikanische Politologin Judith Shklar (1928 - 1992) einen solchermaßen ausgenüchterten, basalen Begriff der Freiheit geprägt: Er ist – in spürbarer Abgrenzung zum hochanspruchsvollen, ja weihevollen Verständnis von Freiheit als politisch-diskursive, demokratische Selbstverständigungspraxis frei denkender Menschen (Hannah Arendt) – begrenzt auf eine universal geltende Definition dessen, was Unfreiheit bedeutet, sprich: radikal nicht-normativ.

Shklar findet nicht, dass die Geschichte des Liberalismus in der antiken Agora wurzelt. Sie glaubt auch nicht, dass die Idee der Freiheit mit dem hochgestimmten Mut der Aufklärer einsetzt, die sich im 17. und 18. Jahrhundert im Namen bürgerlicher Emanzipation und Selbstbestimmung gegen fürstliche Allmachtsansprüche richten, schon gar nicht mit den Forderungen der Kaufleute, die Märkte dem Zugriff der Autoritäten zu entziehen, um durch zollfreies Wirtschaften die Welt zu befrieden: Handel statt Händel. Für Shklar sind das nur schmeichelnd idealistische Selbsterzählungen der westlichem Welt, bestenfalls utopische Liberalismen, die selbstgnädig etwa über proletarische Armut oder koloniale Machtasymmetrien hinwegsehen. Statt dessen plädiert Shklar für einen "Liberalismus der Furcht", der Opfer und der Erinnerung. Er hat seine Wurzeln in den Religionskriegen des 17. Jahrhunderts und seine „elementarste Grundlage“ ist „die aus tiefstem Schrecken geborene Überzeugung..., dass Grausamkeit ein absolut Böses ist“. Kurzum: Shklar fragt nicht nach einem summum bonum der Freiheit, den politischen Akteure und Bürger erstreben sollten, sondern sie geht von einem summum malum aus, „das wir alle kennen und nach Möglichkeit zu vermeiden trachten“. Sie denkt nicht daran, „die Segnungen der Freiheit (zu) rühmen“ – sondern sie denkt „über die Gefahren der Tyrannei“ nach und über die Furcht der Menschen vor struktureller und offener Gewalt.

(2) Shklars elementarer, „negativer“ Freiheitsbegriff bietet den Vorteil universaler Verbindlichkeit. Er ist von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gedeckt (UN), sollte namentlich uns Europäern und Deutschen mit Blick auf die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts unmittelbar einleuchten. Die „Freiheit von Furcht“ darf daher niemals zur Fußnote einer vorgeblich „realen“ Außen(wirtschafts)politik herab sinken, sondern muss immer ihr Ausgangspunkt sein, im Zentrum unseres Denkens und Handelns stehen: Sie ist, keineswegs pathetisch gesprochen, der postreligiöse Katechimus liberaler Demokratien: der archimedische Punkt unseres Freiheitsverständnisses, die Basis aller „positiven“ Freiheiten – die Voraussetzung, um diese im Sinne Dahrendorfscher „Lebenschancen“ ergreifen und ausgestalten zu können. Das heißt natürlich nicht, man sollte den Streit mit Ländern wie China oder Russland suchen. Aber das heißt sehr wohl, dass zum Beispiel SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sich schämen sollte, wenn er insinuiert, Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock rede einen Konflikt mit Wladimir Putins Russland herbei – also mit einem Land, das Furcht und Einschüchterung (im Innern wie gegenüber seinen Nachbarstaaten) zum zentralen Machtinstrument erhebt.

Womit wir bei der Pervertierung des Freiheitsbegriffs sind. Hier reichen wenige Worte. Wer von einer „Corona-Diktatur“ spricht und sich als Marcksschen Freiheitsrufer imaginiert, wer seine „Spaziergänge“ gegen Regierungsentscheidungen gedanklich mit dem Straßenprotest in der Endphase der DDR verknüpft oder meint, heute an die „dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte“ erinnern zu sollen, ist ein geschichtsblinder Provokateur oder ein politischer Zündler oder beides – und darf unbedingt so bezeichnet werden.

(3) In vielen liberalen Demokratien ist die Freiheit als Abwesenheit von Furcht sehr weitgehend erreicht: Ihre Elementarform muss nicht mehr durchgesetzt werden. Statt dessen geht es darum, allen Bürgern die Freiheit einzuräumen, ihre Lebenschancen zu ergreifen und zu erweitern, und zwar unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrem Geschlecht, ihrer religiösen Zugehörigkeit, ihren sexuellen Vorlieben etc. - kurz: Freiheit ist ein gesamtgesellschaftliche Aufgabe zur Eröffnung von Freiheitsräumen. 

Für viele „Libertäre“ ist daher die Bezeichnung „Leichtliberale“ oder „Schrumpfliberale“ statthaft, weil sie „Freiheit“ nicht als soziale Praxis zusammenlebender Individuen verstehen, sondern zum Freibrief solipsistischer Hedonisten herabwürdigen: Mein Schnitzel! Mein Porsche! Meine Freiheit! Die Klügeren unter ihnen beziehen sich klassischerweise auf John Stuart Mill (1806 - 1873) und seine Definition von Freiheit: „lautet: dass der einzige Grund, aus dem die Menschheit... sich in die Handlungsfreiheit eines ihrer Mitglieder einzumengen befugt ist, der ist: sich selbst zu schützen. Dass der einzige Zweck um dessentwillen man Zwang gegen den Willen eines Mitglieds einer zivilisierten Gemeinschaft rechtmäßig ausüben darf, der ist: die Schädigung anderer zu verhüten“. Mill ging es damals darum, jeder noch so wohlmeinenden Fürsorge einer Regierung möglichst enge Grenzen zu setzen. Er fürchtete um die Freiheitsfähigkeit mündiger Bürger im Schoße eines Nanny-Staates und den Verlust ihrer Tugendhaftigkeit, weil er bezweifelte, „dass mit kleinen Menschen... große Dinge vollbracht werden können“.

Von zivilisationskritischen Wachstumsbremsern und libertären Liberallalas

Kleinkluge Schrumpfliberale zeichnen sich von Rechtslibertär bis Anarcholinks vor allem durch die Größe ihres Egos aus. Sie nehmen etwa an der Wall Street von sich an, „Masters of the Universe“ zu sein. Sie strecken aus besetzten Häusern angeblich konsumverzwergten Kapitalismussklaven den Mittelfinger entgegen. Oder aber sie rasen auch nur lichthupend mit Tempo 220 über die A3. Das alles kann man machen – permissive Gesellschaften zeichnen sich dadurch aus, dass sie schwachtolerant über (fast) alles hinwegsehen, solange es sie nicht selbst betrifft: Laissez-faire halt; macht doch, was ihr wollt. Aber bitte, man muss sich klar sein, dass es dem "guten Zusammenleben" (Michael Sandel) insgesamt nicht dienlich ist, wenn man permanent Selbstgenuss und Selbstverwirklichung mit Selbstbestimmung und Selbstverantwortung verwechselt.

Schon gar nicht mit Mill. Denn dessen Freiheitsbegriff ist tatsächlich eng verknüpft mit Selbstverantwortung, genauer: mit der selbstanspruchsvollen Inbesitznahme persönlicher Freiheit. Mills „Freiheit“ hat eine qualitative Dimension. Sie zielt (pädagogisch) auf ihre Ermöglichung ab und kann daher im Anschluss an den kanadischen Philosophen Charles Taylor als Einübung in eine „Praxis steuernde Kontrolle über das eigene Leben“ verstanden werden. Mills Freiheit ist uns Menschen nicht gegeben, sondern aufgegeben. Sie ist nicht einfach vorhanden, gleichsam frei verfügbar, sondern eine „Fähigkeit, die wir zu verwirklichen haben“ (Taylor) – mit Blick auf uns und alle anderen. Sie besteht nicht (nur) in der Abwesenheit äußerer Hindernisse, sondern darin, dass wir bestimmten Zielen, auf die hin sie ausgerichtet ist, eine größere Bedeutung beimessen als anderen. Und diese Ziele sind, als menschliche, zwingend zwischenmenschlich: Wir sind als Individuen niemals mit uns selbst identisch, sondern plurale, transkulturelle, vernetzte Sozialwesen – sind (nur) frei als Individuen durch andere. Selbst Goethe hat sich in diesem Sinne „als Kreuzungspunkt, als Durchgangsstätte, als Kondensationsknoten vieler anderer Individuen und kultureller Stränge“ verstanden (Wolfgang Welsch): „Was bin ich denn selbst?“, so bilanziert der Dichter sein Leben und Schaffen einen Monat vor seinem Tod: „Was habe ich gemacht?… Zu meinen Werken haben Tausende von Einzelwesen das Ihrige beigetragen… So erntete ich oft, was andere gesäet; mein Leben ist das eines Kollektivwesens…“ 

(4) Freilich, die „Schädigung anderer“, die nach Mill die Grenze der Freiheit bezeichnet, kann von Aktivisten heute mühelos und aus jedem noch so geringfügigen Anlass nachgewiesen werden: Der Verzehr einer Avocado geht heute womöglich nicht mehr nur auf Kosten der Lebensqualität eines Plantagenarbeiters in Peru, sondern schädigt womöglich auch die Lebensgrundlagen unserer nichtgeborenen Enkel. Entsprechend hat das Bundesverfassungsgericht vor ein paar Monaten die „eingriffsähnliche Vorwirkung“ einer Politik gerügt, die aus Rücksicht auf die Freiheitsrechte der Menschen heute riskiert, dass der „CO2-relevante Freiheitsgebrauch“ der nächsten Generation „immer stärkeren, auch verfassungsrechtlich gebotenen Restriktionen ausgesetzt sein“ wird. Ins Umgangssprachliche übersetzt heißt das: Die Freiheit eines Deutschen anno 2021, rund um die Welt zu fliegen und einen SUV zu fahren, muss vom Gesetzgeber klimapolitisch und grundrechtlich abgewogen werden gegen die potenzielle Unfreiheit eines Deutschen anno 2050, der eben dazu nicht mehr in der Lage sein könnte – sei es, weil der Klimawandel selbst ihm dazu keine Gelegenheit mehr böte oder aber weil ihm das Verfassungsrecht, indem es einem (verschärften) Klimawandel rechtlich Rechnung tragen müsse, das Fliegen und SUV-Fahren verböte.  

Das ist der Kern des Urteils der Verfassungsrichter. Es ist kein „Sieg“ für zivilisationskritische Wachstumsbremser, wohl aber eine „Niederlage“ für libertäre Liberallalas. Denn die Richter haben mit ihrer Entscheidung paradoxerweise nichts (vor-)entschieden, allein das Spielfeld für Aushandlungsprozesse zwischen Gegenwart und Zukunft, Alten und Jungen, Freiheit und Verantwortung eröffnet – ein Spielfeld, das schrumpfliberale Tempo-210-Freunde sich bisher weigern zu betreten, weil sie bevorzugen, auf den billigen Rängen der Politik ihre denunziatorischen Sprechchöre („Verbotspolitik“, „Bevormundung“) abzusingen. Damit ist es vorbei. Die Richter verpflichten die Politik, den rechtlichen Grundstein für das zu legen, was man in Anlehnung an einen Begriff aus den Wirtschaftswissenschaften die „intergenerationelle Internalisierung externer Kosten“ nennen könnte – für einen Ordnungsrahmen, der einen Teil der sozialökonomischen Kosten des Klimawandels dem Kollektiv der (heutigen) Verursacher zurechnet, damit sie nicht mehr (ausschließlich) künftigen Generationen aufgebürdet werden.

(5) Die anspruchsvolle Aufgabe des Liberalismus bestünde daher heute vor allem darin, eine qualitative Bestimmung vorzunehmen: Welche Freiheiten schaden, welche wollen wir dennoch dulden – und welche sollen unantastbar sein? Genau dazu ruft das Bundesverfassungsgericht auf – übrigens nicht nur die Politik, sondern die Gesellschaft insgesamt: Wir sollen uns über den Unterschied informieren, den es für uns und unsere Nachfahren macht, etwa einen 15-Liter-SUV, einen Drei-Liter-Polo oder ein E-Auto zu fahren. Einerseits. Andererseits geht es immer auch auch darum, die Freiheit derer zu schützen, die nicht immer nur Kürbis vom Bio-Bauern nebenan essen wollen, sondern auch mal eine Flugananas – und sei diese Wahl noch so vernunftfrei. Man kann und muss das Urteil der Verfassungsrichter auch so lesen, dass es künftigen Generationen die vernunftferne Freiheit zum Verzehr einer Flugananas erhalten will. Denn dabei bleibt es: Jede Einschränkung der individuellen Freiheit (heute) muss gut begründet werden - und die Beweispflicht liegt in liberalen Gesellschaften zwingend bei denen, die individuelle Freiheiten einschränken wollen. Und nicht jede Freiheit, die man sich „trotzdem“ nimmt, darf mit dem Hinweis auf einen „Klimanotstand“ unter Verdacht gestellt werden, andere zu schädigen.

Das interessiert WiWo-Leser heute besonders

Geldanlage Das Russland-Risiko: Diese deutschen Aktien leiden besonders unter dem Ukraine-Krieg

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine belastet die Börsen. Welche deutschen Aktien besonders betroffen sind, zeigt unsere Analyse.

Krisenversicherung Warum Anleger spätestens jetzt Gold kaufen sollten

Der Krieg in der Ukraine und die Abkopplung Russlands von der Weltwirtschaft sind extreme Inflationsbeschleuniger. Mit Gold wollen Anleger sich davor schützen – und einer neuerlichen Euro-Krise entgehen.

Flüssigerdgas Diese LNG-Aktien bieten die besten Rendite-Chancen

Mit verflüssigtem Erdgas aus den USA und Katar will die Bundesregierung die Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland mindern. Über Nacht wird das nicht klappen. Doch LNG-Aktien bieten nun gute Chancen.

 Was heute noch wichtig ist, lesen Sie hier

Und damit sind wir beim letzten Punkt: Die Rettung der Freiheit vor ihrer Überwältigung im Namen eines primären  Gemeinschaftsziels oder einer „höheren Vernunft“: der Solidarität, der Gemeinschaft, der Nation, des Gemeinwohls – oder des Klimas. Wir wissen seit Hegel (1770 - 1831), dass am Ende solcher Gedankenspiele die Freiheit als „Einsicht in die Notwendigkeit“ verenden kann, also bestenfalls als Unterwerfung unter einen geschichtlichen Willen, der es angeblich gut mit uns meint. Aber ob man seine Freiheit dem waltenden Weltgeist opfert, einer großen Idee, dem Himmel auf Erden, ob man ihren höchsten Ausdruck in Gottesgehorsam erblickt (und sich in die Luft sprengt) oder auch nur einer Superintelligenz unterwerfen möchte, die uns den Flugverkehr und den Fleischverzehr verbietet, weil wir selbst dazu nicht imstande sind – all diese „wahren Freiheiten“ sind immer nur fratzenhafte Masken der Freiheit.

Daher ist immer Vorsicht geboten, wenn die „Freiheit“ als das Eine und Größte allzu hoch aufs Schild gehoben wird – um sie im Einzelnen und Kleinen zu zersetzen. Einer so verstandenen Freiheit wohnt ein totalitärer Zug inne, weil sie ihren relationalen, zwischenmenschlichen Kern dementiert. Es ist etwas anderes, zu sagen, wegen des Klimawandels oder der Pandemie kann es sinnvoll sein, unserer Freiheit Grenzen zu ihrer Sicherung zu setzen – als zu sagen, im Namen der Gesundheit des Weltklimas oder der politischen Hygiene verordne ich eine Impfpflicht und ein Verbot von Fernflügen. Im ersten Fall werden „Freiheitsgrade“ (Christoph Möllers) gegeneinander abgewogen und ausgehandelt, im zweiten Fall Freiheitsspielräume im Namen dessen geschlossen, was eine Mehrheit augenblicklich für opportun hält.

Das Beispiel der „Impfpflicht“ zeigt, auf welch’ schiefe Bahn wir dabei geraten können: Wir täten weiß Gott gut daran, sie beiderseits nicht mit dem Pathos konkurrierender Maximalbegriffe von „Freiheit(sberaubung)“ zu verhandeln, sondern pragmatisch, sprich: klassisch ökonomisch, als „Tradeoff“ konkurrierender Freiheitsziele. Es ist daher geradezu grotesk, das die Regierung die „Impfpflicht“ in einem hochdynamischen Pandemiegeschehen zu einer statuarischen Grundsatzfrage stilisiert – man fragt sich inzwischen wirklich, mit Verlaub, für wie blöd sie den Souverän hält. Denn selbstverständlich haben wir es – spätestens seit sich mit „Omikron“ der Übergang in eine endemische Lage andeuten könnte – nicht mit einer „Gewissensfrage“ zu tun, die die Aufhebung des Fraktionszwangs in Bundestag nahelegt, sondern mit einer schlichten „Ermessensfrage“, die regierungsamtliche Führung verlangt – und die Idee einer allgemeinen „Impfpflicht“ als unverhältnismäßig zurückweist.



Statt dessen leistet sich die Regierung aus Angst vor der Einführung einer allgemeinen „Impfpflicht“ eine wochenlange Diskussion über sie, um dieselbe „Impfpflicht“, die man ehedem ausgeschlossen hatte, irgendwann im Frühjahr still beerdigen (oder auch gegen inzwischen längst überwiegende Zweifel durchsetzen) zu können. Man könnte auch sagen: Die Ampel leistet sich gegenwärtig – Problemperspektive sechs – die Freiheit zur politischen  Verantwortungsflucht.

Mehr zum Thema: Der FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki stemmt sich im Bundestag gegen die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Sein Einspruch ist wichtig. Die Debatte braucht Zeit. Zu schwer wiegen die Einwände. Und Omikron ändert ohnehin alles.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%