
Vergangene Woche habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass die Share Economy in Deutschland nicht als realwirtschaftliche Tatsache in Erscheinung tritt, sondern als ideologischer Kampfbegriff. Um seine Deutungshoheit streiten sich auf der einen Seite eine Graswurzel-Bewegung, ursprünglich ausgehend von Trendforschern, grünen Nachhaltigkeitsfreunden und netzromantisch bewegten Piraten, die im Teilen von Files und Creative Commons das bessere Haben erblicken; die von Zugang, Teilhabe, Mitsprache, Transparenz und Emanzipation schwärmen; und die in der "Share-Economy" (so wie sie sie meinen) eine Chance erblicken, die Herrschaft aller über die Produktionsmittel zu erreichen und damit den Kapitalismus zu überwinden.
Auf der anderen Seite haben wir es seit einigen Wochen mit Deregulierungsapologeten alter Schule zu tun, die sich von Internet-Plattformen wie "Uber" und "Airbnb" frischen Innovationswind versprechen. Sie freuen sich über den Angriff auf verkrustete Strukturen und bürokratisierte Traditionen und sehnen sich im Namen des Wettbewerbs den Todesstoß für das zünftische Denken und den Verbotsstaat herbei. Sie feiern die Freiheit des Smartphone-Konsumenten und die Freiheit der Jungunternehmer, die alte Regeln brechen und Geschäftsmodelle zerstören: Schumpeter lebe hoch!
Warum Uber so umstritten ist
Uber startete vor rund vier Jahren in San Francisco als Alternative zu Taxis, die in der kalifornischen Metropole notorisch schwer zu kriegen sind. Anfangs ging es nur darum, für etwas mehr Geld einen Chauffeur-Service mit Oberklasse-Wagen anzubieten. Inzwischen nutzt Uber seine Vermittlungsplattform auch für Dienste, bei denen Privatleute Fahrgäste mit ihren eigenen Autos mitnehmen können. Vor allem um solche Angebote entzünden sich die Streitigkeiten mit Taxi-Gewerbe und Behörden in verschiedenen Ländern.
Es ist eine Smartphone-App, wie man sie auch von den Taxi-Anwendungen kennt. Der Abholort wird automatisch ermittelt, der Kunde sieht die Uber-Fahzeuge in der Nähe. Der Fahrweg wird mit Hilfe von GPS berechnet, die Wagen kommen daher ohne Taxameter aus. Der Bezahlvorgang entfällt: Es wird einfach die bei Uber hinterlegte Kreditkarte belastet.
Das Taxi-Geschäft überall ist vielen Regeln unterworfen. Es gibt Vorschriften für die technische Kontrolle der Fahrzeuge, die Überprüfung des Gesundheitszustands der Fahrer, spezielle Versicherungen und die Beförderungspflicht. Außerdem wird die Größe des Marktes über die Vergabe von Konzessionen eingeschränkt. So kann eine Taxi-Lizenz in New York mehr als eine Million Dollar kosten. Uber platzt mit seinen Dienstes in dieses über Jahrzehnte gewachsene Geflecht von Regeln und wirtschaftlichen Interessen.
Beim ursprünglichen Chaufferdienst UberBLACK waren die Argumente vor allem der Komfort einer Smartphone-App, ein schickes Auto und die automatische Abrechnung. Bei den Mitfahrdiensten in Privatautos ist Uber aber auch günstiger als herkömmliche Taxis. So kostet der Service UberPOP in Hamburg einen Euro pro Kilometer bzw. 25 Cent pro Minute. Laut Hamburger Taxentarif zahlt man dagegen jeweils 2,20 Euro für die ersten vier Kilometer, je 1,90 für die nächsten fünf Kilometer und 1,40 ab dem 10. Kilometer.
Behörden und auch Landesregierungen sehen den Dienst skeptisch. In Berlin und Hamburg erließen die Behörden Unterlassungsverfügung gegen Uber. Gerichte erlaubtem dem Fahrdienst aber vorläufig die Weiterfahrt. In NRW erklärte ein Sprecher des Verkehrsministeriums zu Uber: "Nach den vorliegenden Informationen handelt es sich bei den Fahrten um genehmigungspflichtige Personenbeförderungen." Über eine solche Genehmigung verfügen die Uber-Fahrer aber offenbar nicht. Das Verkehrsministerium warnt deshalb vor hohen Bußgeldern.
Bei der "Share Economy", die diese Leute meinen, handelt es sich um eine disruptive Weiterentwicklung des Kapitalismus, ja, vielleicht sogar seine Vollendung: Der Plattform-Kapitalismus unterläuft die Kontroll- und Ordnungsmacht des (Steuer-)Staates und der Gewerkschaften, indem er Ichlinge zu "Prosumenten" vernetzt, also zu Menschen, die sich aus freien Stücken als Produzenten und Konsumenten begegnen und austauschen.
Beide Denkbewegungen, die romantische und die tragische, zeichnen sich vor allem durch Überspanntheit aus. Die Vorstellung, das das "Habenwollen" an Bedeutung verliert, nur weil gestreamte Musik und Filme fast nichts mehr kosten, ist genauso naiv wie die Vorstellung, dass das Internet ein machtfreier Bezirk sein kann, eine Infrastruktur unter anderen, ähnlich dem Straßen- oder Schienennetz.
Fast noch blöder ist allerdings die Bewunderungsbereitschaft der Fortschrittsideologen für Neuankömmlinge im kapitalistischen Spiel. Ihr Groll gegen den "strangulierenden Staat" und zünftisch organisierte "Kartelle" ist offenbar so groß, dass sie den Staat sogar von seiner ordnungspolitischen Rolle entbunden wissen wollen. Anders ist nicht zu erklären, dass man die systematische Verzerrung des Wettbewerbs durch Unternehmern wie "Uber" begrüßt, um der Ausschaltung des Wettbewerbs im Taxi-Kartell ein Ende bereiten zu können.
Dass die neuen Plattform-Kapitalisten ihr Tun in Form einer sich selbst schmeichelnden Triple-Legende - Altruismus ("Wir sind die nachhaltige Share-Economy"), Konsumentensouveränität ("Wir sind besessen vom Kunden.") und Liberalität ("Je weniger Regeln, desto besser") - verherrlichen, ist das selbstverständliche Eine. Das bedrückend Andere ist, dass es noch immer Vulgärliberale gibt, die dieser Legende nur zu bereitwillig auf den Leim gehen.
Ist es wirklich so schwer zu verstehen? Nicht wer mutwillig die Einhaltung von Regeln und Standards (Arbeitsrecht, Sicherheit, Lizenzen, Steuern) verletzt, um sich, ausgestattet mit reichlich Privatkapital, Zugang zu einem Markt zu verschaffen, den er zu monopolisieren gedenkt, ist ein Freund des Wettbewerbs - sondern der, der sämtliche Zugangsschranken einreißt und dabei zugleich die Regeln und Standards schützt, auf die sich ein Gemeinwesen einigt.