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Tauchsieder

Die Freiheit wird einsam und arm

Verheißt uns ausgerechnet die Logik des Kapitalismus ein christliches Miteinander? Oder gibt ausgerechnet die Share-Economy der solidarischen Gesellschaft den Rest? Ein Blick in die Kugel.

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Sorgt die Share-Economy für den Untergang der solidarischen Gesellschaft? Quelle: dpa

Vergangene Woche habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass die Share Economy in Deutschland nicht als realwirtschaftliche Tatsache in Erscheinung tritt, sondern als ideologischer Kampfbegriff. Um seine Deutungshoheit streiten sich auf der einen Seite eine Graswurzel-Bewegung, ursprünglich ausgehend von Trendforschern, grünen Nachhaltigkeitsfreunden und netzromantisch bewegten Piraten, die im Teilen von Files und Creative Commons das bessere Haben erblicken; die von Zugang, Teilhabe, Mitsprache, Transparenz und Emanzipation schwärmen; und die in der "Share-Economy" (so wie sie sie meinen) eine Chance erblicken, die Herrschaft aller über die Produktionsmittel zu erreichen und damit den Kapitalismus zu überwinden.

Auf der anderen Seite haben wir es seit einigen Wochen mit Deregulierungsapologeten alter Schule zu tun, die sich von Internet-Plattformen wie "Uber" und "Airbnb" frischen Innovationswind versprechen. Sie freuen sich über den Angriff auf verkrustete Strukturen und bürokratisierte Traditionen und sehnen sich im Namen des Wettbewerbs den Todesstoß für das zünftische Denken und den Verbotsstaat herbei. Sie feiern die Freiheit des Smartphone-Konsumenten und die Freiheit der Jungunternehmer, die alte Regeln brechen und Geschäftsmodelle zerstören: Schumpeter lebe hoch!

Warum Uber so umstritten ist

Bei der "Share Economy", die diese Leute meinen, handelt es sich um eine disruptive Weiterentwicklung des Kapitalismus, ja, vielleicht sogar seine Vollendung: Der Plattform-Kapitalismus unterläuft die Kontroll- und Ordnungsmacht des (Steuer-)Staates und der Gewerkschaften, indem er Ichlinge zu "Prosumenten" vernetzt, also zu Menschen, die sich aus freien Stücken als Produzenten und Konsumenten begegnen und austauschen. 

Beide Denkbewegungen, die romantische und die tragische, zeichnen sich vor allem durch Überspanntheit aus. Die Vorstellung, das das "Habenwollen" an Bedeutung verliert, nur weil gestreamte Musik und Filme fast nichts mehr kosten, ist genauso naiv wie die Vorstellung, dass das Internet ein machtfreier Bezirk sein kann, eine Infrastruktur unter anderen, ähnlich dem Straßen- oder Schienennetz.

Fast noch blöder ist allerdings die Bewunderungsbereitschaft der Fortschrittsideologen für Neuankömmlinge im kapitalistischen Spiel. Ihr Groll gegen den "strangulierenden Staat" und zünftisch organisierte "Kartelle" ist offenbar so groß, dass sie den Staat sogar von seiner ordnungspolitischen Rolle entbunden wissen wollen. Anders ist nicht zu erklären, dass man die systematische Verzerrung des Wettbewerbs durch Unternehmern wie "Uber" begrüßt, um der Ausschaltung des Wettbewerbs im Taxi-Kartell ein Ende bereiten zu können.

Dass die neuen Plattform-Kapitalisten ihr Tun in Form einer sich selbst schmeichelnden Triple-Legende - Altruismus ("Wir sind die nachhaltige Share-Economy"), Konsumentensouveränität ("Wir sind besessen vom Kunden.") und Liberalität ("Je weniger Regeln, desto besser") - verherrlichen, ist das selbstverständliche Eine. Das bedrückend Andere ist, dass es noch immer Vulgärliberale gibt, die dieser Legende nur zu bereitwillig auf den Leim gehen.

Ist es wirklich so schwer zu verstehen? Nicht wer mutwillig die Einhaltung von Regeln und Standards (Arbeitsrecht, Sicherheit, Lizenzen, Steuern) verletzt, um sich, ausgestattet mit reichlich Privatkapital, Zugang zu einem Markt zu verschaffen, den er zu monopolisieren gedenkt, ist ein Freund des Wettbewerbs - sondern der, der sämtliche Zugangsschranken einreißt und dabei zugleich die Regeln und Standards schützt, auf die sich ein Gemeinwesen einigt. 

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