Tauchsieder

Die Gefahren der Share-Economy

Der Kapitalismus verleibt sich alles ein. Sein jüngstes Opfer: Die Share-Economy. Was steckt hinter dem Erfolg von Uber und Airbnb - und wer profitiert von ihm?

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Schriftzug Carsharing Quelle: dpa

Um es vorweg zu sagen: Die "Share Economy" ist kein deskriptiver, sondern ein normativer Begriff. Weshalb man nur in aller Vorsicht und Distanz von ihm Gebrauch machen sollte. "Share-Economy" ist ein wirtschaftspolitisches Programm, eine Agenda interessierter Kreise - eine Ideologie.

Ganz harmlos, weil mit besten Absichten macht er zunächst die Runde unter Trendforschern, grünen Nachhaltigkeitsfreunden und netzromantisch bewegten Piraten, die sich vor ein paar Jahren noch begeistert vorstellen konnten, dass Teilen das neue, ja: bessere Haben sei, eine solidarische Graswurzel-Wirtschaft der kleinen Leute, ein Gegenentwurf zu Big Money und Konzernkapitalismus.

Open Source, Creative Commons, Crowdsourcing und Filesharing bedeuteten diesen jungen Menschen nichts weniger als das, was Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit Robespierre und Karl Marx bedeutet haben: Teilhabe, Mitsprache, Emanzipation, Volkssouveränität und natürlich: die Herrschaft aller über die Produktionsmittel.

Plötzlich glomm da ein Hoffnungsschimmer am trüben Menschheitshorizont: Jeder weiß, dass China und Indien nicht die gleichen Ressourcen zur Verfügung stehen werden wie einst Europa und den USA während der Industriellen Revolution. Wenn aber die Chinesen ihre Autos künftig teilen würden statt sie besitzen zu wollen, hätte der Planet vielleicht noch eine Chance... 

Und so wurde "Whats mine is yours" ganz schnell zum flotten Motto einer Share-Community, die den "sozialinnovativen Ko-Konsumenten" anspricht, postmaterialistische Bedürfnisse befriedigt und sich ganz ausgezeichnet von der gängigen Wachstumskritik nährt.

Man verwies auf das Beispiel Wikipedia: Dank der gemeinnützigen Distribution privater Bildungserfolge können wir uns in Sekundenschnelle versichern, dass es sich bei Schrödingers Katze nicht um eine Siam handelt und beim Quantenselbstmord niemand Hand an sich legt.

Man fing an, in Großstädten das Auto zu teilen - und natürlich: Drive-Now, Multicity und Car2Go haben das Car-Sharing so wunderbar versimpelt, dass es in Berlin, Hamburg, Düsseldorf gar keinen Grund mehr gibt, sein eigenes Auto 23 Stunden täglich nicht zu nutzen. 

Natürlich weiß man inzwischen, dass die Zukunft der "Share-Economy" nicht ganz so strahlend weiß ist wie ursprünglich angenommen. Spätestens seit dem NSA-Skandal ist klar, dass das Internet kein digitaler Kirchentag ist, bei dem sich lauter Wohlgesinnte wechselseitig ihrer St-Martins-Solidarität versichern, sondern ein staats(konzern)kapitalistisches Schlachtfeld, auf dem es um die Annexion von Kundendaten und die Verteilung von Macht geht.

Auch der Traum vom besseren Konsumenten hat sich als linkskultureller Versuch zur Selbstverheiligung entpuppt: Der klassische Konsumkritiker, der sich in den Ritterstand des "bewussten Verbrauchers" erheben wollte, ist ein ordinärer Vertreter des - wenn auch qualitativ hochwertigen - Habenwollens geblieben.

Er verzichtet beim Fahren eines Drive-Now-Minis nicht auf Mobilität, weil er Gefallen am geteilten Wir empfindet. Sondern er schmeichelt bestenfalls seinem grünalternativen Ego, weil mit dem Verzicht aufs Auto in der Großstadt nicht zugleich auf Mobilität verzichtet werden muss. Statt des Autos konfiguriert der moderne Besitzindividualist heute lieber sein Smartphone, weil er sein distinktives Ego heute viel schöner in einer neuen Applikation ausdrücken kann als mit dem Besuch der Wolfsburger Autostadt.

Die Deutungshoheit über den Begriff der "Share-Economy" aber ist den netztrunkenen Linken noch nicht ganz entglitten, da fangen die Apologeten des Kapitalismus bereits an, ihn für sich zu gewinnen. Gewiss, die Marktgläubigen haben lange Jahre etwas kopfschüttelnd und reichlich despektierlich auf das Phänomen des organisierten Austauschs geblickt, jedenfalls kein theoretisches Kapital schlagen können aus einfachen Beobachtungen.

Da gab es plötzlich Portale im Netz, die es uns ermöglichen, Wohnungen zu tauschen und uns das Hotel zu ersparen. Es gab Konzerne, die mediale Inhalte wie Musik und Filme nicht mehr zum Kauf, sondern zum Verleih anboten. Und doch haben die Geschäftseliten auf diese Tauschbörsen lange Zeit geblickt wie der Wall-Street-Investor auf eine lokale Komplementärwährung.

Es mag ja für den ein oder anderen ganz praktisch sein, dass er sich eine Bohrmaschine oder ein schwarz-pinkes Dirndl fürs Oktoberfest ausleihen kann (www.leihdirwas.de) und für manchen sogar erfüllend, sein hervorragendes Talent ("Ich backe gern veganen Kuchen") gegen das hervorragende Talent eines anderen Menschen ("Zeige dir die schönsten Kneipen in Landau") einzutauschen (www.exchange-me.de). Aber was, bitteschön, sollte das Ganze mit Kapitalismus zu tun haben?

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%