




Zu den größten Merkwürdigkeiten unserer so genannten Wissensgesellschaft gehört, dass ausgerechnet Ökonomen nichts von Wirtschaft verstehen. Der Gründe dafür gibt es viele, der Beweise täglich mehr - ich habe an anderer Stelle ausführlich darauf hingewiesen. Der technologisch fiktionalisierte Geldismus an den Finanzmärkten und die kreditbasierte Staatsschulden-Ökonomie, die Instabilität der herrschenden Wirtschaftsform und der Wachstumszwang des Kapitalismus, die Gefahren von Kapitalkonzentration und Monopolbildung sowie die Herausforderung des Westens durch autoritär gesteuerte Marktwirtschaften... - sieben Jahre nach dem Ausbruch der globalen Finanzkrise blicken ausgerechnet Wirtschaftswissenschaftler ratlos und immer ratloser auf einen Zivilisationsprozess, der sich mehr und mehr im Modus des Ökonomischen vollzieht.
Ökonomen leben im Wolkenkuckucksheim
Man übertreibt durchaus nicht, wenn man mutmaßt, dass die Disziplin der Volkswirtschaft heute in etwa da steht, wo die scholastische Philosophie mit ihren ständigen Spekulationen und neuerlichen Gottesbeweisen am Ende des Mittelalters stand: Sie dreht sich "seit Jahrhunderten fast unbeweglich auf der Stelle" und bringt immer neue Generationen von Lehrern und Schülern hervor, die sich in ihren Untersuchungen wieder und wieder darin erschöpfen, "das bereits Gefundene zu verzieren und zu verehren" (Francis Bacon).
Drei Gründe vor allem sind es, die die spekulative Fruchtlosigkeit der VWL-Branche bezeugen, ihren Daueraufenthalt im Wolkenkuckucksheim der wissenschaftlichen Metaphysik. Erstens: Ihr methodologischer Individualismus. Ökonomen gehen noch immer davon aus, dass einzelne Menschen (rationale oder irrationale) Entscheidungen treffen, die sich gesetzmäßig berechnen und graphisch abbilden lassen. Daher blenden sie religiöse Präferenzen, historische Prägungen und soziale Kontexte weitgehend aus.
Zweitens: Die Isolierung des Marktes als Ort, an dem sich individuelle Untugend (Egoismus, Eigeninteresse) in ein Kollektivgut (Gemeinwohl) verwandelt. Ökonomen gehen noch immer noch davon aus, dass es so etwas wie einen "freien Markt" tatsächlich gegeben hat - einen Markt, der historisch nicht durch die Protektion des Staates entstanden wäre und durch die Institutionen des liberalen Rechtsstaates und seiner Bürokratie abgesichert werden müsste - einen Markt, der, frei von politischer Einflussnahme, praktisch funktionstüchtig wäre. Drittens: Die Verharmlosung des Geldes als vereinfachendes Tauschmittel friedliebender Kaufleute. Ökonomen gehen noch immer davon aus, dass das Geld gleichsam als Blutdoping der Wirtschaft in die Welt gekommen sei, um arbeitsteilig-handelsfreudige Menschen miteinander zu vernetzen. Die Multidimensionalität des Geldes als Kapital, Schuld, Zins, Preis, Ertrag, Mehrwert, Eigentum und Vermögen taucht in den klassischen Lehrbüchern noch immer nicht auf. Dabei weiß jedes Kind, dass Geld (beispielsweise) nicht nur Mittel zum Zweck, sondern (auch) Ziel und Letztgrund des kapitalistischen Wirtschaftens ist.
Die Grundannahmen der Ökonomen sind falsch
Kurzum, Ökonomen behandeln die Welt noch immer im Konjunktiv hehr-falscher Grundannahmen: Sie sind die letzten Idealisten in einer metaphysisch ausgefegten Welt. Dabei war schon Friedrich August von Hayek klar, dass die spekulative Setzung von "Individuum", "Markt" und "Geld" nicht nur die Gefahr einer internen Blickverengung, sondern auch die Gefahr einer Abkopplung der Ökonomie von den übrigen social sciences in sich birgt. "Wirklich fruchtbare Forschungstätigkeit", so Hayek vor knapp 60 Jahren, habe "eine sehr differenzierte Kombination von verschiedenen Arten von Wissen und Kenntnissen" zur Voraussetzung.
Die Ökonomie dürfe nicht nur mit Formeln operieren, die Menschen zu Totalquanten aggregiert, sondern müsse sich als Lebenswissenschaft auch hermeneutischer (verstehender) Verfahren bedienen, sich selbst auslegen, kulturell einbetten, historisch verorten: "Niemand kann ein großer Ökonom sein, der nur Ökonom ist", so Hayek, "und ich bin sogar versucht hinzuzufügen, dass der, der ausschließlich Ökonom ist, leicht zum Ärgernis, wenn nicht gar zu einer wirklichen Gefahr wird."
Eine neue Studie des deutsch-französischen "Max Planck Sciences Po Center on Coping with Instability in Market Sciences" mit dem vieldeutigen Titel "The Superiority of Economists" zeigt nun, dass die Isolation der Wirtschaftswissenschaften im Kreis der social sciences keineswegs das selbstkritische Nachdenken fördert, sondern im Gegenteil korrespondiert mit einem Übermaß an Selbstsicherheit. Die Systemblindheit der Ökonomen und ihre Superioritätsgefühle gehen Hand in Hand - das ist die erschreckende Quintessenz des Papiers. Tatsächlich, bilanzieren die Autoren Marion Fourcade, Etienne Ollion und Yann Algan, nehmen die meisten Ökonomen von sich an, sie lieferten im Vergleich zu Soziologen, Psychologen und Politikwissenschaftlern die "wissenschaftlicheren" Ergebnisse.