Tauchsieder
Quelle: dpa

Die Klima-Kirche

Purzelbaum zurück in die Voraufklärung? Wissenschaft wird jedenfalls zu Religion, wenn „1,5 Grad Celsius“ eine unkritisierbare Letztbegründung ist. Die Klimadebatte braucht dringend einen Säkularisierungsschub.

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Zum Größten, was das 15. Jahrhundert für uns Heutige in Schriftform bereithält, zählen die Predigten, Schriften und Briefe des italienischen Kirchenreformators Girolamo Savonarola. Der Dominikanermönch riss 1494 die Macht in Florenz an sich, nur mit der Macht seiner Worte – und dank der ekstatischen Bußbereitschaft seiner Follower. Der Furor, mit dem Savonarola die Genusssucht des Adels geißelte; die rhetorische Wucht, mit der er gegen den seelenverzehrenden Konsumismus des Klerus zu Felde zog; die Gesinnungshitze, mit der er die moralisch Verkommenen zur Umkehr bewegte – was für ein Leseabenteuer, noch heute!

Und man stelle sich vor: Die Florentiner schichteten damals Spiegel, Spielkarten, Möbel und modische Kleidung zu einem Scheiterhaufen auf der Piazza della Signoria; Sandro Botticelli eilte mit einigen seiner Bilder herbei, um sie in Flammen aufgehen zu lassen – nur um Gottes Sachwalter Savonrola zu zeigen, dass man den Herrn verstanden habe: Convertimini ad me in toto corde vestro! – Bekehrt Euch zu mir mit ganzem Herzen! Tut wahre Buße, wenn ihr Barmherzigkeit finden wollt! Und Ambulate, dum lucem hebetis ne tenebrae vos comprehendant – Wartet nicht, bis es zu spät ist, bis der Schatten euch überfällt!

Warum ich Ihnen heute mit einem florentinischen Bußprediger komme? Nun, weil es in Deutschland neuerdings ein paar klimapanische Medienschaffende gibt, die sich in Zeitungen, Zeitschriften und im gebührenfinanzierten Fernsehen wie wachtturmapokalyptische Zwerg-Savonarolas aufführen, um uns aus dem Fegefeuer des kohlenstoffbefeuerten Kapitalismus und seiner übermächtigen Wachstumszwänge zu befreien – um uns von all unseren Konsumsünden und Wohlstandseitelkeiten zu reinigen. Letzte Chance! Gehen wir jetzt nicht den Kreuzweg der Erlösung, dann nimmermehr! Aber Herrgottnochmal, wir sind zu schwach, arme Sünderlein, wir können nicht – also strafe uns, Vater Staat, damit wir dem Klimagott gefällig Gehorsam bezeigen dürfen!

Ein solcher Remix von Apokalypse-Offenbarung, augustinischer Eschatologie (sündiger Christ – Heilshoffnung) und savonarolischer Bußbereitschaft im Namen des Klimanotstands – das könnte höchst humorvoll sein. Wenn es denn so gemeint wäre. Ist es aber nicht.

Statt dessen verfehlen die Trivialsavonarolisten den Kern des kirchlichen Bußwesens, indem sie die Buße an eine höhere Instanz delegieren, damit sie, die Buße, an ihnen, den Medienschaffenden, vollzogen werden kann, ohne dass sie dafür wirklich büßen müssten. Das ist nicht humorvoll, sondern entsetzlich albern. Zu Savonarolas Zeiten hatte man sich unter Buße noch Weinende, Hörende, fußfällig Kniende und Stehende vorzustellen, die mindestens zehn Jahre lang vor der Kirche, in der Vorhalle, in der Vormesse und ohne Erlaubnis, die Kommunion zu empfangen, Zeugnisse ihrer dauernden Reue ablegen mussten, um endlich darauf hoffen zu dürfen, wieder gnädig in die Kirchengemeinschaft aufgenommen zu werden.

Heute rufen, von wirklich Bußbereiten wie Postwachstumsökonom Niko Paech einmal abgesehen, ein paar wichtelnde Klimasavonarolas nach dem Staat, der ihnen den nächsten Tauchurlaub verteuern soll: Bitte bestrafe mich! Erzwingt mein Wohlverhalten! Mein Geist ist willig, aber mein Fleisch ist schwach! Dabei geht es nur vordergründig um Freiheitssuspension und Unterwerfungsgeilheit, Selbstbestrafungslust und Verbotsflagellantentum. Schließlich stehen der monetären Minimaleinbuße gleich vierfach Maximalgewinne entgegen. Erstens: Man entlastet sein Gewissen, indem man die Verantwortung für sein Fehlverhalten an andere delegiert. Zweitens: Man erteilt sich selbst Absolution ex ante, also auch für alle kommenden Sünden. Drittens: Man verwöhnt sich mit dem guten Gefühl, das Klima zu schützen, wertet sein Imagekonto als verantwortungsvoller Citoyen auf. Viertens: Man kann umso ungenierter fliegen, kreuzfahren und T-Bone-Steaks ordern, weil die Buße ja immer schon eingepreist ist.

Flugreisen, Stahlhütten, Kraftwerke: Das Geschäft mit der Kompensation von CO2-Sünden boomt wie nie zuvor – doch nicht alle Klimaschutzprojekte halten, was sie versprechen.
von Simon Book, Jacqueline Goebel

Leider zielt daher auch die Kritik an den Scheinbußpredigern gründlich daneben: Es geht hier allenfalls vordergründig um Staatsgläubigkeit, „Verbotsverklärung“ und „Freiheitsekel“, wie Ulf Poschardt (jede Woche) in der „Welt“ meint. Sondern zunächst einmal darum, den Kitzel der Freiheit zu steigern, so wie man ihn wohl in einem Sado-Maso-Studio steigert: Man möchte vom Staat nur in Anführungsstrichen „gefesselt“ werden, um dann das, was man sich umso lieber leistet und umso teurer bezahlt, desto hemmungsloser genießen zu können. Anders gesagt: Die Freiheit, die hier suspendiert wird, ist nicht die plumpe Freiheit der Fleischesser, Raucher und Raser (und Leichtliberalen), die uns von rotgrünen Entmündigungseiferern und öffentlich-rechtlich bestellten Bevormundern geraubt wird. Sondern, schlimmer noch: die Freiheit als „Fähigkeit, die wir als Menschen zu verwirklichen haben“ (Charles Taylor) – und die hier vom Menschen an eine göttliche Instanz zurückdelegiert wird.

Ein kühner Purzelbaum zurück in die Voraufklärung – das ist es, was uns in der gegenwärtigen Klimadebatte wirklich beunruhigen muss. Wissenschaft wird zu Religion, wenn „1,5 Grad Celsius“ zu einer unhintergehbaren Letztbegründung erklärt wird und der Mensch nurmehr die Wahl hat, sich hinter dieser „Wahrheit“ zu versammeln – oder unterzugehen. Der Staat wird zur Kirche, wenn ihm nurmehr die Aufgabe zufällt, ein weiser Sachwalter unserer Erlösungssehnsüchte zu sein. Greta Thunberg zum Messias, die die Sünden der Welt stellvertretend auf sich nimmt. Und wir selbst zu Sonntagskirchgängern, die scheinheilig ihre Klimasünden bereuen.

Worauf es statt dessen, auch mit Blick auf die internationale Dimension des Themas, ankäme: auf globalisierte Perspektiven und technologische Lösungen, auf menschliches Maß und säkulare Zeithorizonte. Es käme an auf die tätige Gestaltung der je nächsten Zukunft, auf ein Weniger an Projektionsgläubigkeit und ein Mehr am steuernden Gebrauch unserer menschlichen Vernunftfreiheit. Es ginge dann „nicht mehr um die Frage, wie weit in die – entfernte – Zukunft sich das Ende der Menschheit aufschieben lässt“, so der Kulturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht, „sondern um Zukunftsgestaltung als Begrenzung der jeweiligen Gegenwartsverzichte, die man sich aufzuerlegen bereit ist“. Es ginge nicht mehr um die Gründung einer Klimakirche, die an die Stelle des ewigen Gottes die heilige Ordnung der Natur setzt, sondern um kapitalintensive Investitionen in Mobilität, Verkehr, Landwirtschaft und Industrieproduktion – in einen „Fortschritt“, der auch unseren Nachkommen einen Aufenthalt innerhalb unserer planetarischen Grenzen gestattet.

Noch einmal also zum Mitschreiben: Freiheit ist kein Ego-Trip für die Kurzstrecke. Und Freiheit ist nicht delegierbar im Namen eines quasireligiös verdunkelten Langzeithorizontes. Statt dessen ist Freiheit eine Praxis steuernder Kontrolle in Hinsicht auf Ziele mittlerer Reichweite – auf Ziele, die denk- und machbar sind. Wir müssen uns diese Freiheit nur endlich nehmen. Und vor allem: nehmen wollen.

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