Tauchsieder

Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar

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Die Macht der Banken, das bin ich


Herrhausen ist kein Träumer. Kaum hat er die Biotop-Idee eingeführt, stellt er klar, dass es selbstverständlich "keinen... Konflikt zwischen Marktwirtschaft und Umweltschutz" gibt, im Gegenteil: "Effizienter Umweltschutz ist erst möglich durch den Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente, die den Preismechanismus und damit das Eigeninteresse des Verursachers zur Linderung der Umweltprobleme nutzen." Auch der Vorwurf, dass die Deutsche Bank bereits einen Großteil ihrer Kredite an die Schuldnerländer abgeschrieben habe und sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen wolle, ficht Herrhausen nicht an: Das Wohlergehen seines Unternehmens schließt die Sorge um den Planeten nicht aus.

Manager verraten ihr Erfolgsgeheimnis
James Dyson, Designer, Erfinder und Gründer des Unternehmens Dyson"Ich liebe Fehlschläge. Aufgegeben habe ich nie. In den 1980er Jahren habe ich in meiner Werkstatt an 5126 Staubsauger-Prototypen getüftelt, die alle nicht funktionierten. Aber Nummer 5127 tat, was er sollte. Der Erfolg von Dyson geht zurück auf den einzigartigen Pioniergeist und außergewöhnlichen Einsatz aller meiner Ingenieure."
Simone Frömming, Deutschland-Chefin von VMware, einem der Top-Ten-Softwareproduzenten"Über Nacht zur Führungskraft? Bei mir war das genau der Fall! Bei einem Vortrag zum Thema "Go-To-Market im Softwarevertrieb" konnte ich meinen damaligen Geschäftsführer derart überzeugen, dass er mich von heute auf morgen befördert hat. Alle meine Ideen waren recht unpolitisch und leidenschaftlich - aber dafür stets zielorientiert. Als Account Managerin hätte ich damals nie gedacht, dass ein einzelner Vortrag der Wendepunkt meiner ganzen Karriere sein kann. Nach einem ersten sprachlosen Moment hat mich dieses Angebot aber darin bestätigt, Dinge auch entgegen der gängigen Meinung anzusprechen und verändern zu wollen. Eine wichtige Eigenschaft in der IT-Branche, in der jeden Tag aufs Neue ein Wettrennen um aufregende Ideen ausgetragen wird. Und letztlich auch eine Eigenschaft, die mich dahin gebracht hat, wo ich heute stehe."
Eckart von Hirschhausen, Moderator und Kabarettist, gelernter Mediziner"1997 wurde ich von einem Radiosender engagiert für eine Tour durch Kinderkrankenhäuser. In der Kinderpsychiatrie in München machte ich eine Zaubershow. Alle Kinder wurden involviert, mussten laut zählen, pusten und mitmachen. Nach der Show kam ein Arzt auf mich zu und erzählte von einem kleinen „Wunder“. Ein Junge war seit Wochen schon in Behandlung wegen „Mutismus“, einer seelischen Störung bei der Kinder aufhören zu sprechen. Der Junge „vergaß“ während der Show seine Störung und machte munter mit. Seitdem nehme ich die Rolle von positiven Gemeinschaftserlebnissen, von Humor, Musik, Kunst und anderen Wegen uns zu „verzaubern“ viel ernster, seit 2006 auch mit meiner Stiftung Humor hilft heilen."
Richard Quest, Chef der Wirtschaftsredaktion und Anchorman bei CNN Gibt es einen Moment, an den ich zurückdenke und sagen kann „Heureka!“, das war der Moment, an dem ich es geschafft hatte? Nein. Es gab viele Momente, an denen eine Geschichte Aufmerksamkeit für mein Schaffen erzeugt hat. Jeden dieser Momente habe ich dann genutzt, um mich auf meiner rutschigen Karriereleiter eine Sprosse weiter nach oben zu hangeln. Dazu gehören mein erster Hurricane-Bericht über Hurricane Gilbert im Jahr 1988, meine erste Berichterstattung zu einer US-Präsidentschaftswahl, mein Bericht von Queen Mums Beerdigung, die Berichterstattung zu Queen Elizabeths Kronjubiläum und meine Arbeit zur Einführung des Euro. Wenn ich wählen müsste, was DIE Story gewesen ist, dann wäre das der Schwarze Montag, der 19. Oktober 1987. Ich war ganz neu als Finanzreporter in London. Der Abwärtstrend an der New Yorker Börse hatte begonnen. Und bevor der Tag vorbei war, hatte der Dow Jones mehr als 500 Punkte (= 25 Prozent) verloren. Dies gilt nach wie vor als der anteilsmäßig stärkste Tagesverlust in der Geschichte des Dow Jones. Ich war im Dienst. Ich habe dabei zugesehen, wie der Markt sich in den Sekunden nach Börsenschluss um 100 Punkte verschlechtert hat und berichtete während der nächsten paar Tage morgens, mittags und abends – auf allen Programmen. Ich wurde dann eilig weggeschickt, um die Berichterstattung in New York aufzunehmen. Die Arbeit, der ich damals nachging, brachte mir die Aufmerksamkeit des Chefredakteurs ein, ich hatte mich als Finanzreporter etabliert. Ich werde den Schwarzen Montag nie vergessen. Als der Vorsitzende der New Yorker Börse sagte, dieser Tag sei am nächsten an einen Zusammenbruch der Finanzmärkte herangekommen, als alles, was wir uns hätten vorstellen können. Dies galt natürlich nur bis zum nächsten Finanzcrash. Zum letzteren Zeitpunkt war ich älter und weiser – aber interessanterweise war ich genauso erschrocken.
Karsten Eichmann, CEO des Gothaer-Konzerns"Aha- da gibt es ja noch so viel Spannendes" – für die entscheidenden Karriereschritte war meine Neugierde ein wesentliches Momentum. So auch als ich mit 43 Jahren meine berufliche Komfortzone aus Erfolg und Sicherheit verlassen und von München nach Hamburg gegangen bin, um als Vorstandschef der Advocard eine neue, spannende Herausforderung anzupacken. Nur durch das "Loslassen" von Gewohntem war der Weg bis zum CEO des Gothaer-Konzerns möglich - und diese Neugierde auf die Zukunft werde ich mir bewahren."
Uwe Schuricht, Geschäftsführer der Personalberatung Change Group"Mein Lebensweg hat entscheidende Weichenstellungen auf dem Tennisplatz bekommen: Mit Tennisunterricht habe ich mein Jura-Studium finanziert und schon damals davon geträumt, Headhunter zu werden. Dank Tennis habe ich einen Förderer gefunden, der mich bei der Promotion unterstützt hat. Die Promotion hat mich zu einer amerikanischen Kanzlei nach Paris geführt. Dort wurde ich als Manager entdeckt und danach war es nur noch ein kleiner Schritt zu meinem Traumberuf."
Sven Eggert, Eggert Group Werbeagentur"Nach einem Studium im Ausland (Oxford und Paris) nahm ich eine Stellung als Vorstandsassistent an. Mein Chef öffnete mir schnell die Augen, dass ich mit dem Europa-Hintergrund nicht so international aufgestellt war, wie uns im Studium suggeriert wurde. Die Entscheidung, daraufhin noch für vier Jahre in den USA zu arbeiten, war goldrichtig."

Herrhausen ist sich der Kritik an der eminenten Macht der Deutschen Bank jederzeit bewusst. Aber er sieht überhaupt nicht ein, sich dieser Macht zu schämen. "Ja, wir haben Macht", pflegt er zu tönen, während die Kollegen lieber "Einfluss" flüstern - das Entscheidende sei doch wohl, wie verantwortungsvoll man mit Macht umgehe. Herrhausen warnt die Deutschen davor, einen "Popanz aufzubauen"; schließlich sei sein Institut im Weltmaßstab alles andere als "omnipotent". Das stimmt - einerseits. Andererseits ist die Deutsche Bank im Inland schon damals der unangefochtene Branchenprimus. Die Vorstände und Direktoren sitzen in 400 Aufsichtsräten; die Bank selbst ist unter anderem an Daimler-Benz (28 Prozent), Klöckner (100), Holzmann (35), Karstadt, Horten (je 25), Roland Berger (75) und Südzucker (23) beteiligt. 

 

In Berlin erzählt man sich, dass Herrhausen 1983 die Regierungserklärung von Helmut Kohl mit verfasst hat. Herrhausen selbst ist von Hybris nicht frei, rückt sich in die Nähe eines Sonnenkönigs: "Die Macht der Banken, ...das bin ich." Als Manager kalkuliert er kühl sein Gewicht: "Die Wirtschaft ist gut beraten, wenn sie kompetenten Sachverstand abruft." Als Citoyen gibt er zu bedenken: "Was den rationalen Diskurs über solche Fragen so schwierig macht, ist der suggestive Charakter der Sprache. Wenn von Macht die Rede ist, klingt immer gleich der Verdacht von Machtmissbrauch durch." Sicher, sagt Herrhausen: "Man muss Macht auch wollen." Sein letztes Motiv aber, bei allem, was er tue, sei "das Bemühen, einen optimalen Sachbeitrag zu leisten".

Als die Mauer fällt, ist Herrhausen sogleich zur Stelle. Während Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) zehn Tage nach der Grenzöffnung von "zwei deutschen Staaten" spricht, die in der Europäischen Gemeinschaft aufgehen sollen, empfiehlt Herrhausen der Politik, die "Wiedervereinigung" jetzt offensiv zu wollen: "Warum hat sich das alles so ergeben in der DDR...? Weil die Menschen... ein anderes System wollen. Wenn das so ist, dann sollten wir nichts tun, was diesen Schwung erlahmen lässt." Herrhausen hat nicht den leisesten Zweifel an der Überlegenheit von Marktwirtschaft und Demokratie; die Ereignisse selbst sind ihm der Beweis dafür. 

 

"Geschichte" hat für Herrhausen kein Ziel und kein Ende, ist nur als Prozess verstehbar, als evolutionäre Entwicklung, die sich offenbart in dem, was wir tun. Herrhausen widerspricht daher entschieden Francis Fukuyamas Steilthese vom "Ende der Geschichte" - und erfasst den Kollaps des Ostblocks blitzschnell als historische Chance, sich endlich den "wirklichen Problemen dieses Globus" zuzuwenden: "Niemals hat sich die Menschheit größeren Herausforderungen gegenüber gesehen..., die Nord-Süd-Problematik, die technologische Revolution, die ökologische Frage..., und dies alles zur gleichen Zeit. Für aktive Menschen, die etwas bewirken wollen, ist es eine Lust, zu leben."

Allein als Manager ist Herrhausen dieses Leben zuweilen eine Last, ausgerechnet, hier scheitert er, zumindest teilweise. Im Mai 1988 avanciert er zum alleinigen Vorstandssprecher der Deutschen Bank - und sieht als Chefaufseher bei Daimler tatenlos zu, wie der Kollege Edzard Reuter sich in Stuttgart einen "integrierten Technologiekonzern" zurechtzimmert. Auch im eigenen Haus, das damals in etwa so modern ist wie ein britischer Herrenclub, treibt Herrhausen die "Diversifizierung" des Geschäfts voran. Die Zahl der Privatkunden ist auf 5,5 Millionen gestiegen, die Filialen erwirtschaften 83 Prozent des Gewinns, aber das Firmengeschäft lahmt, die Entwicklung innovativer Finanzprodukte geht nur schleppend voran. Herrhausen drängt auf die Internationalisierung der Bank, ihren Einstieg ins Investmentgeschäft, ihren Umbau zum Allfinanzkonzern, kurz: Er vollendet den deutschen Ledersessel-Kapitalismus mit der Deutschen Bank als Spinne im Beteiligungsnetz - und er sucht ihn zugleich zu überwinden mit dem, was er "banking around the globe, around the clock" nennt.

Zwei Tage vor seinem Tod blitzt er mit seinen umfangreichen Renovierungsarbeiten im Vorstand ab. Herrhausen ist den Kollegen zu schnell, zu schneidend, zu selbstverliebt; sie nennen ihn "Ikarus" und "Herrgott", beklagen sich über seine Verantwortungssucht, seinen intellektuellen Stolz und seinen Hochmut, ständig darüber zu befinden, wer richtig denkt - und wer nicht. Herrhausen droht mit Rücktritt. Keiner sucht ihn zurückzuhalten. Am 30. November 1989 macht er sich, pünktlich um halb neun, wie immer, auf den Weg zur Sitzung, die über sein weiteres Berufsleben entscheidet. Schmeißt Herrhausen hin? Holt Helmut Kohl ihn nach Bonn? Zwei Minuten später zünden die Terroristen die Bombe.

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