Tauchsieder

Die Zukunft der Arbeit

Der Arbeitnehmer im Digitalkapitalismus - ein hochqualifizierter Dirigent der Wertschöpfung oder ein schieres Werkzeug von Maschinen, Robotern, Algorithmen? Wahrscheinlich beides.

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In der Fabrik 4.0 sind alle Prozesse digitalisiert - Maschinen kommunizieren miteinander. Quelle: Getty Images

Joseph Schumpeter war fraglos der größte Ökonom des 20. Jahrhunderts. Dafür gibt es vor allem drei Gründe: Erstens hat Schumpeter die Gleichgewichts- und Marktharmonie-Idee von Adam Smith überwunden. Zweitens hat er nicht in Modellen, sondern in Prozessen gedacht. Drittens hat er den drei klassischen Produktionsfaktoren (Boden, Arbeit, Kapital) einen vierten hinzugefügt: das Unternehmertum.

Bekanntlich hat Schumpeter seine drei Revolutionen auf den hübschen Begriff der „kreativen Zerstörung“ gebracht. Er war überzeugt von der unerschöpflichen Energie der „kapitalistischen Maschine“, vom ewigen Sturm des ökonomischen Wandels. Er hielt die moderne Wirtschaftsordnung für eine Entwicklung ohne Endpunkt, für einen Fortschritt ohne Ziel, ständig in Bewegung dank revolutionärer Erfindungen und ruckartiger Innovationsschübe.

Die Folgen von Industrie 4.0 für die Branchen in Deutschland bis 2025

Der Kapitalismus, so Schumpeters Credo, katapultiert uns in eine Art dauernde Zukunft, weshalb der Unternehmer sein tragischer Held sei, ein kreativer Dynamiker, der immer das Neue ins Offene denken müsse, um bereit zu sein für das Ungewisse. Ein Unternehmer, so Schumpeter, habe täglich aufs Neue eine Situation zu meistern, „die sich bestimmt sofort wieder ändern wird“. Er sei dazu verdammt, „sich auf einem Boden, der unter seinen Füßen weggleitet, aufrecht zu halten“.

80 Jahre später, mit Blick auf den digitalen Kapitalismus, ist Schumpeters Analyse zutreffender denn je und unvollständig zugleich. Einerseits ist die Anforderung an Unternehmer, Manager und Entrepreneure, sich auf rutschenden Hängen im Gleichgewicht zu halten, seit der Heraufkunft dessen, was mit „digitaler Kapitalismus“, „smarte Fabrik“ und „Industrie 4.0“ nur unzureichend beschrieben ist, noch einmal gewachsen: Die Umlaufgeschwindigkeit von Geld, Wissen, Information und Ideen ist im Rechenleistungs- und Netzzeitalter so groß, dass gestern noch erfolgreiche Weltunternehmen (AOL, Yahoo, Ericsson, Nokia) sich dank einer falschen Grundsatzentscheidung heute schon in Existenznöten befinden können.

Andererseits hat sich eben dadurch ein Trend beschleunigt, der bereits seit den 1960er Jahren vom Ende des fordistisch geprägten Industriezeitalters kündet: Auch Arbeiter und Arbeitnehmer sind heute in Schumpeters Sinne tragische Helden des Kapitalismus, das heißt: nicht mehr eingesperrt wie ehedem im „stahlharten Gehäuse“ der Geldverwertungszwänge (Max Weber), sondern zu sich selbst befreite Arbeitskraftunternehmer, die in einem Klima des dauernden Umbruchs ständig aktualisierte Fertigkeiten und aufgefrischte Kreativitäts-Kompetenzen zu Markte tragen müssen (Luc Boltanski, Ulrich Bröckling).

Ganze Branchen werden ausgelöscht

Die Digitalisierung der Wirtschaft wird diese Entwicklung mit einiger Gewissheit auf die Spitze treiben. Denn ganz gleich, ob die Zukunft liquiden Unternehmen gehört, die mit kleinen Kernbelegschaften je nach Auftragslage freie Spezialisten zu projektbezogenen Teams sourcen, ganz gleich, ob sie der Machtkonzentration von Datenkonzernen in die Hand spielt oder im Gegenteil ein Netz von gemeinschaftlich-dezentral organisierten Prosumenten (Produzenten und Konsumenten) erzeugen wird, die ihre Autos teilen und selbst ausgedruckten Häuser tauschen - sicher ist, dass das, was wir traditionell unter „Arbeit“ verstehen, sich im Digitalkapitalismus dramatisch verändern wird.

Wie immer an einer Epochenschwelle, fallen die Szenarien der Wissenschaft so unterschiedlich aus wie die Rhetorik der Publizistik an raunender Kraft gewinnt. Mit Blick auf die Vernetzung von Maschinen und kommunizierenden Computern, mit Blick auf Tauschportale für Wohnungen, selbstfahrende Autos und entmaterialisierte Medien (Film, Musik, Buch etc.)  macht das Wort von „disruptiven“ Technologien die Runde - von Basisinnovationen, die Produkte und Dienstleistungen, ja: ganze Branchen und Geschäftsmodelle auslöschen wird.

IT Innovation Readiness Index 2014 - Ergebnisse für Industrie 4.0

In den meisten dieser „Dystopien“ ist von menschenleeren Fabriken und Datenkonzernen die Rede, die den homo sapiens als Informationslieferanten ausbeuten, um ihn seinen Profitzielen zu unterwerfen. Schenkt man etwa einer Berechnung der Bank ING-Diba Vertrauen, könnten Maschinen in den kommenden Jahren 18 Millionen Arbeitnehmer aus ihren Jobs drängen: Bürokräfte und Monteure vor allem, aber auch Handwerker, vorrangig mit Routine-Aufgaben betraute Ingenieure, vielleicht auch ganze Berufsgruppen wie die Piloten.

Hilfe, ein Roboter klaut meinen Job!

Auf der anderen Seite sehen „Utopisten“ vor allem Potenziale: Der Wirtschaftsstandort Deutschland könne von der vierten industriellen Revolution „kräftig profitieren“, heißt es in einer gemeinsamen Studie des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation und des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom): Durch die „Industrie 4.0“ seien allein in sechs wichtigen Branchen Produktivitätssteigerungen von 78 Milliarden Euro und ein Beschäftigtenzuwachs vor allem in der IT-Branche möglich...

Nüchtern betrachtet allerdings, lässt sich über die Arbeit der Zukunft sinnvoll nur in gegenläufigen Szenarien spekulieren. Alle Studien, die es mit Blick auf die Auswirkungen des „digitalen Kapitalismus“ auf den Arbeitsmarkt an Ambivalenz mangeln lassen, dürften sich als wertlos erweisen. Daher - einerseits für alle Apologeten des Fortschritts, Apple-Jünger und Google-Gläubige, andererseits für alle Maschinenstürmer, Aldous-Huxley-Leser und Algorithmus-Furchtsame - eine kleine Diskussionsanregung in drei Punkten: 

1. Evolution und Revolution?

Darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Wahrscheinlich ist, dass wir auf Seiten der Produktion eine schrittweise, inkrementelle Einführung digitaler Technololgien erleben werden, die die Arbeitnehmer fordert, aber nicht überfordert.

Der Einsatz von Datenbrillen an der Fertigungsstrasse; die informationelle Vernetzung von Menschen und Maschinen zur Optimierung eines reibungslosen Produktionsprozesses; Assistenzsysteme, die Abläufe im Büro verbessern; die Rationalisierung von Serviceleistungen und Wartungsarbeiten durch intelligente Maschinen - das alles sind schrittweise Entwicklungen, die handwerkliche und kognitive Fertigkeiten nicht von heute auf morgen wertlos machen.

Auf welche Bereiche wirkt sich die Digitalisierung im Arbeitsalltag aus?

Andererseits sind einige traditionelle Geschäftsmodelle durch den modernen KAppitalismus und bestimmte digitale Technologien grundsätzlich in Frage gestellt. Beispiel Medien: Früher benötigten Nachrichten einen Vertriebskanal. Heute benötigen Vertriebskanäle Nachrichten. Das heißt, allgemein gesprochen: Eine Plattform schiebt sich als Intermediär zwischen den Produzenten einer Dienstleistung und ihren Konsumenten - und schöpft im Namen des Kosumenten Werte des Dienstleisters ab.

Beispiel Car-Sharing: Die Benutzer von Leihautos in Großstädten sind in Wahrheit Käufer eines Mobilitätskonzeptes: Sie kaufen über ihr Smartphone eine Gelegenheit ein, von A nach B zu kommen - und borgen sich dazu den nötigen Antrieb und das nötige Blech aus. Die mögliche Folge: Die Autoindustrie wird zum Zulieferer einer Smartphone-Mobilität (und wird in der Wertschöpfungskette nach hinten durchgereicht).

Qualifizierung oder Dequalifizierung von Arbeit?

Wahrscheinlich ist, dass es für viele einfache, repetititve Tätigkeiten keine Zukunft mehr gibt. Generell gilt: Was automatisiert werden kann, wird automatisoiert. Für den Rest der Tätigkeiten gilt, dass es künftig drei mal zwei Arten von Arbeitnehmern geben wird.

Die erste Unterscheidung betrifft Arbeitnehmer, die Maschinen steuern und Arbeitnehmer, die von Maschinen gesteuert werden. Jene programmieren Assistenzsysteme, diese sind der menschliche Teil von ihnen. Dabei kann die erforderliche Qualifikation einer Tätigkeit und ihr Alltagswert dramatisch auseinanderfallen.

So haben sich Unternehmen auf die Digitalisierung vorbereitet

Beispiel Pilot: Sein Qualifikation ist außerordentlich, aber sein Wert schon heute (Stichwort: Autopilot) begrenzt. Gewiss, es gehört bereits seit Langem zu den Ironien der Automatisierung, dass das Systemverständnis abnimmt und die Sicherung von Erfahrungswissen gefährdet ist. Aber die Digitalisierung wird den Trend nicht nur verstärken, sondern auch zuspitzen.

Die zweite Unterscheideung betrifft Belegschafts-Arbeitnehmer, die fest angestellt sind - und Arbeitskraftunternehmer auf dem freien Markt, die als Crowdworker projektweise gebucht werden. Die materielle Basis jener ist nicht prekär; die materielle Basis dieser kann es sein.

Das hängt ganz davon ab - dritte Unterscheidung - ob der Crowdworker gut qualifiziert ist und knappe Kompetenzen anbieten kann oder nicht. Anders gesagt: Der „Arbeitsmarkt“ wird sich vermarktlichen: Der Gutqualifizierte wird für seine nachgefragten Dienste (Stichwort: Demografie) sehr gutes Geld verdienen können und seine Freiheit als Unabhängigkeit genießen, der Geringqualifizierte wird seine „Freiheit“ als Zwang empfinden.

Flexibilisierung als Zweibahnstraße

 

Die Flexibilitätsanforderungen an Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden durch die Digitalisierung noch einmal sprunghaft wachsen. Kompetenzen, die heute selten und wertvoll sind, können morgen überflüssig und wertlos sein.

Beispiel Fremdsprachen: Moderne Programme werden die babylonische Sprachverwirrung in zwanzig Jahren mutmaßlich beendet haben: Was englisch ins Smartphone gesprochen wird, wird am anderen Ende der „Leitung“ in spanisch herauskommen und umgekehrt. Das heißt: Der Arbeitnehmer der Zukunft wird weniger denn je ein fix-und-fertiger Ingenieur oder Informatiker sein, wenn er die Universität verlässt, sondern mehr denn je gefordert sein, sich sein Arbeitsleben lang weiterzubilden, um auf dem Laufenden bleiben.

So wird ein Joghurt in der Industrie 4.0 hergestellt
Kühe in einem Melkkarussel Quelle: dpa
Milch Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche
Molkerei Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche
Zutaten Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche
Steuerung Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche
Abfüllung Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche
Fertig Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche

Umgekehrt wird ein Unternehmen viel mehr als bisher dafür sorgen müssen, die unterschiedlichen Kompetenzen seiner 20-, 40- und 60-jährigen Mitarbeiter zu synchronisieren, sie miteinander im Gespräch zu halten, ihre je eigenen Qualifikations- und Erfahrungsniveaus zu vernetzen, kurz: eine homogene, motivierte „Belegschaft“ zu bilden.

Die Konsequenzen sind für beide Seiten dramatisch: Gutqualifizierte Arbeitnehmer werden Unternehmen ihre Worklife-Bedingungen diktieren: Heimarbeit, 30-Stunden-Woche, Ausstattung mit Smartphone und höhenverstellbarem Schreibtisch…

Umgekehrt werden Unternehmen ihren Angestellten abverlangen, sich in ganz andere Tätigkeitsfelder einzuarbeiten, wenn es die geschäftliche Neuausrichtung verlangt. Das wird nicht zuletzt auch arbeitsrechtliche Konsequenzen haben: Was früher „betriebsbedingte Kündigungen“ waren, werden künftig „personenbedingte Kündigungen“ sein: Entweder du akzeptierst unser großzügiges Weiterbildungsangebot oder wir müssen uns von Dir trennen… 

Ambivalante Aussichten also. Allein in bestimmter Hinsicht eindeutig gute, wie schön - denn Politik, Arbeitgeber und  Gewerkschaften scheinen sich der Ambivalenz des Themas vollkommen bewusst zu sein.

Wenn aber Union und Arbeitgeber die Risiken der Digitalisierung im Blick haben, und wenn die SPD und Gewerkschaften zugleich die Chancen von „Industrie 4.0“ sehen (und genau danach sieht es derzeit aus), dann muss uns auch in Zukunft vor Schumpeters „kreativen Zerstörungen“ nicht bange sein. In diesem Sinne: Wann wir schreiten Seit’ an Seit’… Mit uns zieht die Zeit… Niemand wagt zu hadern… Auf ins Ungewisse.

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