Tauchsieder

Taktlose Gehälter?

Seite 4/4

Dirigenten als Weltmarke

Natürlich, ein großer Name mit internationaler Reputation ist wertvoll für jede Stadt. Simon Rattle, Valery Gergiev und Andris Nelsons sind nicht nur Publikumsmagneten und kommunale Kulturbotschafter. Sie ziehen auch das Interesse der Musikindustrie auf sich und halten Sponsoren bei der Stange, die sich einem Premiumprodukt verbunden wissen wollen. Sie locken die besten Solisten und Komponisten an, sie produzieren die attraktivsten CDs, sie füllen auch bei lukrativen Auslandstourneen die Säle - was wiederum das Interesse der Musikindustrie und Sponsoren weckt…

Im günstigsten Fall, wie mit Rattle in Berlin und Chailly in Leipzig, können Dirigenten Klangkörper als Weltmarke erhalten, etablieren, weiterentwickeln - als Weltmarken, die Städte profilieren. Für jeden Euro zum Beispiel, den die Stadt Leipzig in sein Gewandhausorchester investiert, hat Intendant Andreas Schulz ausrechnen lassen, fließen 2,43 Euro nach Leipzig zurück (Übernachtungen, Restaurants).

Die besten Rocksongs über Geld
Muse: AnimalsAuf dem jüngsten Album „The 2nd Law“ beschreibt Muse-Sänger und –Komponist Matthew Bellamy mit „Animals“ die Rücksichtslosigkeit des Finanzsystems. Der Text ist eine ironische Aneinanderreihung von Börsenweisheiten, inklusive des berüchtigten „Buy, when blood is on the street.“ Das Lied endet mit der Aufforderung „Kill yourself Come on and do us all a favour“, gefolgt von der Geräuschkulisse des New Yorker Börsenparketts.  Quelle: AP
Pink Floyd: MoneyDas Album “The Dark Side of the Moon” von 1973 ist das erfolgreichste der legendären Art-Rock-Band Pink Floyd (hier Gitarrist Roger Waters bei einem Konzert 2013 in Bukarest). In „Money“, das mit dem rhythmischen Klappern einer Ladenkasse beginnt, werden die Freuden des Reichtums, aber auch seine Vergänglichkeit und die Verderbtheit der Gier besungen: „Money it’s a gas“, das Geld ist ein Gas – und dringt in alle Ritzen der menschlichen Existenz ein. Der Satz ist ein Zitat des französischen  Denkers Gilles Deleuze Quelle: AP
erJanis Joplin: Mercedes BenzDie große und erste weiße Meisterin des rauchigen Blues brachte zum Ausdruck, was Millionen träumen: „Oh Lord, won't you buy me a Mercedes Benz ? My friends all drive Porsches, I must make amends. Worked hard all my lifetime, no help from my friends, So Lord, won't you buy me a Mercedes Benz ?” Deutsche Luxus-Autos waren auch unter amerikanischen Rock-Größen der rebellischen 1960er Jahre stets ein Hit. Quelle: dpa
The Beatles: TaxmanDer von George Harrison (links) komponierte Eröffnungssong des Beatles-Albums „Revolver“ (1966) war eine offene Kritik an den hohen Steuern der damaligen britischen Labour-Regierung unter „Taxman“ Harold Wilson: „If you drive a car, I'll tax the street. If you try to sit, I'll tax your seat. If you get too cold I'll tax the heat. If you take a walk, I'll tax your feet” Das Thema hat natürlich nie an Aktualität verloren, oder wie Harrison einmal sagte: „There’s always a taxman“.   Quelle: dpa
Abba Quelle: dpa
The Smiths: Paint a vulgar pictureDie “Smiths” waren eine der stilbildenden Bands der 1980er Jahre. Ihr Sänger Morrissey (im Bild während eines Konzert im Januar 2013) inszeniert sich bis heute gerne als einsame Künstlernatur, der dem Treiben der Welt distanziert gegenübersteht. In seinem Smiths-Song „Paint a Vulgar Picture“ kritisiert er die Ausbeutung eines toten Sängers durch eine geldhungrige Plattenfirma:  “At the record company meeting. On their hands - a dead star. And oh, the plans they weave. And oh, the sickening greed.” Ja, wenn die krank machende Gier nicht wär! Quelle: AP
bDire Straits: Money for NothingDer größte Hit der Dire Straits von 1985 ist eine ironische Auseinandersetzung mit dem Musik-Geschäft. Er ist aus der Perspektive eine einfachen Menschen gesungen, der sich darüber empört, dass Rockstars „Geld für nichts“ bekommen und „Chicks for free“ obendrein. Komponist und Sänger Mark Knopfler behauptete, das Lied sei entstanden, nachdem er das Gespräch zweier Arbeiter in einem Plattenladen belauscht habe. Quelle: dpa

Auch deshalb ist ein offener Umgang mit den Gehältern von Dirigenten überfällig. Jeder Berliner, Münchner und Leipziger muss wissen, was Simon Rattle, Valery Gergiev und Andris Nelsons ihn an einem Abend kosten - nur so kann er wirklich eventuell bestehende Vorurteile abbauen sich eine valide Meinung darüber bilden, ob die Maestros ihr Geld (für ihn selbst, für den Erhalt der „Kultur“, für die Stadt) tatsächlich wert sind - finanziell, aber auch künstlerisch.

Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob Rattle mit den Berliner Philharmonikern 74 Konzerte (zehn Opernaufführungen inklusive) bestreitet, Gergiev mit den Münchner Philharmonikern hingegen nur 45. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob ein Dirigent mit einem Orchester arbeitet oder mit zweien oder dreien, ob er nebenher weitere Verpflichtungen hat - und wie viel Zeit er der Probenarbeit widmet.

Wer etwa weiß, dass, sagen wir: die Sensation eines neuen Strauss- oder Beethoven-Zyklus der Leipziger oder Berliner keine Sensation sein kann, weil den vielbeschäftigten Dirigenten gar keine Zeit zur seriösen Einstudierung des Zyklus bleibt - der wird die ordentlich bezahlten Musiker für ihre Leistung womöglich höher einschätzen als die hochbezahlten Dirigenten.

Auch unter Kulturpolitikern sollte die Einsicht reifen, dass das größte Kulturkapital der Deutschen in seiner weltweit einmaligen Orchesterlandschaft (rund 130 Klangkörper) besteht - und nicht in Dirigenten, die ihnen vorstehen. Diese haben nur deshalb zu tun, weil es es jene gibt - nicht umgekehrt. Diese können nur deshalb Kasse machen, weil die Deutschen sich mit ihrem Kulturbewusstsein jene erhalten. Höchste Zeit also, sich ehrlich zu machen. Ein Dirigent kann durchaus 50.000 subventionierte Euro am Abend wert sein. Aber seinen Wert taxieren lassen - das muss er schon.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%