Tauchsieder

Taktlose Gehälter?

Seite 2/4

Eine Millionen Euro jährlich hin oder her

Wie strikt Spitzendirigenten auf ihren Stillhaltevereinbarungen pochen, zeigt das Beispiel Riccardo Chailly. Der derzeitige Chef des Gewandhausorchesters hat vor einigen Jahren damit gedroht, den Stab niederzulegen, falls sein Gehalt publik würde. Damals hatte das sächsische Landesrechnungsamt moniert, dass die Gagen des Maestros bei weitem das Salär des Oberbürgermeisters überträfen.

Auch die Hotel-Suite, die der Italiener bei seinen Gastspielen in Leipzig Berichten lokaler Medien zufolge bewohnt (Listenpreis: 810 Euro), war schon Anlass für Diskussionen. Zu einem Ende der Gagen-Heimlichtuerei aber haben die Debatten nicht geführt. Im Gegenteil. Die Angst davor, dass Chailly Leipzig vorzeitig den Rücken kehren könnte, war seither größer denn je.

Schon einmal, bei der Oper im spanischen Valencia, war Chailly wegen einer Indiskretion aus seinem Vertrag ausgestiegen - eine Million Euro jährlich hin oder her. Nun - Leipzig den Rücken gekehrt hat Chailly jetzt trotzdem. Erst verlängerte er im Sommer 2013 seinen Vertrag bis 2020 („Die Ehe ist glücklich! Ich bin so begeistert in Leipzig wie am ersten Tag!“) - jetzt lässt er sein Gewandhausorchester bereits ab 2016 im Regen stehen, weil es ihn nach Mailand an die Scala und nach Luzern zum Sommerfestival zieht.

Die Heimlichtuerei in Berlin, der mutmaßliche Luxusvertrag von Gergiev in München und die Kapriolen in Leipzig - das alles sind Phänomene eines Musikbetriebs, der sich hinter der Fassade der „Hochkultur“ radikal kommerzialisiert hat und einer Handvoll Weltklasse-Dirigenten eine Verhandlungsposition einräumt, die nur noch vergleichbar ist mit der von herausragenden Fußball-Spielern. Mag sein, dass der belgische Nationalspieler Kevin De Bruyne beim VfL Wolfsburg unter Vertrag steht - er wechselt dennoch zu Manchester City. Mag sein, dass Riccardo Chailly in Leipzig glücklich ist - in Mailand will er sich halt noch ein bisschen glücklicher fühlen.

Neu daran ist nicht, dass Pultstars zum Zwecke der individuellen Profitmaximierung musizieren - Herbert von Karajan, wie gesagt, lässt grüßen, auch Lorin Maazel, der für seine zuweilen genial flüchtigen Dirigate bis zu 120.000 Euro kassiert haben soll. Neu ist auch nicht, dass sich zunehmend viele Spitzendirigenten keinem Orchester mehr verpflichtet, sich an keinen Vertrag gebunden fühlen - und sich für kapellmeisterliche Kärrnerarbeit zu schade sind, die ihnen Zeit raubt fürs lukrative Jet-Set-Geschäft.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%