Tauchsieder

Die Freiheit nehm' ich mir?

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Es braucht eine Zukunft, die sich bewirtschaften lässt

Ein fortschrittsoptimistischer Aufklärer wie Immanuel Kant mochte vor 200 Jahren den Maßstab eines pflichtbewussten und verantwortungsvollen Handelns noch im Menschen selbst finden: in einem Menschen, der der Natur entwachsen war und sich über sie erhoben hatte, der ihre kleinsten und größten Geheimnisse entschlüsselte und sie sich mit seinen Werkzeugen untertan machte – kurz: der die Natur kulturell, naturwissenschaftlich und ökonomisch im Griff hatte. Hans Jonas hingegen, Zeuge der vielen Verwundungen, die das „fossile Zeitalter“ der Natur geschlagen hatte, pochte auf ihre Würde – und erhob Anklage gegen ein anthropozentrisches Vernunftdenken, das die Natur zum kostenlosen Produktivfaktor degradiert hatte. Es ging ihm schon 1979 darum, „den Horizont unserer Möglichkeiten offenzuhalten“ – und er riet damals, wie Greta Thunberg heute, davon ab, Optimismus zu verbreiten: Der „Unheilsprophezeiung“ sei mehr Gehör zu verschaffen als der „Heilsprophezeiung“, weil das Mögliche – die Selbstvernichtung des Menschen – zunehmend wahrscheinlich werde, nicht zunehmend unwahrscheinlich.

Man muss Hans Jonas und dem Bundesverfassungsgericht in diesem Punkt nicht folgen – nicht dem kleinteiligen Durchregulierungsaufruf der Richter („Jahresemissionsmengen und Reduktionsmaßgaben“) und schon gar nicht Jonas“ Idee einer sanften Öko-Diktatur, in der die Menschen, wenn nötig auch im Wege des Zwanges, Konsumverzicht üben müssen. Aber dass technologischer Fortschritt, will er gelingen, seine Nebenfolgen immer mitbedenkt; dass individuelle Freiheit in Unfreiheit umschlägt, wenn sie ihre Abhängigkeit von einer intakten Natur leugnet, dass wir die Natur philosophisch als Subjekt (nicht als Objekt) begreifen und ökonomisch als Knappheit mit Preisschild (nicht als umsonst ausbeutbare Ressource) – das sind Gedanken, die von zentraler Bedeutung sind, wollen wir das Klimaproblem lösen.

Das Gericht hat die Politik dazu aufgerufen, diese Gedanken gesetzgeberisch zu konkretisieren für die Zeit nach 2030 – aber was heißt das? „Angesichts der technischen und ökologischen Dynamik kann das kein detaillierter Fahrplan sein, sondern ein Mix verbindlicher Ziele und flexibler Instrumente“, schreibt Ralf Fücks, der Geschäftsführer des Zentrums Liberale Moderne. Recht hat er. Denn zur Lösung der Klimafrage, das kommt zu kurz im Urteil der Richter, braucht es nicht lähmende Welthöllenangst, sondern zupackende Zuversicht, kein schlechtes Gewissen, sondern gutes Geld, keine gefühlige Kapitalismuskritik, sondern die Investitions- und Innovationslust aufbruchsoffensiver Unternehmer. 

Kurz: Es braucht eine Zukunft, die sich bewirtschaften lässt. Diese Zukunft hat sich seit den Siebzigerjahren „von einem Gegenstand der Erwartung und Hoffnung zu einem Gegenstand der Sorge und damit zugleich auch der Vorsorge“ verwandelt, so die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann im Sinne von Hans Jonas. Diese Zukunft wurde auch damals schon schwarz gemalt, aber das Schwarz offenbarte sich uns noch nicht als gewisses Schicksal, sondern als Mahnung: „Sorge dich – und lebe, damit es wieder hell wird!“ Das ist heute anders.

Heute blickt alle Zukunft von einem datengesicherten Übermorgen aus zurück ins Heute – und degradiert die Gegenwart zum unruhigen Ort ultimativer Herausforderungen: „Du sorgst Dich nicht – das ist Dein Untergang!“ Das ist problematisch. Denn wenn die Zukunft uns nur noch als empirisch gesicherter Ausgangspunkt für künftige Katastrophenszenarien begegnet, als mathematisch berechnete Gefahr, auf die umgehend zu antworten ist – dann diktiert diese Zukunft die Gegenwart und setzt die Politik herab zur angewandten Zukunftsforschung. Wenn aber die Zukunft nur noch das ist, was die Menschen in einer je gegebenen Gegenwart glauben tun zu müssen, um sie zu verhindern oder zu realisieren, verliert sie ihren Sinnhorizont als Handlungsfeld des Menschenmöglichen und Menschengemäßen. Dann kolonialisiert sie unsere Gegenwart als Gewissheit, die keine Zukunft mehr kennt.

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Der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski hat dieses Szenario bereits zu Ende gedacht und eine „KI als Antwort auf die Klimakrise“ imaginiert, die dem Menschen ein Handeln diktiert, zu dem ihm nicht die Einsicht und der Umsetzungswille, wohl aber die Kraft fehlt: Der Mensch delegiert seine Freiheit an Maschinen, um sich seine natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten? Schwärzer kann auch der Klimatod nicht sein.

Mehr zum Thema: Der Green Deal der EU erhöht den Druck auf die Wirtschaft. Umso wichtiger, dass die Politik ein attraktives Umfeld für grüne Investitionen schafft. Lesen Sie hier den Gastbeitrag von Ökonomin Veronika Grimm.

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