Tauchsieder

Es regiert: Die nackte Angst

Die SPD opfert ihre Idee von Integration dem Druck von rechts. Die CDU biedert sich bei Rechtspopulisten an. Die AfD bestimmt die Richtlinien der Politik. Es ist erschütternd. Eine Kolumne.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Quelle: dpa

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), das muss man ihr schon lassen, hat vor vier Monaten ein paar bemerkenswerte Sätze gesagt. Die Flüchtlingskrise werde „unsere Politik gravierend ändern und wieder neue Schwerpunkte setzen“, so Merkel, denn: „Jede Zeit hat ihre eigene Herausforderung.“ Merkel muss das damals ganz im Sinne des Philosophen Hegel verstanden haben, demzufolge große politische Persönlichkeiten nichts als Werkzeuge der Geschichte sind, in denen sich der obwaltende Weltgeist entfaltet und offenbart. Wahrscheinlich schwebte Merkel damals vor, dass der Strom der Flüchtlinge und Migranten im antikischen Sinn als kairos verstanden, mithin als günstige Gelegenheit ergriffen wird, um Deutschlands Fachkräftemangel und demographische Krise zu lösen, das zerstrittene Europa zu resolidarisieren - und natürlich auch, um in der Düsternis einer fanatisierten, kriegerischen Welt ein Licht der Hoffnung, der vorgelebten Menschenwürde anzuzünden. Entsprechend stimmt Merkel seither immer wieder ihr dreistrophiges Lied an, das sich an die Deutschen („Wir schaffen das“), an den Kontinent („Wir brauchen eine europäische Lösung“) und an die Welt (“Flüchtlingsursachen bekämpfen“) richtet.

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Platz 6: Wolfgang Kubicki (FDP) Der FDP-Politiker taucht zum ersten Mal im Ranking auf. Er wird von 33 Prozent der Befragten als kompetent angesehen. Quelle: dpa
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Angela Merkel Quelle: dpa

Die Zweifel daran allerdings, dass ausgerechnet Angela Merkel Hegels „List der Vernunft“ personifiziert - also die Kraft, die bewirkt, dass im jeweiligen Stadium der Weltgeschichte das historisch Notwendige passiert -, hat sie seither nicht zerstreuen können. Im Gegenteil. In Europa steht Merkel mit ihrer Politik der offenen (Ober-)Grenzen und des entschlossenen „Souveränitätsverzichts“ (so der Philosoph Peter Sloterdijk) vollkommen isoliert da, spätestens seit Dänemark (Enteignung der Flüchtlinge), Schweden (Abschiebung von 80.000 Asylbewerbern) und Österreich (Obergrenzen) Migranten auf je verschiedene Weise Signale der Entmutigung gesendet hat. In Deutschland wiederum macht Merkel schon seit Wochen nicht mehr den Eindruck, sie sei ein Werkzeug der Geschichte, sondern ein Stück Treibholz auf dem anschwellenden Strom der Kritik. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sieht es mittlerweile als seine „Pflicht“ an, gegen die Politik der von Merkel angeführten Regierung (der er selbst angehört) zu prozessieren. Und einer von Seehofers Vorgängern, Edmund Stoiber, spricht der Kanzlerin jetzt gar die „Legitimation“ ab, das Land - gegen den Willen des Volkes, insinuiert Stoiber - zu verändern und ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik fortzusetzen. Merkel spalte die Gesellschaft, so der ehemalige CSU-Chef und gefährde das Projekt Europa: Wenn sie „nicht aufpasst, sitzt sie bald mit Beppo Grillo, Geert Wilders und Marine Le Pen am Tisch“.

Was Stoiber nicht sagt: Angela Merkel ist nicht nur kein Werkzeug einer sich zum Guten rundenden Geschichte, sondern auch seit Monaten keine Herrin mehr ihrer Politik. Schlimmer noch: Weil Merkel die CDU auf die Affirmation ihrer Zuversicht einschwor und auf die unbedingte Bejahung ihrer politischen Planlosigkeit verpflichtete; weil sie, attestiert von applaudierenden Grünen, Linken und Sozialdemokraten, applaudiert auch von Peter Altmaier, Volker Kauder und Armin Laschet, dem CDU-Schönredner-Trio im Dienste der Kritikunterdrückung und Machtabsicherung, den Raum systematisch eng gemacht hat für den seriösen Zweifel am Positivismus des Kanzleramtes, zeichnet vor allem Merkel dafür verantwortlich, dass in diesen Wochen die außerparlamentarische Opposition der AfD den politischen Diskurs im Land bestimmt und die Regierung vor sich her treibt. Ja, die Politik hat sich „gravierend verändert“ und „neue Schwerpunkte“ gesetzt - und sie liegen rechts von Maß und Mitte, weil Merkel es seit Monaten an Maß und Mitte fehlen lässt. Der Franktionschef der SPD, Thomas Oppermann, sagte es nach der Einigung auf das so genannte Asylpaket II ganz offen: Die SPD trägt die Aussetzung des Familiennachzugs für einen Teil der Flüchtlinge recht eigentlich nicht mit, aber „niemand hätte verstanden“, so Oppermann, wenn die SPD hier nicht nachgegeben hätte: „Es war geboten, dass wir uns einigen“. Oppermann hätte auch sagen können, dass die SPD ihre Idee von Integration dem politischen Druck von rechts opfert.  

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