Tauchsieder
Tausende Demonstranten folgen dem Aufruf der Bewegung Fridays for Future und wollen für mehr Klimaschutz kämpfen. Quelle: dpa

Freiheit oder Klimaschutz

Wozu zwingt uns der „Klimanotstand“? Und: Können wir es uns noch leisten, auf Opfer zu verzichten? Der Versuch einer Antwort mit zwei Ikonen aus Mönchengladbach: Hans Jonas, Philosoph. Und Günter Netzer, Fußballer.

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Die Stadt Mönchengladbach hat Günter Netzer und Hans Jonas hervorgebracht, daran muss man in diesen Tagen dringend erinnern. Nicht weil sich der Geburtstag des Freigeist-Fußballers gerade zum 75. Mal jährte. Und auch nicht, weil der Philosoph sein Hauptwerk vor exakt 40 Jahren veröffentlicht hat. Sondern weil man ohne die beiden nicht Deutschland im September 2019 verstehen kann: ein Deutschland im Bann der „Klimakrise“.

Fangen wir mit Hans Jonas an, der uns 1979 auf knapp 400 Seiten „Das Prinzip Verantwortung“ auseinandersetzte, eine Grundlagenschrift der globalen Umwelt-Ethik, deren Lektüre in weiten Teilen noch heute stimulierender ist als 99,9 Prozent des tagesaktuellen CO2-Ausstoßes von Politikern und Medienschaffenden. Bekanntlich formulierte Jonas damals, in Anlehnung an Immanuel Kant, einen kategorischen Imperativ für das postindustrielle Zeitalter: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“

Der freundliche Rat des Philosophen atmete damals, bei aller heraufziehenden Endlichkeitsangst, durchaus noch den Geist der Zuversicht – und Jonas‘ Satz taugte auch heute noch zum Motto aller Klimaschützer, wenn die Jugend nach vier Jahrzehnten seiner Missachtung nicht einmal mehr an der Vernunftfähigkeit der Eltern verzweifeln müsste und wenn Klimawissenschaftler mit Blick auf ihre Erkenntnisse nicht meinten, es sei allerhöchste Zeit, ihn ins Alarmistische, ins Menschheits-Eschatologische zu wenden: „Ich will, dass ihr in Panik geratet“, so die schwedische Aktivistin Greta Thunberg beim Weltwirtschaftsforum in Davos, „dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre.“

Eine süffige Kritik der Klimaschützer hat es seither leicht. Doch so richtig und angebracht sie jenseits des unbegreiflichen Hasses auch ist, den heutzutage kein Potentat, Diktator und Schlächter, wohl aber eine intelligente 16-jährige Schülerin mit Weltverbesserungsabsichten auf sich zu ziehen vermag – die Kritik bezieht sich auf Epiphänomene und nachrangige Fragen und dreht sich daher seit Wochen mit zunehmender Substanzarmut im Kreis.

Gewiss, wer den „Klimanotstand“ ausruft, unternimmt eine Rolle rückwärts in voraufklärerische Zeiten. Der arbeitet an der Abschaffung alles Politischen und untergräbt die Freiheit im Namen des Notwendigen. Der ordnet dem Diktat des Ökologischen alles unter und missachtet die Mittel zur Erreichung des heiligen Zwecks.

Das alles ist nicht nur falsch und gefährlich, sondern auch teuer, wie die Klima-Beschlüsse der Großen Koalition zeigen – und weitgehend sinnfrei, weil das Kanzleramt den „Klimanotstand“ nur symbolisch (nationalpolitisch) beglaubigt, ohne ihn faktisch (globalpolitisch) adressieren zu können. Natürlich: Panik ist kein guter Ratgeber; zur Lösung der Klimafrage braucht es nicht lähmende Welthöllenangst, sondern zupackende Zuversicht, kein schlechtes Gewissen, sondern gutes Geld, keine gefühlige Kapitalismuskritik, sondern die Investitions- und Innovationslust aufbruchsoffensiver Unternehmer. Und ja, sicher: Der mediale Hype um Greta Thunberg gleicht einem Hochamt der politischen Emotionsbewirtschaftung und einer Art Begräbnisfeier des seriösen Journalismus zugleich – wie peinlich.

Doch der entscheidende Punkt bleibt von all diesen Einwürfen unberührt: Die meisten Klimabewegten transzendieren nicht „die Natur“ zu etwas Göttlichem, und Greta ist auch nicht ihr „Messias“, sie predigen nicht Verzicht, rufen nicht wachtturmapokalyptisch zur Umkehr auf und falten auch nicht die Hände zum Gebet, wenn sie im Fernsehen einen Eisbären sehen. Sondern sie schenken den Zahlen und Fakten der Wissenschaft zunehmend Glauben – und fangen damit an, den menschengemachten Klimawandel als Wissen in ihr Denken und Handeln einzubeziehen.

Manche essen weniger Fleisch, andere kaufen kleinere Autos, wieder andere steigen aufs Rad um oder versagen sich eine Flugreise, und das nur, weil sie es wollen - was wäre daran auszusetzen? Sie gehören auch nicht einem „linksgrünen Zeitgeist“ an, der sich nach Meinung von Leichtliberalen und Betonkonservativen besser bald wieder verzieht. Sondern sie wählen einen wie Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg, von dem sie annehmen, er bearbeite das Klima-Problem ohne Schaum vor dem Mund, aber aus Überzeugung, ernsthaft, sachlich und fachlich – kein Zufall, dass Umfragen ihn und die Grünen derzeit bei 38 Prozent sehen.

Kurzum: Umwelt und Klima, ausgerechnet Markus Söder (CSU) hat es in der Union sofort begriffen, sind bleibende Themen, weil sie Sensibilitäten der „bürgerlichen Mitte“ in Deutschland berühren – einer Mehrheit der Deutschen, die aus sehr unterschiedlichen Gründen mit Rilke der Meinung sind: „Du musst Dein Leben ändern.“

Oder, wie gesagt, mit Hans Jonas. Der Philosoph hat der Natur damals einen intrinsischen Wert zugesprochen. Er wollte sie aus dem Objekt-Gefängnis befreien, in das der moderne Mensch sie seit Renaissance und Aufklärung gesperrt hatte: als Beobachtete und Zugerichtete, Ausgebeutete und Beherrschte.

„Ich habe die Freiheit, meine Lebenseinstellung leben zu können“

Ein fortschrittsoptimistischer Aufklärer wie Immanuel Kant mochte vor 200 Jahren den Maßstab eines pflichtbewussten und verantwortungsvollen Handelns noch im Menschen selbst finden: In einem Menschen, der der Natur entwachsen war und sich über sie erhoben hatte, der ihre kleinsten und größten Geheimnisse entschlüsselte und sie sich mit seinen Werkzeugen untertan machte – kurz: der die Natur kulturell, naturwissenschaftlich und ökonomisch im Griff hatte. Hans Jonas hingegen, Zeuge der vielen Verwundungen, die das „fossile Zeitalter“ der Natur geschlagen hatte, pochte auf ihre Würde - und erhob Anklage gegen ein anthropozentrisches Vernunftdenken, das die Natur zum kostenlosen Produktivfaktor degradiert hatte. Es ging ihm darum, „den Horizont unserer Möglichkeiten offenzuhalten“ – und auch er riet damals, wie Greta Thunberg heute, davon ab, übertriebenen Optimismus zu verbreiten: Der „Unheilsprophezeiung“ sei mehr Gehör zu verschaffen als der „Heilsprophezeiung“, weil das Mögliche - die Selbstvernichtung des Menschen - zunehmend wahrscheinlich werde, nicht zunehmend unwahrscheinlich.

Man muss Hans Jonas in diesem Punkt nicht folgen – schon gar nicht seiner Idee einer sanften Öko-Diktatur, in der die Menschen, wenn nötig auch im Wege des Zwanges, Konsumverzicht üben. Aber dass technologischer Fortschritt, will er gelingen, seine Nebenfolgen immer mitbedenkt; dass individuelle Freiheit in Unfreiheit umschlägt, wenn sie ihre Abhängigkeit von einer intakten Natur leugnet, wenn sie sich nicht aus freien Stücken in sie eingebettet vorstellt. Und dass man sich „die Natur“ philosophisch als Subjekt denkt (nicht als Objekt), ökonomisch als Knappheit mit Preisschild (nicht als umsonst ausbeutbare Ressource) – das sind und bleiben Gedanken, die von zentraler Bedeutung sind, wollen wir das Klimaproblem im Wege einer Green-Growth-Revolution lösen, vor der wie mit Blick auf die wachsenden Bevölkerungen und Volkswirtschaften in den Schwellen- und Entwicklungsländern stehen.

Womit wir endlich bei Günter Netzer wären, der bekanntlich Fußball spielte, wie Janis Joplin sang und klang: „Freedom’s just another word for nothin‘ left to lose.“ Oder in den Worten von Netzer: „Ich habe die Freiheit, meine Lebenseinstellung leben zu können.“ Es war eine Freiheit als Playboy und Porsche-Fahrer, Ästhet und Geschäftsmann, als pflichtenloser Zehner und Selbsteinwechsler – eine Marlboro-Freiheit der weiten Horizonte, an denen sich gelegentlich der Blick des Existenzialisten brach. Es muss herrlich gewesen sein, man kann Günter Netzer nur beglückwünschen. Aber bereits als Hans Jonas sein Buch veröffentlichte, war es auch mit der Netzer-Freiheit schon vorbei: Er führte den Hamburger SV als Manager zur Deutschen Meisterschaft.

Ob auch Netzer heute Freiheit mit seinem Gladbacher Co-Promi Hans Jonas als steuernde Praxis denkt, die wir zu verwirklichen haben? Als Freiheit, deren Wert sich danach bemisst, welchen (guten) Gebrauch wir von ihr machen? Als Freiheit, die nicht blind ist für die Abhängigkeit des Menschen von der Natur – und die der Natur daher Eigentumsrechte einräumt, so wie es der Philosoph Tilo Wesche vorschlägt?

Man wüsste es tatsächlich gern: Was einer wie Netzer heute über Freiheit und #fridaysforfuture, veganes Essen und SUVs in Großstädten denkt. Denkt er noch wie Janis Joplin und er selbst vor 40 Jahren? Wahrscheinlich ist es nicht. Interessant zu wissen wär’s allemal.

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