Tauchsieder

Was ist Populismus?

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Fürsprecher des ("einzig wahren") Volkes

Als „vermeintlich selbstlose Gegen-Elite“ zum Wohle aller (der Gesellschaft) machen sich „Populisten“ zu Laustsprechern einer Gemeinschaft, der es um Ein- und Ausgrenzung geht, um Inklusion und Exklusion. Populisten, so lässt sich folgern, sind daher notwendig antidemokratisch: Sie bringen - in der Opposition, als Minderheit - die Legitimität ihres (speziellen) Anliegens gegen die Legalität (des Mehrheitsprinzips, zum Beispiel der Wahlentscheidung) in Anschlag. Und sie setzen sich, einmal an der Macht, über die Anliegen von Minderheiten hinweg, weil sie sich zum Fürsprecher des („einzig wahren“) Volkes gerieren, um es gegen die Gesetze der Logik als Einheit gegen die Pluralität der Individuen aufzubringen, die „das Volk“ repräsentieren.

Natürlich wirft Jan-Werner Müller mit dieser Definition die Frage auf, ob „Populismus“ und „Rechtspopulismus“ letztlich Synonyme sind. Bernie Sanders in den USA zum Beispiel kann nach Müllers Definition vielleicht ein Agiteur wider das Finanzkapital sein, keinesfalls aber ein Populist, weil er die Wall-Street-Banker nicht ausgrenzen, sondern im Gegenteil: als ehrliche Steuerbürger reintegrieren will.

Donald Trump hingegen ist eindeutig ein Populist, weil er sehr eindeutige Vorstellungen davon hat, entlang welcher rassischen und religiösen Grenzen ein Amerikaner als „wahrer Amerikaner“ gilt. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Man denke nur an die Denunziation von Intellektuellen im China Maos oder an die moralische Ausgrenzung von „Kapitalisten“ in Chavez’ Venezuela.

Es ist Müller hoch anzurechnen, dass er deshalb abschließend auch dem „Linkspopulismus“ eine Absage erteilt, der seit einigen Jahren vor allem von der belgischen Politologin Chantal Mouffe protegiert wird. Mouffe argumentiert, dass die gelebte Diskurs-Demokratie einer „neoliberalen Hegemonie“ zum Opfer gefallen sei: In den gründlich entpolitisierten, marktkonformen Konsens-Demokratien des Westens gleiche die Wahl zwischen Mitte-links und Mitte-rechts nur noch einer Wahl zwischen Coke und Pepsi, so Mouffe - kein Wunder also, dass der Rechtspopulismus in das Vakuum dieses „postdemokratischen“ Konsens eingebrochen sei. Die Linke, so Mouffe, sei in dieser Situation aufgerufen, zwischen dem (wahren) Volk und dem zu unterscheiden, was sie die „politischen und ökonomischen Kräfte des Neoliberalismus“ nennt.

Das aber ist nicht nur populistisch, sondern auch hinterrücks populistisch: Wer einen Antagonismus zu einem anonymisierten „System“ aufbaut, vermeidet zwar (anders als der Rechtspopulist) die Personalisierung derer, die er zu „Volksfeinden“ erklärt (und die er vom „wahren Volk“ getrennt wissen will). Tatsächlich aber treibt, wer ein (gedachtes) Volk zum Kampf gegen (abstrakte) Kräfte aufruft, den instrumentellen Willen zur Desinformation, wenn auch im Dienst der vermeintlich guten Sache, bloß auf die Spitze.

*Was ist Populismus?

Jan-Werner Müller

Suhrkamp

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