Tauchsieder Hilfe, die Inflation ist da?!

Wie steht es um unser Vertrauen ins Geld in Zeiten der Inflation? Quelle: imago images

Nur keine Panik. 2022 ist nicht 1922. Aber wer Inflationssorgen als deutsche Obsession abtut, macht es sich auch zu leicht. Stark steigende Preise zehren nicht nur unser Geld auf, sondern auch unser Weltvertrauen.

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Die Phönizier haben das Geld erfunden – aber warum so wenig? – Johann Nestroy

4,9 Prozent in Deutschland. 7,5 Prozent in den USA. 11,3 Prozent in Estland. Oder sagen wir es einfach so: Die 100 Euro, die wir vor einem Jahr in Deutschland, den USA und Estland in Händen hielten, sind heute nur noch rund 95, 93, 89 Euro wert. Was tun? Schnell weg mit dem Geld, weil es heute noch kaufen kann, was ihm morgen schon zu teuer ist?

Kein Grund zur Panik. Wohl aber damit rechnen, dass die Inflation, wie es so schön heißt, gekommen ist, um fürs Erste zu bleiben. Das sieht inzwischen auch Isabel Schnabel so. Die EZB-Direktorin hat die Sorgen vor einem anhaltenden Preisauftrieb in Europa lange zerstreut. Sie hat eine Inflation von vier Prozent im Juli 2021 für „vorübergehend“ gehalten und Kritiker ihres Beschwichtigungskurses wochenlang belehrt, dass die EZB selbstverständlich an ihrem Inflationsziel (zwei Prozent) festhalte, sich dabei aber nicht durch „eine außergewöhnliche Situation“ und pandemiebedingte Preisbuckel beunruhigen lasse: „Durch kurzfristige Abweichungen schauen wir hindurch.“

Das klang klug und weise, abgeklärt und weitsichtig – und sollte es auch. Schnabel ließ alle Inflationsmahner damals wie übellaunige Agenten der Angst und newsgetriebene Paniker des Augenblicks erscheinen. Und setzte sich selbst als souveräne Beobachterin zweiter Ordnung in Szene, als Inhaberin einer höheren Weisheit, die allen vorübergehenden Aufgeregtheiten und geldpolitischen Kurzsichtigkeiten enthoben ist – und die Matrix des modernen Finanzsystems souverän durchschaut: „Rechnet man die Basiseffekte der Pandemie heraus, ist die Inflation momentan weiterhin eher zu niedrig als zu hoch“, so Schnabel im September 2021.

Inzwischen, wie gesagt, revidiert Schnabel ihre Preisstabilitätserwartungen. „Wir sind uns der Unsicherheit unserer Inflationsprognose durchaus bewusst“, konzedierte sie zunächst im Dezember 2021: „Es besteht ein Aufwärtsrisiko.“ Und ging dann vergangene Woche noch einen Schritt weiter: Plötzlich, auf der Basis der „jüngsten Daten“, so Schnabel, wird ihr „das Risiko, zu spät zu handeln“ bewusst. Jedenfalls sei die EZB bei der Bewertung der Inflation künftig gut beraten, auch die steigenden Preise für Wohneigentum zu berücksichtigen, so Schnabel – und im Hinblick darauf „die Inflationsaussichten sorgfältig neu (zu) bewerten“.

Schneller schlau: Inflation

Es ist ein mehr als deutlicher Hinweis darauf, dass nach der amerikanischen Notenbank Fed auch die EZB-Managerinnen auf ihrem nächsten Meeting am 10. März eine baldige Anhebung der Leitzinsen in Aussicht stellen, um Unternehmen, Börsenhändler und Verbraucher vorsichtig auf das Ende einer fast fünfzehnjährigen „Free-Lunch-Ökonomie“ (Raghuram Rajan) einzustimmen. Die Finanzmärkte haben den Registerwechsel bereits teilweise vollzogen: Aus vielen Techwerten entweicht Luft, die Kurse von Anleihefonds sinken.

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Kein Grund zur Panik. Wohl aber damit rechnen, dass Aktien- und Rentenindizes sich in diesem Jahr nicht mehr  nordostwärts entwickeln und Bargeld 2022 stabil an Wert verliert. Die Chefvolkswirte der Bankhäuser würfeln, je nach Temperament, Agenda und Medienkompetenz, Teuerungsraten zwischen 2,75 und fünf Prozent aus; die Bundesbank rechnet mit vier Prozent. Kein Wunder: Es spricht viel dafür, dass drei wichtige preistreibende Trends – erstens steigende Energiekosten, grüne Investitionen, verteuerte Öl- und Gas-Exploration; zweitens Fachkräftemangel und Lohnforderungen; drittens Lieferkettenprobleme, Reshoring, Deglobalisierung – den einen gegenläufig zinsdämpfenden Megatrend Demografie – die Vergreisung Europas, hohe Ersparnisse, eine geringe Investitionsnachfrage – mittelfristig überlagern.

Auch ist nicht davon auszugehen, dass Deutschland und Europa in den nächsten zehn Jahren unbehelligt bleiben von der Weltpolitik und den Zeitläufen. Eine „Sanktionskrise“ gegenüber Russland etwa hätte unmittelbar stark preistreibende Effekte. Aber auch eine „Abkopplungskrise“ von einem übergriffigen China und eine „Kapazitätskrise“ im Zuge der milliardenschweren Green-Deal-Vorhaben dürfte die Inflation befeuern.

Und was, wenn die Regierungen abermals eine „Pandemie-“, „Banken-“ oder „Staatsschuldenkrise“ zu adressieren hätten? Zu den Folgen einer abermaligen geld- und fiskalpoltischen Intervention der Staaten zählten eine abermalige Explosion der Vermögenspreise (Immobilien, Kunst) und eine abermalige Verschärfung der Ungleichheit (Thomas Piketty), zählten eine Potenzierung von Fehlallokationen (durch billige Kredite) und eine vollständige Entkopplung zwischen Geldmenge und Wirtschaftsleistung, kurz: zählte das abermals erhöhte Risiko eines plötzlichen Zusammenbruchs des Geldsystems.

Kein Grund zur Panik. Wohl aber daran denken, was jenseits der materiellen Verluste auf dem Spiel steht, wenn das Vertrauen der Menschen in ihr Geld erodiert: ihr Welt- und Systemvertrauen – und ihr Vertrauen in den Emittenten und Bürgen des Geldes, mithin in die „Idee Europa“ und den (demokratischen) Staat. „Nichts hat das deutsche Volk… so erbittert, so haßwütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation“, schrieb Stefan Zweig um 1940 im Rückblick auf die Hyperinflation 1922/1923. Der Erste Weltkrieg, fährt Zweig bitter fort, „so mörderisch er gewesen“, habe den Deutschen „immerhin Stunden des Jubels geschenkt mit Glockenläuten und Siegesfanfaren“, während sie „durch die Inflation sich einzig als beschmutzt, betrogen und erniedrigt“ empfanden: „Eine ganze Generation hat der deutschen Republik diese Jahre nicht vergessen und nicht verziehen und lieber seine Schlächter zurückgerufen.“

Zweig hat die Hyperinflation als „Hexensabbat“ und „Tollhauszeit“ erinnert, als höllischen Karneval und „Sturz aller (bürgerlichen) Werte“: Man zahlte in der Straßenbahn mit Millionen …, fand Hunderttausendmarkscheine in der Gosse; ein Bettler hatte sie verächtlich weggeworfen. Ein Schuhsenkel kostete mehr als vordem ein Schuh, nein, mehr als ein Luxusgeschäft mit zweitausend Paar Schuhen … Für hundert Dollar konnte man reihenweise sechsstöckige Häuser am Kurfürstendamm kaufen. Fabriken kosteten umgerechnet nicht mehr als früher ein Schubkarren… Die Arbeitslosen standen zu Tausenden herum und ballten die Fäuste gegen die Schieber und Ausländer …, die einen ganzen Straßenzug aufkauften wie eine Zündholzschachtel … jeder handelte und spekulierte…und hatte dabei das geheime Gefühl, dass sie alle sich betrogen und betrogen wurden von einer verborgenen Hand, die dieses Chaos wissentlich inszenierte, um den Staat von seinen Schulden und Verpflichtungen zu befreien.“

Kein Grund zur Panik; vier Prozent sind nicht vierzehn, nicht vierzig, nicht 400. Wohl aber im Kopf behalten, dass Inflation auch als schleichendes Gift wirkt: als Säure, die nicht nur Löcher in die Portemonnaies von Einzelpersonen ätzt und insbesondere Menschen mit geringem Einkommen und (Geld-)Ersparnissen verletzt, sondern vor allem das einigende Band moderner Gesellschaften zerstört.

Als Geldscheine zum Spielzeug wurden: Hyperinflation in Deutschland im Jahr 1923. Quelle: imago images

Um das zu verstehen, muss man sich vom unterkomplexen Geldbegriff der Ökonomen lösen, in deren Lehrbüchern das Geld nur als neutrales Stimulanzmittel der Wirtschaft seinen Auftritt hat – und sich Geld stattdessen juristisch, als eine Art Kontrakt vorstellen, das laufend Vertragsverhältnisse erfüllt und  Schuldverhältnisse tilgt. Dahinter steht der Gedanke, dass eine Zahlung den direkten Austausch von Gütern gewissermaßen unterbricht – und dass das Geld bei diesem unvollendeten Austausch von Gütern eine Schuld speichert, die erst beglichen ist, wenn der Empfänger einer Zahlung seinerseits eine Zahlung leistet: Das Geld ist uns „für einen späteren Austausch gleichsam Bürge“, heißt es dazu schon bei Aristoteles.

Der spezifisch moderne Clou der Überlegung besteht (mit Niklas Luhmann) darin, dass Zahlung und Anschlusszahlung nur dann geleistet und beglichen werden, wenn der jeweilige Empfänger sicher sein kann, sein (wertbeständiges) Geld jederzeit in Waren umtauschen zu können – und sich die Forderung gegen einen Schuldner dadurch automatisch zur Forderung gegen die gesamte Marktgesellschaft auswächst. Auf diese Weise verbrieft Geld nicht nur seinem Inhaber das individuelle Recht auf Einlösung, sondern es repräsentiert, produziert und verstärkt auch exakt das Systemvertrauen, von dem es seinerseits abhängig ist und gedeckt wird. Eben weil die Akzeptanz und Geltung des Geldes an seine pausenlose Weitergabe und zirkuläre Verwendung gebunden sind, kann es sich von Zahlung zu Zahlung als Speichermedium eines wechselseitig beglaubigten (Kollektiv-)Vertrauens aufladen und zum Makler eines mehrfach besicherten Gesellschaftsvertrags aufsteigen.

Dieser Vertrag wird erstens zwischen dem Gewährsträger der Wertbeständigkeit des Geldes (die Notenbanken, der Staat) und seinen Benutzern abgeschlossen; er gilt zweitens zwischen den Benutzern des Geldes, die sich gegenseitig seine Verwendung und Nicht-Verwendung für den Erwerb oder Nicht-Erwerb von Gütern zusichern – und er kittet drittens die Gesellschaft ad infinitum zusammen, weil er eine nicht abreißende Kette rechtmäßiger Tilgungen Schuldverhältnisse zwischen Individuen oder Organisationen verbürgt - allerdings nur so lange, wie dieses Geld wertbeständig ist.

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