Tauchsieder

Freiheit oder Klimaschutz

Seite 2/2

„Ich habe die Freiheit, meine Lebenseinstellung leben zu können“

Ein fortschrittsoptimistischer Aufklärer wie Immanuel Kant mochte vor 200 Jahren den Maßstab eines pflichtbewussten und verantwortungsvollen Handelns noch im Menschen selbst finden: In einem Menschen, der der Natur entwachsen war und sich über sie erhoben hatte, der ihre kleinsten und größten Geheimnisse entschlüsselte und sie sich mit seinen Werkzeugen untertan machte – kurz: der die Natur kulturell, naturwissenschaftlich und ökonomisch im Griff hatte. Hans Jonas hingegen, Zeuge der vielen Verwundungen, die das „fossile Zeitalter“ der Natur geschlagen hatte, pochte auf ihre Würde - und erhob Anklage gegen ein anthropozentrisches Vernunftdenken, das die Natur zum kostenlosen Produktivfaktor degradiert hatte. Es ging ihm darum, „den Horizont unserer Möglichkeiten offenzuhalten“ – und auch er riet damals, wie Greta Thunberg heute, davon ab, übertriebenen Optimismus zu verbreiten: Der „Unheilsprophezeiung“ sei mehr Gehör zu verschaffen als der „Heilsprophezeiung“, weil das Mögliche - die Selbstvernichtung des Menschen - zunehmend wahrscheinlich werde, nicht zunehmend unwahrscheinlich.

Man muss Hans Jonas in diesem Punkt nicht folgen – schon gar nicht seiner Idee einer sanften Öko-Diktatur, in der die Menschen, wenn nötig auch im Wege des Zwanges, Konsumverzicht üben. Aber dass technologischer Fortschritt, will er gelingen, seine Nebenfolgen immer mitbedenkt; dass individuelle Freiheit in Unfreiheit umschlägt, wenn sie ihre Abhängigkeit von einer intakten Natur leugnet, wenn sie sich nicht aus freien Stücken in sie eingebettet vorstellt. Und dass man sich „die Natur“ philosophisch als Subjekt denkt (nicht als Objekt), ökonomisch als Knappheit mit Preisschild (nicht als umsonst ausbeutbare Ressource) – das sind und bleiben Gedanken, die von zentraler Bedeutung sind, wollen wir das Klimaproblem im Wege einer Green-Growth-Revolution lösen, vor der wie mit Blick auf die wachsenden Bevölkerungen und Volkswirtschaften in den Schwellen- und Entwicklungsländern stehen.

Womit wir endlich bei Günter Netzer wären, der bekanntlich Fußball spielte, wie Janis Joplin sang und klang: „Freedom’s just another word for nothin‘ left to lose.“ Oder in den Worten von Netzer: „Ich habe die Freiheit, meine Lebenseinstellung leben zu können.“ Es war eine Freiheit als Playboy und Porsche-Fahrer, Ästhet und Geschäftsmann, als pflichtenloser Zehner und Selbsteinwechsler – eine Marlboro-Freiheit der weiten Horizonte, an denen sich gelegentlich der Blick des Existenzialisten brach. Es muss herrlich gewesen sein, man kann Günter Netzer nur beglückwünschen. Aber bereits als Hans Jonas sein Buch veröffentlichte, war es auch mit der Netzer-Freiheit schon vorbei: Er führte den Hamburger SV als Manager zur Deutschen Meisterschaft.

Ob auch Netzer heute Freiheit mit seinem Gladbacher Co-Promi Hans Jonas als steuernde Praxis denkt, die wir zu verwirklichen haben? Als Freiheit, deren Wert sich danach bemisst, welchen (guten) Gebrauch wir von ihr machen? Als Freiheit, die nicht blind ist für die Abhängigkeit des Menschen von der Natur – und die der Natur daher Eigentumsrechte einräumt, so wie es der Philosoph Tilo Wesche vorschlägt?

Man wüsste es tatsächlich gern: Was einer wie Netzer heute über Freiheit und #fridaysforfuture, veganes Essen und SUVs in Großstädten denkt. Denkt er noch wie Janis Joplin und er selbst vor 40 Jahren? Wahrscheinlich ist es nicht. Interessant zu wissen wär’s allemal.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%