Tauchsieder
Pressekonferenzen mit Olaf Scholz: wenige Worte und wenig Botschaft. Quelle: imago images

Kann Scholz Kanzler?

Die Ukraine darf den Krieg nur erdulden, nicht gewinnen. Die Regierung verzwergt Bürger zu barmenden Bittstellern. Der Ampel-Chef agiert arrogant, ignorant, instinktlos. Eine Bilanz des Schreckens nach sechs Monaten Zeitenwende.

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„Die Ukraine ist verloren“, dekretierte Herfried Münkler am 24. Februar 2022, wenige Stunden nach dem Überfall russischer Militärs auf das Nachbarland. Der Berliner Politologe und Ideengeschichtler, einschüchternd belesen und sprachlich hochbegabt, liebt das feldherrenhafte Urteil und die Pose kalter Nüchternheit, weist sich gern mit beiläufiger Schärfe als Altmeister der historisch informierten Weltkenntnis und überlegenen Gegenwartsanalyse aus. Deshalb musste Münkler natürlich viel Spott ertragen, als Russlands Potentat Wladimir Putin bereits im März seine Kriegsziele verfehlte und als Anfang April die räuberischen Truppenbanden des Kreml aus dem Norden der Ukraine vertrieben wurden. Von wegen verloren. Die Ukraine behauptete sich. Die Russen blamierten sich. Und das Zeitfenster öffnete sich: für eine Niederlage Russlands.

Doch der Westen, allen voran Deutschland und Frankreich, setzte nicht entschlossen nach, um einen schwächelnden  Putin weiter zu schwächen, sondern ließ sich bannen und täuschen, einschüchtern und ablenken, ja: baute den Diktator wieder auf.

Bundeskanzler Olaf Scholz gab in einem seitenlangen Interview im „Spiegel“ seine Furcht vor dem Atomtod zu Protokoll und exekutierte damit Putins Angststrategie in Deutschland. Er und Macron ließen sich gegen den Rat der Osteuropäer in sinnlosen Telefonaten vom Kremlchef vorführen, um diplomatische Lösungen auszuloten, für die sich Putin keine Sekunde interessierte. Scholz schickte der Ukraine erst keine, dann kaum, darauf zu wenig, schließlich zu spät (schwere) Waffen – und er mag sich bis heute einen Sieg des EU-Beitrittskandidaten über Putins Terrormilitärs, einen bedingungslosen Komplettrückzug der Angreifer, Zerstörer und Besatzer nicht öffentlich wünschen.

Und so zieht sich der Vernichtungsfeldzug Russlands in der Ukraine nun schon seit Wochen in eintöniger Grausamkeit hin, begleitet von widersprüchlichen Einschätzungen militärischer Fachleute, die mal auf die maue Moral der russischen Truppen abheben und die brüchige Übermacht ihrer maroden Maschinerie, dann wieder auf die beherzten Verteidiger und die Erfolge moderner westlicher Waffensysteme, denen es allerdings an Zahl und ausreichend Munition mangelt.

Und so fräst sich Russlands altmilitärische Feuerwalze unendlich langsam, wahllos zerstörerisch und verlustreich voran in Luhansk und Donezk, während die Ukraine vereinzelt Schiffe versenkt und gelegentlich Munitionslager zerstört, mal einen russischen General tötet, mal ein Ziel weit hinter der Frontlinie überraschend ausschaltet. So geht das jetzt schon seit drei Monaten. Die Ukraine kann dem Raketenregen der Russen im Osten des Landes kaum standhalten und setzt im Süden Nadelstiche. Sie kann die Angreifer nicht ernsthaft in Bedrängnis bringen, weil ihr für eine Offensive, die Russland an den Verhandlungstisch zwingen könnte, mehr westliche Waffen benötigte.

(Nicht nur) Scholz schickt viele Raketenwerfer und Panzer nicht, will sie nicht schicken, kann sie nicht schicken – und muss es auch nicht mehr, seit sich in Westeuropa kein Mensch mehr politisch folgenreich darüber empören kann, dass Russland Tausende Menschen tötet und Millionen vertreibt, Menschen gewohnheitsmäßig foltert, entwürdigt, hinrichtet und im Süden der Ukraine einen Gau provoziert – nur zum Beispiel.

Der Krieg ist den meisten Deutschen vielleicht nicht egal geworden, aber gewiss nicht mehr wichtig. Manche bezweifeln, ob es „ihr Krieg“ sei, wollen für die Ukraine nicht „ihren schwer erarbeiteten Lebensstandard… opfern“.



Auch ist der Krieg inzwischen nachrangig eingebettet in den Nachrichtenstrom, irgendwo zwischen kalter Progression und chinesischen Militärmanövern, der Gaspreisumlage und Gold für Gina Lückenkemper. Er berührt die meisten Deutschen nurmehr peripher, am Rande, bei Gelegenheit – etwa wenn zufällig Krimstrandbilder mit Rauchsäulen am Horizont im Netz zirkulieren. Er bietet sich politisch interessierten Gutverdienern am Wochenende zuweilen noch als Thema für ein engagiertes Tischgespräch unter Freunden an, ist für Normal- und Geringverdiener aber längst zur Nebenursache materieller Alltagssorgen herabgesunken: die Inflation, die Gaspreise, der Winter.

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Das Ergebnis: Wir haben in Deutschland den Anspruch der Ukraine auf territoriale Integrität aufgegeben – und Olaf Scholz unternimmt täglich alles, um ihn uns nicht mehr in Erinnerung zu rufen. Wir unterstützen die Ukraine in der 26. Woche des Krieges nur noch, um sie gedanklich sich selbst zu überlassen. Wir ertüchtigen die Ukraine militärisch, damit sie den Krieg und den Terror erdulden kann – und enthalten ihr die Chance vor, den Krieg zu gewinnen, die Besatzer aus dem Land zu jagen.

In Anlehnung an Herfried Münkler wäre zu sagen: Allein die USA (und die Briten) haben die Ukraine vor sechs Monaten davor bewahrt, verloren zu sein – während vor allem Deutschland und Frankreich die Ukraine seither verloren gegeben haben – Woche für Woche ein kleines bisschen mehr. Scholz hat noch im April versichert, er werde dafür sorgen, die Ukraine so auszurüsten, „dass ihre Sicherheit garantiert ist“. Ein leeres Versprechen. Scholz hat der Ukraine angeboten,  Deutschland stehe ihr künftig als „Garantiemacht zu Verfügung“. Ein Witz. Scholz hält seit Monaten daran fest, dass es „keinen Diktatfrieden“ nach dem Willen des Kremlchefs geben dürfe.

Leicht dahin gesagt – wenn man mit routiniertem (Des-)Engagement durchblicken lässt, sich politisch und militärisch längst mit der Realität einer teilannektierten, zwangsamputierten Ukraine arrangiert zu haben.

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