Tauchsieder
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Laschet, Baerbock und der schwarze Groll aufs Grüne

Der CDU-Chef steuert seine Partei vier Monate vor der Bundestagswahl in eine Sackgasse. Die Grünen-Chefin verglüht im Gleiß der hellen Selbstansprüche. Es wird noch ziemlich eng und ungemütlich. Für beide.

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Wo ist Armin Laschet? Anonymen Zeugen zufolge soll er sich in den vergangenen Wochen mehrere Male auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin aufgehalten und Bertolt Brecht ein paar Blumen aufs Grab gelegt haben. Man habe ihn dabei verschmitzten Gesichtes ein bekanntes Lied von Kurt Weill summen, ihn immer wieder einen chiasmisch angelegten Zweizeiler murmeln hören: „Und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“

Das ist natürlich Unsinn. Ausgedacht. Fake News. Und kommt der Wahrheit über den Kanzlerkandidaten der CDU doch ziemlich nahe. Armin Laschet hält sich seit Wochen weit abseits der politischen Bundesbühne auf, um seine Rivalin im Rennen ums Kanzleramt im Rampenlicht schwitzen zu sehen: zunächst als heilige Annalena der Machthöfe auf die Bretter gestellt vom medialen Betrieb, seither als Frau Baerbock grell ausgeleuchtet mit all ihren Menschlichkeiten, Lässlichkeiten und Schwächen.

Ein Dreigroschendrama fürwahr, im politischen Dickicht der Hauptstadt – Laschet selbst dürfte sich als Zuschauer, im Dunkel der Kulisse, blendend unterhalten fühlen. Er weiß ja bereits, wie sich das anfühlt im Gleiß der Scheinwerfer zu stehen, vom Wahlpublikum täglich taxiert, beargwöhnt, fast schon gewohnheitsmäßig für zu leicht befunden: „Ein guter Mensch sein? Ja, wer wär's nicht gern? / Doch leider sind auf diesem Sterne eben / Die Mittel kärglich und die Menschen roh...“

„Die Mittel kärglich“ – als Vorsitzende der kleinsten Oppositionspartei im Bundestag fällt es leicht, das zu verbergen; als Kanzlerkandidatin und Umfragekönigin fällt es auf: Es ist halt das eine, in einer Nebenrolle zu glänzen, etwas ganz anderes, als Mutter Courage der Nation auf der politischen Bühne zu (be-)stehen. Und Annalena Baerbock hat sichtlich Mühe, in die Hauptrolle ihres politischen Lebens hineinzuwachsen.

Sie bucht die „Soziale Marktwirtschaft“ in einer Rede im Bundestag auf das Konto der Sozialdemokratie. Sie sonnt sich in einer akademischen Ausbildung („Ich komme eher aus dem Völkerrecht.“), die weder kritisiert noch stilisiert gehört. Sie provoziert eine Debatte über Flugverbote, die ihr Rivale im Kanzlerkandidatenrennen, der Co-Vorsitzende Robert Habeck, als „Symbolpolitik“ zugleich kritisieren und einholen muss. Sie meldet dem Bundestag verspätet rund 25.000 Euro Weihnachtsgeld („blödes Versäumnis“) – und hat sich als Parteivorsitzende Ende 2020 ganz und gar nicht „tierisch geärgert“ über einen „Coronabonus“ in Höhe von 1500 Euro. Auch ist immer noch nicht geklärt, wie die Grünen mit der Millionenspende eines Bitcoin-Spekulanten umgehen wollen – obwohl die Partei im Bundestag wieder und wieder eine „Obergrenze für Spenden“ gefordert hat: „Diese wird bei 100.000 Euro gezogen.“

„Die Menschen roh“ – es ist abstoßend, mit welcher Herablassung und Häme sich manche politischen Wettbewerber und nun ja: professionelle Beobachter über Annalena Baerbock und ihre doch eher marginalen Unzulänglichkeiten hermachen, sie dauernd im Modus des Pejorativen beschreiben, sie auch als Frau herabsetzen, um mit Furor, auch überschießendem Testosteron ihre Eignung fürs Kanzleramt zu bezweifeln.



Ein FAZ-Journalist stoßseufzt angesichts einer Umfrage, in der die Union (mal wieder) vorne liegt, auf Twitter („hier privat“): „Frau Baerbock im Kanzleramt bleibt uns wohl erspart.“ Eine junge Bild-Journalistin bebt auf der Höhe ihrer analytischen Kraft, sie habe „wirklich, wirklich Angst“, weil Baerbock so unerfahren sei und noch dazu kein Linksbündnis ausschließen wolle. Aber auch der Chefredakteur der „Welt“ warnt, die Grünen seien „gefährlich wie noch nie“, ruft panisch die politische Konkurrenz zu den Waffen: Legt bitte schonungslos die „Intoleranz“ der Partei offen! Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zum CDU-Bundestagskandidaten Hans-Georg Maaßen, der die Grünen und ihre Wähler als Vaterlandsdeserteure verurteilt, schuldig im Sinne des Rechts(außen)-Paragrafen „Rassismus gegen die eigene Nation“: Wer der „ökosozialistischen Partei“ und ihren linken Kombattanten seine Stimme gebe, so Maaßen in Rekurs auf einen Brecht zugeschrieben Satz, sei den dummen Kälbern zuzurechnen, die sich „ihren Schlächter selber“ wählten.

Woher rührt diese Missgunst, dieser Hass auf eine Partei, die auf dem Boden der Verfassung steht, sich fraglos um die politische Willensbildung im Land, um die Initialisierung und Kanalisierung gesellschaftlicher und soziökonomischer Veränderungen verdient gemacht hat (Frauenquote, Minderheitenrechte, Abschaffung der Kernkraft, Energiewende, Klimawandel)? Die man wegen ihrer dezidierten Programmatik aus guten Gründen wählen oder auch nicht wählen kann? Woher diese Abscheu vor einer Kandidatin, die für definierte politische Ziele wirbt, sich mit lauteren Motiven dem politischen Wettbewerb stellt? Warum dieser unbürgerliche, hochmoralische, denunziatorische Ton gegen die angeblichen „Umverteilungsfantasien“ staatsgläubiger „Verbotsfetischisten“, gegen besserverdienende Freiheitsverächter und oberlehrerhafte „Bevormunder“?

Ich persönlich habe noch nie verstanden, warum manche Medienvertreter nicht anders können als den Eindruck zu erwecken, den Grünen mehr harmloses Wohlwollen entgegenzubringen als anderen Parteien, sie gleichsam unter journalistischen Naturschutz zu stellen. Noch weniger leuchtet mir der lebenskulturelle Ekel, ja: die Angstgrusellust ein, mit der manche politischen Beobachter Woche für Woche auf die Grünen reagieren, dieser phobische Furor und radikal vereinseitigte Beschimpfungswille, der sich gegen die normativen Ziele von „Gutmenschen“ richtet, die die Welt ein wenig besser einrichten möchten als sie ist.

Wohin das führt, welchen Stimmungen da bewirtschaftet werden und wem das zuarbeitet, haben CDU und FDP erst vor knapp anderthalb Jahren in Thüringen vorgeführt, als sie einen der ihren vom Bösmenschen Björn Höcke (AfD) aufs Schild heben ließen – um einen harmlosen Verwaltungsbeamten der Linkspartei als Ministerpräsidenten zu verhindern. Und das führt noch heute die CDU von Armin Laschet vor, die einen neokonservativen Revolutionär und hellbraun raunenden Kladderadatsch-Ideologen wie Maaßen („Die Grünen sind die… gefährlichste Partei im Bundestag“, die „uns“ noch „weiter in den Abgrund führt“: Marionetten von Davos-Globalisten, „die sich daranmachen, bald alles zu besitzen“…) als „unterschiedlichen Typen“ (Laschet) in ihren Reihen duldet. Und warum? Weil die Laschet-CDU in Ostdeutschland keine Wähler (und Mandatsträger) an die AfD verlieren, keinen Aufstand der Landesverbände riskieren möchte. Hier wäre durchaus ein wenig bürgerlicher Furor angebracht: in eigener Sache.

Aber Laschet wagt sich nicht ins Licht – und manövriert die CDU damit womöglich in eine ähnliche Situation wie die FDP vor vier Jahren: Er kann Schwarz-Grün (erst recht natürlich Grün-Schwarz) aus Rücksicht auf die ostdeutschen Landesverbände, die stummen Merkel-muss-weg-Skandierer in der Partei und die Maaßen-Merz-Amthor-Klientel am Ende von möglichen Koalitionsverhandlungen nur eine Absage erteilen. Laschet meint mit der Duldung von Maaßen und der Einbindung von Merz den „konservativen Flügel“ der Union mit der Partei versöhnen und die Union abermals als 35-Prozent-Hegemon in der deutschen Parteienlandschaft etablieren zu können? Eine riskante Wette. Denn paradoxerweise zementiert ausgerechnet der stolze Brückenbauer gegenwärtig die 25-Prozent-Fronten in der Union und im Land: Welche potenziellen Grünen-Wähler könnte Laschet an der Seite von Merz und Maaßen in den nächsten Wochen noch überzeugen, die Union zu wählen?

Und wie gedenkt Laschet den ganz und gar nicht überraschenden Aufstieg der FDP auf Kosten der Union zu stoppen – ein Aufstieg, der sich vor allem fünf Faktoren verdankt: kein Schielen (mehr) nach rechts, (fast) keine Diabolisierung (mehr) der Grünen - statt dessen: eigene Konzepte zur Adressierung von Zeitfragen, drängender Gestaltungsanspruch – und pointierte Kritik an einer Regierung(-spartei), auf deren „Erfahrung“ man gerne verzichten würde: auf die Selbstbereicherungen einiger Unions-Abgeordneter in der Coronakrise, aber auch auf die Performance von Laschets Sidekick Jens Spahn, der überteuerte Maskendeals absegnet, Abrechnungsbetrug in Testzentren duldet und eine Kinderimpfkampagne vom Zaun bricht, die an der Realität des Impfstoffmangels scheitert.

Es ist gut möglich, dass die Union am 26. September mit Laschets Leerformeln vom „Modernisierungsjahrzehnt“ und „klimaneutralen Industrieland“ die relativ meisten Stimmen einsammelt: Viele Deutsche mögen eine Partei, die ein bisschen was ändert, ohne dass sich wirklich was ändert: Man erwartet nichts mehr von der Union, also wird man auch nicht enttäuscht. Das ist der eigentliche Unterschied im gegenwärtigen Zweikampf zwischen Schwarz und Grün: Jenen kann nicht mal mehr Schamlosigkeit und ministerielle Minderleistung, Pandemie-Irrlichterei und Staatskrisenversagen was anhaben; bei diesen reichen die Nachmeldung von Weihnachtsgeld und die Perhorreszierung des Wahlprogramms, um sie als „Gefahr“ für Deutschlands Zukunft unmöglich zu machen.

Aber selbst wenn die CDU damit einmal mehr durchkäme, die Wahl gewänne: Wen könnte sie mit ihrer doppelten Negativität – maximale Selbstanspruchsarmut plus „ökosozialistischen Abgrund“ verhindern – gewinnen? Womöglich nicht mal mehr die Christian-Lindner-Liberalen und die Markus-Söder-CSU.

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Sie haben einerseits verstanden, dass die überschießende „Positivität“ der Gutmenschen-Grünen Abwehrreaktionen des durchschnittlichen Bratwurst-und-PS-Deutschen hervorruft, von denen kein Demokrat wünschen kann, dass sie sich negativ aufladen – und sind andererseits längst klug genug, um zu begreifen, dass man die Grünen als „ästhetische Partei“ nur im Wege der sachpolitischen Konkretion entzaubern kann, ihre unverneinbaren Ziele daher  „positiv“ überbieten muss: mit besseren Konzepten zur Bekämpfung des Klimawandels, für bezahlbare Mieten in Großstädten oder auch nur für Transparenzpflichten von Abgeordneten des Deutschen Bundestags. Es wäre, auch mit Blick auf die demokratische Kultur in diesem Land, auf das Markieren der AfD als Partei der Übellaune und (einzig durchweg verdientem) Paria in der deutschen Parteien-Landschaft, ein Segen.

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