Tauchsieder
Wie die Kanzlerin zur Belastung wird. Quelle: Getty Images

Merkel am Ende. Schluss für AKK.

Die Kanzlerin wird zur Belastung für Annegret Kramp-Karrenbauer – und AKK für ihre Partei. Die Zukunft in der CDU müssen andere gewinnen. Oder die CDU verliert ihre Zukunft.

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Politiker von Union und SPD haben in der vergangenen Woche ziemlich bestürzt gewirkt. Was mit Blick auf die CDU ziemlich bestürzend ist, denn das eigentliche Wunder der Europawahl in Deutschland besteht doch darin, dass die Union noch 28,9 Prozent der abgegebenen Stimmen einsammeln konnte. Gewiss, in den ersten Umfragen nach der Wahl, sozusagen nachbörslich, notiert die Union nur noch bei 25, 26 Prozent, aber das heißt eben auch: Jeder vierte Wähler in Deutschland bedankt sich immer noch bei Angela Merkel oder baut schon auf Annegret Kramp-Karrenbauer. Wie kann das sein?

Merkel hat das Kanzleramt fast 15 Jahre lang quasipräsidial zu einer Nichtregierungsorganisation umgebaut, zu einer Agentur der organisierten Norm- und Anspruchslosigkeit, die dem Allernötigsten asymmetrisch demobilisierend hinterher amtiert und das Land fast schon lächerlich lustlos bewirtschaftet. Und Kramp-Karrenbauer? Die CDU-Chefin wirkt wie eine kommissarisch regierende Minus-Merkel, und das schadet ihr gleich doppelt: kommissarisch regierend, weil die Deutschen nicht die (unsichtbare) Präsidialkanzlerin, sondern die (auf Sichtbarkeit drängende) Schattenkanzlerin für die (Un-)Tätigkeit der Großen Koalition verantwortlich machen – und Minus-Merkel, weil es Kramp-Karrenbauer als CDU-Chefin nicht nur an politischer Leitlinienkraft, sondern auch an Merkels Gabe (und Macht!) gebricht, mit vereinzelten 180-Grad-Manövern die Fehler und Irrtümer der Vergangenheit vergessen zu machen.

Wir erinnern uns: Merkel hat einst den Mindestlohn verteufelt und den Ausstieg aus dem Atomausstieg initiiert, die Ehe für alle blockiert und Migranten aller Länder durchgewunken. Nur um wenig später die Einführung des Mindestlohns und den Atomausstieg, die Ehe für alle und ein rigides Grenzregime durchzusetzen. In der Union empfinden viele das ein oder andere noch immer als Verrat an christdemokratischen Prinzipien. Doch die Wahrheit ist: Wenn Merkel das Ruder nicht hin und wieder herumgerissen hätte, um im Wind des Gebotenen, meist Überfälligen, zuweilen sicher auch nur des Zeitgeistes, zu segeln, stünde die Partei heute noch schlechter da. Insofern ist es nur konsequent, dass sie vergangene Woche erneut zu einer Kehrtwende aufrief. Die Union müsse endlich Schluss machen mit ihrem „Pillepalle“ in der Klimapolitik – es brauche jetzt Beschlüsse, die zu „disruptiven“ Veränderungen führten. 

Und Kramp-Karrenbauer? Sie möchte das Thema nicht etwa abräumen, sondern abwehren, problematisieren, greinend aufladen – es benutzen, um den neuen politischen Hauptgegner der Union, die Grünen, zu diskreditieren. Sie sagt:  „Wenn man sich die Wahlergebnisse der Europawahl nach Ost und West anschaut, nach Grünen und AfD, dann sieht man, dass wir auf dem besten Wege dazu sind, dass die Klimafrage eine neue Spaltfrage in unserer Gesellschaft wird.“  Man versteht sofort den bösen Subtext: Annalena Baerbock spielt Alexander Gauland in die Hände, Robert Habeck stützt Björn Höcke. Das ist nicht nur perfide, sondern auch höchst unglaubwürdig. Und politisch dumm.

Die Ambiguität des Themas nicht erkannt

Perfide, weil Kramp-Karrenbauer einer Partei angehört, die das steuervermeidend Geschmeidige geschäftiger Business-Aale lange Jahre prämiert und die gleichzeitige Fragmentierung und Prekarisierung des Arbeitsmarktes, die Verbilligung und tarifrechtliche Entwurzelung (vor allem) ostdeutscher Dienstleister stets für eine prima Idee gehalten hat. Unglaubwürdig, weil die Union ihr sozialpolitisches Gewissen ausgerechnet dann entdeckt, wenn es zur Abwechslung mal nicht um die grandiosen Vorzüge niedriger Löhne, sondern um ein paar Strom- und Klimasteuercent mehr geht.

Und politisch dumm, weil Kramp-Karrenbauer mit ihrer faktenfern-gefühlsechten Populismus-Anleihe erkennbar kein Problem lösen, sondern bloß Schuld von der Union nehmen und umverteilen will – mit der Folge, dass sie die Präferenzen der jung-mobil Zugezogenen in den ostdeutschen Städten (Grünwähler) und der vielen Alteingewurzelten auf dem Land (AfD-Wähler) nicht etwa auflöst, sondern stabilisiert: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer wird sich bei seiner großen Vorsitzenden gewiss bedanken!

Politisch dumm agiert Kramp-Karrenbauer aber auch, weil sie die Ambiguität des Klima-Themas nicht erkennt – seine Bedeutung zugleich überschätzt und unterschätzt. Denn einerseits haben die Aktivisten den Bogen mit ihrem Johannes-Offenbarungs-Pathos schon heute rhetorisch überspannt: Niemand über 25 hält es auf Dauer aus, politische Fragen im Modus von Panik, Alarm und Furcht, Apokalypse und Erlösung, endzeitlich und planetarreligiös zu verhandeln – selbst wenn man gütig annimmt, wir hätten es tatsächlich mit der „größten Krise der Menschheit“ zu tun.

Formulieren wir es mal zurückhaltend: Der hochemotionale Rückbezug auf unbeweisbare Letztbegründungen konsolidiert zunächst einmal jede (Glaubens-)Gemeinschaft – und die Klimaschutzbewegung wird die Infragestellung ihres Unbedingtheitsanspruchs sicher schon sehr bald ertragen müssen. Aber das heißt umgekehrt nicht, dass die Klimaschutzfrage an Bedeutung verlieren wird, im Gegenteil: Sie ist – neben der Digitalisierung – das politisch-ökonomische Megathema der nächsten Jahrzehnte, das industrie-, verkehrs- und wohnungspoltisch, ressourcen-, europa- und weltpolitisch adressiert werden muss. 

Aber von wem? Meinte es Merkel wirklich ernst mit dem Ende von „Pillepalle“, müsste sie noch heute ihren Minister zur Verhinderung der Verkehrs- und Mobilitätswende, Andreas Scheuer, entlassen, eine Klimasteuer einführen und verbindliche CO2-Reduktionsziele für alle Ressorts (Wohnen, Verkehr, Industrie) durchsetzen, Milliarden locker machen für den Ausbau eines Radverkehrsweggenetzes, den individuellen Innenstadtverkehr und das Fliegen verteuern und den Ausbau der Stromtrassen gegen den Widerstand lokaler Bürgergruppen durchsetzen – nur zum Beispiel. Aber würde das reichen? Der CDU-Vorsitzenden, die über keine dieser Optionen verfügt, sicher nicht. Sie sähe, machte Merkel noch einmal wendepolitisch ernst, fürchterlich alt aus – wie ein Gruß aus der Vergangenheit, nicht der Zukunft.

Will Merkel also ihrer Partei, ihrer Nachfolgerin noch einen letzten Dienst erweisen, sollte sie das Wort von der „Disruption“ auf sich selbst beziehen – und spätestens im Herbst abtreten. Sie hat sich vor zweieinhalb Jahren, als sie sich für ihre vierte Amtszeit entschied, gefragt: „Was kann ich dem Land geben?“ – und sich damals entschieden, „meine ganze Erfahrung und das, was mir an Gaben und Talenten gegeben ist, in die Waagschale“ zu werfen. Heute wissen wir: Die Kanzlerin vermag aus der Zeit nichts Gutes mehr zu machen. Sie hat dem Land nichts mehr zu geben, selbst wenn sie noch einmal alles gäbe. Die Zukunft in der CDU müssen andere gewinnen. Oder die CDU verliert ihre Zukunft. 

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