Viertens: Der Vormarsch des Rechtspopulismus in Deutschland geht zu einem großen Teil auf Merkels Konto. Sie hat in Deutschland einen Politikstil des mentalen Positivismus salonfähig gemacht, der Vertretern demokratischer Parteien die Räume eng gemacht hat für konstruktive Kritik.
Was Kanzleramtsminister Peter Altmaier, Fraktionschef Volker Kauder und der CDU-Vorsitzende in NRW, Armin Laschet, in den vergangenen Wochen an Merkel-Exegese geleistet haben, hatte oft peinlich apostolische, ja: antiaufklärerische Züge. Wer es aus schierer Angst vor dem Eingeständnis eines aus der Not geborenen, selbstherrlich entschiedenen Kurswechsels in der europäischen Flüchtlingspolitik (eines Rechtsbruches und politischen Fehlers überdies) den xenophoben Zündlern bei der AfD überlässt, legitime Bedenken besorgter Bürger zu formulieren, vergiftet die demokratischen Quellen des Rechtsstaates.
Wer aus purer Argumentationsnot von „moralischer Verpflichtung“, wer wider besseres Wissen von „ökonomischem Eigeninteresse“, wer aus schierer Hilflosigkeit von der „Unmöglichkeit“ spricht, seine Grenzen schützen zu können - der schafft die Voraussetzungen dafür, dass die Grenzen von Moral und Eigeninteresse am Ende von Menschen mit autoritären Einstellungen und Interessen gezogen werden.
Fünftens: Gibt es eine Belastungsgrenze - und wenn ja: Wann ist sie erreicht? Angela Merkel verweigert auf diese alles entscheidende Frage bis heute eine Antwort. Es ist so leicht (und so billig), sich über den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) zu echauffieren, der die Zahl 200.000 in Spiel gebracht hat: 200.000 Zuwanderer pro Jahr - mehr könne Deutschland nicht verkraften.
Und was macht Seehofer mit dem ersten Flüchtling jenseits der 200.000, fragen sie schadenfroh bei Grünen, SPD und CDU? Gute Frage. Eine noch viel bessere stellen sich die naseweisen Volksvertreter leider nicht: Was gedenken sie mit weiteren 500.000 oder 600.000 Flüchtlingen in 2016 zu tun?
Es ist ein politischer Offenbarungseid, dass die „Befürworter“ von Merkels Flüchtlingspolitik nichts als moralische Ohnmachtsargumente ins Feld führen können: Wir können den Zustrom ohnehin nicht stoppen… Eine „Festung Europa“ widerspricht den westlichen Werten… Das internationale Recht verlangt die Aufnahme von Flüchtlingen… Was soll das alles? Wir müssen helfen? Nun - die Sorge für das Wohlergehen der Opfer von Gewalt schließt die Sorge um die Sorgen der eigenen Bevölkerung nicht aus.
Wir können den Zustrom ohnehin nicht stoppen? Nun - offenbar trauen wir der türkischen (auch der griechischen und spanischen) Regierung zu, wovor wir selbst kapitulieren: die Eindämmung des Flüchtlingsstroms. Das internationale Recht verlangt die Aufnahme von Flüchtlingen? Nun - das internationale Recht kennt universelle Menschenrechte - und Bürgerrechte, die an Territorien gebunden sind. Muss man wirklich daran erinnern, dass jede Gemeinschaft nur durch Grenzen existieren kann, die Menschen einschließen und ausschließen - zum Beispiel von Sozialleistungen?