Tauchsieder

Friedrich Merz - der Lohengrin der CDU?

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Merz oder Kramp-Karrenbauer

Friedrich Merz also oder Annegret Kramp-Karrenbauer. Für Merz spricht, dass er, bei Lichte betrachtet, kein alter Bekannter ist, sondern im Gegenteil: ein vollkommen unbeschriebenes Blatt. Er bringt Lohengrin-Qualitäten mit, betritt als schwanenritterlicher Erlöserengel das Geschehen, um nicht nur die Elsa-CDU, sondern auch die zerstrittene Gesellschaft als Ganzes - „ob Ost, ob West, was deutsches Land ist, gelte allen gleich…“- zu befrieden. Und stellt als Himmelsgesandter natürlich gewisse Bedingungen, um seine Aufgabe erfüllen zu können: Bitte fragt bloß nicht so genau nach, „woher ich kam der Fahrt, noch wie mein Nam“ und Art“.

Nun, sein Name ist wohl bekannt, aber an der Verbreitung seiner gedanklichen Herkunft - an seiner traditionell leitkulturellen Art biedermeierlicher Familienführung und vor allem an seiner beruflichen Fahrt im Dienste von Kapitalinteressen - dürfte Friedrich Merz kein allzu großes Interesse haben.

Merz hat sich fraglos gut vorbereitet auf sein Comeback. Er hat sich 2017 von der NRW-CDU (stellt ein Drittel der Delegierten auf dem Parteitag der CDU Anfang Dezember) als Brexit-Beauftragter der Landesregierung in die Pflicht nehmen lassen. Hat sich im Juli 2018 durch die Ablehnung des Ludwig-Erhard-Preises von dessen Vorsitzendem Roland Tichy distanziert, ehemals Chefredakteur der WirtschaftsWoche, heute publizistische Anlaufstelle für Liberal-Libertäre, National-Konservative und AfD-Wähler. Und hat sich erst vor wenigen Wochen - unter anderem an der Seite von Jürgen Habermas - für ein solidarisches Europa und die Gemeinschaftswährung, für deutsch-französische Initiativen und eine enge Zusammenarbeit mit Emmanuel Macron, für mehr Konvergenz und den Abbau von Wohlstandsunterschieden ausgesprochen.

Wenn nicht alles täuscht, wird Friedrich Merz in den nächsten Wochen kaum an den reformbetrunkenen Bierdeckel-Ökonomen erinnern, der er vor 15 Jahren war. Er wird die mittelständisch geprägte Marktwirtschaft als Gegenmodell zum vermachteten Konzernkapitalismus der USA und zum kommunistisch gepäppelten Staatskapitalismus in China preisen, dabei die kartell- und wettbewerbsrechtlichen Interessen Deutschlands und Europas herausstellen in Abgrenzung zu den Staatsfondsinteressen autoritärer Staaten - und dem Ideal eines fairen, wertegeleiteten und wettbewerbsinduzierten „Wohlstands für alle“ dienen. Und vor allem wird er nicht an Mitbestimmung und Kündigungsschutz, an Mindestlöhnen und Gesundheitspauschalen rühren, also an fast allen Themen, die ihm (und Merkel) mal schicksalhaft für Deutschland erschienen.

Kurzum: Merz wird klug genug sein, um sich den Christdemokraten und Deutschen als eine Art Gegenfigur zu Jens Spahn zu präsentieren - als Politiker, der die drei Strömungen in der Partei (christlich-sozial, konservativ, liberal) akzentuiert und schärft, nicht gegeneinander ausspielt. Und der die Reife besitzt, Profil und Pragmatismus miteinander zu verbinden statt sie, wie Spahn, mit Ideologie und Beliebigkeit zu verwechseln. Und Annegret Kramp-Karrenbauer? Sie ist klug, sehr klug - und hat den beiden Testosteron-Gockeln erst mal die Bühne überlassen. Sie lauert - und bereitet sich ihrerseits als betont christliche, betont konservative, betont liberale Stimme vor - nur darum geht es in den ersten Monaten der Post-Merkel-Ära.

Überschätzt nach Jens Spahn auch Friedrich Merz nur für eine Sekunde, in nur einer unbedachten Äußerung, den Willen in der Partei (und der Deutschen) zu einer politstilistischen Radikalumkehr, schlägt ihre Stunde. Die CDU ist seit dem Abschied von Merz viel weiblicher geworden, moderner, weltoffener: Nicht Merkel hat die Christdemokratie verändert - it’s the reality, stupid! Ihre Mitglieder und Anhänger wissen, dass breitbeinige Scharfkantigkeit und Volkspartei sich heute mehr denn je ausschließen. Wissen, dass die CDU geradezu definiert ist als Partei, die mit 15 Jahren Verspätung da ankommt, wohin ihr die (oft grün-rote) politische Avantgarde den Weg gewiesen hat (Atom-, Klima-, Sozial-, Frauen-, Minderheiten-, Gesellschaftspolitik), um sich mit Aplomb an die Spitze jeder Bewegung zu stellen, sobald es demoskopisch opportun erscheint. Daher rührt die Macht der CDU als Partei der Mitte - nicht zuletzt Merkel sei Dank. Diese CDU will und braucht jetzt alles, bloß keinen Martin-Schulz-Effekt. Sie muss wieder erkennbar werden, das schon, aber nicht als Karikatur ihrer selbst. In vier Wochen werden sich Kramp-Karrenbauer und Merz daher näher stehen als viele glauben. Wetten?

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