Tauchsieder

Immer. Weiter. So.

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Merz verkörpert die Sehnsüchte der CDU

Wohlgemerkt: Merz war diesmal klug genug, das „Deutschland-Drama“ nicht negativ zu schildern, also als Abrechnung mit der Merkel-Ära, sondern positiv, im Jargon des Kämpferischen, des zu Erstreitenden: als Eroberung der Zukunft, voller Kraft und Leidenschaft – unter seiner Führung. Und er landete auch einen rhetorischen Treffer, als er davon erzählte, er sei in die CDU nicht eingetreten, weil er in ihr eine „Vermittlungsagentur für Regierungsämter“, sondern eine Partei der „Grundsätze“ gesehen habe. Kein Zweifel: Merz wünscht sich die CDU als gestaltende Kraft und „Programmpartei“ zurück. Und keine Frage: Merz entspricht nach der entschiedenen Unentschiedenheit der Merkel-Jahre damit auch nach wie vor einer weit verbreiteten Sehnsucht in der Partei.

Und Norbert Röttgen? Der dritte Kandidat hielt, wie erwartet, die rhetorisch geschliffenste und inhaltlich anspruchsvollste Rede. Er will die CDU konturieren, akzentuieren, redefinieren – und ist fraglos der stille Sieger des Kandidatenrennens. Eine herausragende Stellung in der Partei und in einer unionsgeführten Bundesregierung sind Röttgen sicher, sollte er sich darum bemühen.



Denn Röttgen hielt der CDU in seiner Rede nicht nur zu Recht vor, woran es ihr mangelt, nämlich an Modernität und Attraktivität für „neue Milieus“. Sondern er personifiziert mittlerweile auch eine CDU mit „Zukunftskompetenz“, weil er ihr, anders als Laschet, ein normatives Surplus abverlangt – und weil man dieses Surplus bei Röttgen, anders als im Falle von Merz, mit Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit verbindet.        

Es ist beinahe schon ironisch, aber Laschet wird ausgerechnet von seinem Lieblingsfeind Röttgen lernen müssen, sein „Weiter so“ programmatisch anzureichern, will er die CDU lange und erfolgreich führen. Es reicht vielen Mitgliedern in der Union nicht mehr, als einzig verbliebene Volkspartei in einer ortlosen Mitte verankert zu sein – und einer Partei anzugehören, die Linken, Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen jederzeit gönnt, sich im Glanz ihrer polierten Weltanschauungen zu sonnen, nur um als apolitischer Hegemon, als überparteiliche Schiedsrichterin die Geschickte Deutschlands führen zu dürfen.

Angela Merkel hat den Sinnhunger und die Resonanzbedürftigkeit der Parteimitglieder seit anderthalb Jahrzehnten vernachlässigt. Sie hat das tagespolitisch Anfallende gewissenhaft erledigt, um der Union den nächsten Wahlsieg zu bescheren. Aber sie hat keinen Kompass besessen. Und das Kanzleramt konsequent zu einer Nichtregierungsorganisation umgebaut: „Ende der Geschichte“.

Allerdings ohne Hegel’sche Pointe. Denn Merkel hat die CDU geradezu definiert als Partei, die dem Primat der Demoskopie allen geschichtlichen Sinn geopfert hat – die nicht mehr am Weltgeist arbeitet, sondern sich dem Zeitgeist unterwirft. Ihre CDU verzichtete aufs Erzählen, weil für sie nur die Umfrage, also der Machterhalt zählte. Regenerative Energien, Mindestlohn, Ehe für alle, die Zukunft der E-Mobilität, die autofreie Stadt, die Regulierung der Finanzmärkte, eine europäische Konjunkturpolitik - Merkels CDU lehnte den „gesellschaftlichen Wandel“ so lange ab, bis er sich ohne ihr Zutun durchsetzte oder ihr krisenhaft aufgezwungen wurde. 

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Das wird in den nächsten Monaten und Jahren zu wenig sein. Die CDU muss sich paradoxerweise wieder profilieren als Partei, die dafür sorgt, dass die Deutschen sich nicht allzu viel sorgen. Sie muss Laschet plus Röttgen sein. Sie muss einerseits als Partei der Parteilosigkeit den Wunsch der (meisten) Deutschen erfüllen, dass bei allen Veränderungen klar ist, dass sich nicht allzu viel ändert (Laschet). Aber sie darf sich andererseits, eben weil sich viel ändert, dabei nicht bloß als politische Nachsorgepartei verstehen, die die Kontrolle über das krisenhafte Geschehen zu verlieren droht, muss statt dessen gestaltend-normativ auftreten: etwa gegenüber China, angesichts des Klimawandels, mit Blick auf die Digitalisierung und Europa. 

Aber was heißt das schon: Die CDU muss…? Die Union steht in der deutschen Parteienlandschaft weiterhin konkurrenzlos da. Sie zählte bis gestern leicht fünf Kanzlerkandidaten. In der SPD herrscht hinter Olaf Scholz: gähnende Leere. Und die Grünen? Selbst wer sich die Partei stark wünscht, wünscht sie sich mehrheitlich nur als Mit-Regierungspartei, wünscht Robert Habeck und Annalena Baerbock eher nicht im Kanzleramt. Laschet oder Söder also? Aus Sicht der Union ist das letztlich: ganz egal. Aus Sicht der Union kann es auch ohne Selbstanspruch immer „weiter so“ gehen: Immer. Weiter. So.

Mehr zum Thema: Armin Laschet soll die CDU als neuer Chef in das Superwahljahr 2021 führen. Doch was kann die Wirtschaft vom 59-jährigen erwarten?

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